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Resilienz, Schresilienz

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Die Hitze hat ihr erstes Opfer in der Kontext-Redaktion gefordert: Eine Fritz-Box gab am Montagmorgen ihren Geist auf. Internet- und Telefon-Kapazitäten waren danach zwar etwas holprig, aber nicht perdu, da wir noch einen weiteren Router in petto hatten. Denn, da sind wir ganz up to date, wenn nicht gar state of the art, Resilienz wird bei uns großgeschrieben.

Resilienz! Wann machte sich dieses Wort, das der Duden noch leicht antiquiert als "psychische Widerstandskraft" erläutert, eigentlich im Alltagsgebrauch breit? Resilient muss heute so gut wie alles sein: Menschen, Gesellschaften, Systeme, es ist eigentlich genauso wichtig, wie nachhaltig zu sein, weswegen beide Begriffe auch gerne in Kombination gebraucht werden. Städte müssen für die Herausforderungen des Klimawandels und sonstiger Krisen resilient werden, Demokratien für die Bedrohungen durch Feinde von rechts (viele) und links (nicht so viele), und Infrastrukturen sowieso gegen alle möglichen Fährnisse. So forderte Baden-Württembergs rühriger Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) schon 2017, das Bahnnetz im Lande müsse resilienter werden – die folgenschwere Rastatter Schienenverbiegung hatte da gerade mit reichlich Zugumleitungschaos gezeigt, dass dem nicht wirklich so ist.

Seitdem hat sich leider nicht arg viel getan. Wegen mangelhafter technischer Resilienz eines ICEs, gepaart mit mangelhafter Treffsicherheit beim Anfahren des passenden Gleises, konnte Kontext-Redakteurin Gesa von Leesen kürzlich am Esslinger Bahnhof ICE-Reisende beim unfreiwilligen Spaziergang durchs Schienenbegleitgrün beobachten, ehe sie selbst in ihre verspätete S-Bahn einstieg. Ach, Resilienz, Schresilienz.

Um die notwendige Resilienz unserer Städte ging es unter anderem auch bei der Urban-Future-Konferenz in Stuttgart, auch wenn Interessierte eine gewisse finanzielle Resilienz mitbringen mussten – 499 Euro Tagungsgebühr kostete der Spaß. Dafür waren dann aber auch für Stuttgarter Ohren total verrückte Sachen zu hören. Etwa dass, wenn Fahrspuren und Parkplätze für Autos entfernt werden, man ja nicht nur etwas wegnehme. Denn Fußgänger und Radfahrer bräuchten ja viel weniger Platz, und der öffentliche Raum werde neu belebt. Weird Shit.

Ganz so seltsam geht's im Stuttgarter Gemeinderat noch nicht zu, oder noch viel mehr, je nach Perspektive. Dort konnte Kontext-Redakteur Minh Schredle nämlich parallel zur Konferenz die Mühen der Ebene bei der Gestaltung der Stadt der Zukunft beobachten. Bei beiden Veranstaltungen bewies Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper, dass die Grenzen seiner Frohsinns-Resilienz noch lange nicht erreicht sind.

Wenig Frohsinn bereitet allerdings der Blick auf manche Verfechter einer angeblich resilienten Demokratie. Die Stärkung der politischen Mitte sei da das beste Mittel, behaupten einige selbsternannte Vertreter der Mitte der Gesellschaft wie CDU-Chef Friedrich Merz. Doch "die Mitte war schon immer die Mitte von rechts", meint dagegen unsere wie immer angriffslustige Kolumnistin Elena Wolf. Weswegen gegenüber rechten Umtrieben auch immer etwas mehr Toleranz da sei. "Die Mitte", schreibt Wolf, habe nie eine "Brandmauer gegen rechts" gezogen, "weil sie sich dann selbst eingemauert hätte". Aktuelle Folge: ein AfD-Landrat in Thüringen.

Einen Tipp zu demokratischer Resilienz gab es dafür von unerwarteter Seite: Bei einem Bürgerdialog in Weimar sagte FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner, die AfD sei "das größte Standortrisiko für Ostdeutschland", und niemand sei "gezwungen", aus Unzufriedenheit die AfD zu wählen. Sondern "notfalls könnte man auch die Linke wählen". Und auch wenn er betonte, dass ihm diese Aussage in der Seele weh täte und er sie im Nachhinein zu relativieren versuchte, sei ihm hiermit der wöchentliche demokratische Resilienz-Kaktus der Redaktion verliehen. Bis er wieder zu sich gefunden hat.


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1 Kommentar verfügbar

  • Korinthenkacker
    am 28.06.2023
    Antworten
    "!"-das hat der Fritz! gefehlt! Darum funktionierte sie nicht mehr!
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