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CDU und Polizeiaffäre

Strobls Aufpasser

CDU und Polizeiaffäre: Strobls Aufpasser
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Die Beförderung von Polizeiexperte Thomas Blenke (CDU) zum Staatssekretär ins krisengebeutelte Innenministerium ist reichlich schiefgelaufen. Mit personellen Kollateralschäden, die die Union im Südwesten noch in Turbulenzen bringen können.

Diesen einen Irrtum wird der langjährige Calwer CDU-Landtagsabgeordnete sicher gut verkraften: 2016 bot Thomas Blenke bitter lächelnd Wetten an, dass er unter dem damals neuen baden-württembergischen CDU-Innenminister Thomas Strobl in dessen Ressort ganz bestimmt niemals Karriere machen werde. Jetzt wird der 63-Jährige dort doch noch Staatssekretär. Auf Druck der Landtagsfraktion, und weil ihm zugetraut wird, wieder Ruhe in die Polizei zu bringen und den Blick weg von den Affären zurückzulenken auf den bewährten Markenkern der Union, der inneren Sicherheit. Und noch einen Vorzug bringt der Jurist mit, der den Umweg über eine Banklehre nahm: Angesichts seines Alters steht er bei künftigen Personalentscheidungen der Verjüngung in der CDU nicht im Wege, die von Fraktionschef Manuel Hagel auf vielen Ebenen energisch vorangetrieben wird.

Natürlich werde Blenke, behaupten Abgeordnetenkolleg:innen mit unschuldigem Augenschlag, nicht als Aufpasser ins Innenministerium geschickt, sondern wegen seiner politischen Erfahrung. Tatsächlich jedoch wird die Vorstellung, er solle permanent ein Auge haben auf seinen notorisch wenig trittsicheren Minister, gestützt von einem ganz speziellen Geschenk, das dem neuen Staatssekretär aus Anlass seiner Ernennung unlängst überreicht wurde, begleitet vom warmen Applaus der Anwesenden: der Lego-Feuerwehr-Baukasten "Löscheinsatz und Verfolgungsjagd". Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Ein Hardliner, der für James Bond schwärmt

Blenkes Sattelfestigkeit in vielen Themen steht außer Frage. Seit 2001 und seinem ersten Einzug ins Landesparlament ist er mitzuständig für die innenpolitische Ausrichtung der Union. Er ist ein emsiger Arbeiter im Wahlkreis, mit vielseitigen Interessen, manchmal auch eher abseitig wirkenden wie etwa der Frage, ob sich Kamelzucht im Nordschwarzwald lohnen könnte. Mit dem Grünen Winfried Kretschmann verbindet ihn die Leidenschaft für James Bond. Tom, wie ihn Weggfährt:innen nennen, besitzt nicht nur Detailkenntnisse über sämtliche 007-Filme, sondern sogar eine umfangreiche Sammlung von Informationen zu Darsteller:innen oder Drehorten.

Vier Innenminister hat Blenke erlebt. Der erste – Thomas Schäuble (CDU) – zählte zu seinen Mentoren. Die Entwicklung der Wahlergebnisse im Wahlkreis Calw steht jedoch exemplarisch für den Niedergang der Südwest-CDU: Vor 22 Jahren fuhr der frühere Gemeinde- und Kreisrat gut 46 Prozent der Stimmen ein, am Wahlabend 2021 musste er lange zittern um sein Direktmandat, das er schließlich mit weniger als 29 Prozent verteidigte. Bei vielen Themen ist er ein konservativer Hardliner, lehnt Heroinabgabe an Schwerstabhängige ebenso ab wie die anonyme Kennzeichnungspflicht von Polizeikräften bei Großeinsätzen. Immer wieder komplett daneben lag er mit allzu optimistischen Prognosen zum Wiederaufstieg der Partei nach dem Machtverlust an die Grünen. 2021 blieb die Hoffnung unerfüllt, Platz eins in Baden-Württemberg zurückzuerobern. Davon, was er von Koalitionspartner hält, machte der gebürtige Ludwigshafener im Wahlkampf kein Hehl. In seinen Reden nennt er die Grünen eine "zutiefst linke Partei".

Im Innenministerium soll er nun Strobl unter die Arme greifen. In der Fraktion allerdings hat Blenke ein bemerkenswert großes Loch gerissen. Denn sein Wechsel ist mitauslösend für die jüngsten, überraschenden Unwuchten in Manuel Hagels Truppe: Die turnusmäßige Bestätigung des Fraktionschefs lief aus dem Ruder. Von 95 Prozent Zustimmung zu Beginn der Legislaturperiode, als Hagel seinen Vorgänger Wolfgang Reinhardt beiseite räumte, ist er jetzt auf 75 Prozent abgesackt – acht von 41 Abgeordnete stimmten mit Nein, zwei enthielten sich. Dabei wollte der bis dahin stets als starker Mann gerühmte Hoffnungsträger doch eigentlich auf dem Weg zur Spitzenkandidatur 2026 beim Parteitag im November Strobl im Landesvorsitz ablösen.

Jetzt muss der Nachfolger vor den U-Ausschuss

Ob und wie sehr Blenke vor seinem Löscheinsatz im Innenministerium noch in der Fraktion gebraucht worden wäre, wird sich am 10. Juli bei der nächsten Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Besetzungs- und Beförderungspraxis bei der Polizei und der Brief-Affäre des Innenministers zeigen. Denn dann muss der Schorndorfer CDU-Landtagsneuling Christian Gehring in den Zeugenstand. Grund: Der frühere LKA-Präsident Ralf Michelfelder hatte ihn jüngst vor dem Gremium bezichtigt, Unterstellungen über ihn verbreitet zu haben. Offenbar mit dem Ziel, Michelfelders Aussage im Untersuchungsausschuss unglaubwürdig wirken zu lassen. Immerhin war bekannt, dass der Spitzenbeamte ein scharfer Kritiker der fachlichen Fähigkeiten von Andreas Renner war, dem Inspekteur der Polizei, der wegen des Vorwurfs sexueller Übergriffe vom Dienst suspendiert ist und deswegen gerade vor Gericht steht. Und dass er, Michelfelder, bereit ist, über die Schwächen Renners zum Beispiel im operativen Bereich im Ausschuss Klartext zu reden.

Gehring wird die massiven Vorwürfe gegen ihn kaum entkräften können. Dennoch hat Hagel vor gut einer Woche die Wahl des 44-Jährigen zum Blenke-Nachfolger und neuen innenpolitischen Sprecher nicht verhindern können oder wollen. Gut möglich, dass der nach seinem Zeugenauftritt diesen Job gleich wieder los ist oder zumindest seinem Sitz im Untersuchungsausschuss räumen muss. Das dort nicht eben durch besondere Stärke glänzende schwarze Team müsste dann zwei Abgänge kompensieren; auch Blenke hat seinen Platz im Ausschuss mit dem Umzug ins Innenministerium zu räumen.

Das würde das schon existierende Grollen in den CDU-Reihen wohl verstärken, auf das Hagel und sein Umfeld bislang vergleichsweise realitätsverweigernd reagieren. So wurde zunächst das Wahlergebnis des Vorsitzenden offiziell als Bestätigung verkauft, ohne auf Zahlen und Details einzugehen. Er selber jubelte über das "Kraftzentrum der Koalition" und schwärmte in dem ihm eigenen juvenilen Duktus vom "bärenstarken, superkompetenten Team mit jeder Menge Knowhow und einer tollen Mischung". Später wurde halboffiziell das magere Ergebnis damit erklärt, dass es Unzufriedene gebe in der Fraktion, die etwas werden hätten wollen, aber nichts wurden.

Die Kritik an Hagel wächst

Hinter vorgehaltener Hand laufen ohnehin viele Gespräche. Zum Beispiel darüber, wie sich der Fraktionschef und frühere Generalsekretär durch sein Engagement im Landtagswahlkampf vor Ort in den Wahlkreisen einen guten Ruf erworben hat bei vielen Abgeordneten. Und dass die aber jetzt, speziell die Neulinge, gut zwei Jahre nach ihrem Einzug ins Parlament, ihre Fähigkeiten gewürdigt sehen wollen. Oder darüber, dass Hagel, wie einer sagt, "an einer Wegmarke steht", an der sich werde zeigen müssen, "ob er wirklich integrative Fähigkeiten besitzt oder nur eine Projektionsfläche ist für die Hoffnung auf Geschlossenheit nach den vielen Jahren der Streitereien".

Eher misslich in Tagen wie diesen, dass der smarte Aufsteiger jetzt sogar bundesweit ins Blickfeld rückt und den Generationswechsel in der Union in den Parlamenten miteinläuten soll: als neu gewählter Chef der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz. "Zu guten Ergebnissen" will er kommen und "auf allen Ebenen Hand in Hand arbeiten". Daheim wird dagegen die These ventiliert, Hagel könnte den nächsten Karriereschritt im eigenen Beritt – den Griff nach dem Parteivorsitz – erst einmal um ein Jahr aufschieben. Strobl müsste dann ebenfalls auf den Deal eingehen und sich erneut zum Landeschef küren lassen, befristet auf ein Jahr. Mit ausdrücklicher Zustimmung von Kretschmann übrigens, der im kleinen Kreis schon mehrfach bekannte, sollte ihn jemand fragen, würde er der CDU raten, fürs erste am amtierenden Vorsitzenden festzuhalten.

Jedenfalls steckt der kleinere Regierungspartner unversehens in Personaldebatten und Hagel vor den Fragen, ob, wie und wann er seine Rolle neu definieren muss. Als sich im Oktober der Innenminister in einer Sondersitzung der Fraktion stellte, weil er die Geldauflage der Staatsanwaltschaft von 15.000 zur juristischen Beendigung der Brief-Affäre annehmen wollte, ließ der Vorsitzende die Gelegenheit zum Machtwort und -wechsel verstreichen. "Greift er nicht offensiv nach dem Landesvorsitz", prognostiziert ein langgedientes Vorstandsmitglied ein gutes halbes Jahr später, "werden es andere tun." Einen Fingerzeig könnte der Bezirksparteitag der Schwarzen in Nordwürttemberg am Samstag sein. Denn Strobl, seit seiner Wahl zum Generalsekretär 2005, gerne gesehener Gast und Redner auf Veranstaltungen dieser Art, tritt diesmal gar nicht auf. Stattdessen geladen in die Stadthalle nach Remseck ist – wer sonst – Manuel Hagel.


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1 Kommentar verfügbar

  • Dietmar Rauter
    am 30.06.2023
    Antworten
    Eigentlich sollte die Stimmen der Reaktionäre längst verstummt sein: Merz & Co versuchen ja verzweifelt ein neues wording zu finden jenseits christlich-abendländischer Kultur, die nicht mehr en-vogue zu sein scheint. Mit 'Grünen' , die sich einer Wiederbelebung einer mit Barschel, Strobl & Co schon…
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