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Urban-Future-Konferenz in Stuttgart

Zukunft für zahlende Gäste

Urban-Future-Konferenz in Stuttgart: Zukunft für zahlende Gäste
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 Fotos: Jens Volle 

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Wer gestaltet die Zukunft? "Die Zivilgesellschaft ist uns sehr wichtig", betonen die Macher:innen der Urban-Future-Konferenz, bei der es in Stuttgart drei Tage lang um Stadtentwicklung ging. Die Einladung an die Bürger:innen der Stadt: "Mitreden, Mitmachen, Mitentscheiden!" Kostenpunkt: 499 Euro.

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"Warum Rosmarin?", will Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper wissen. Ein in Baumform geschnittenes Exemplar des aromatisch riechenden Mittelmeergewächses ist der "Urban Future Tree", den der OB am Ende des Pressetermins am vergangenen Mittwoch an Chantal Zeegers übergeben soll, Bürgermeisterin für Klima, Bauen und Wohnen aus Rotterdam, wo die Konferenz nächstes Jahr stattfinden wird. "Wollen Sie eine ehrliche Antwort?", fragt Urban-Future-Pressesprecherin Astrid Krenn. "Rosmarin war einfach zu bekommen." Er stehe für Natur und Lebensfreude. Nopper macht daraus: "Rosmarin steht für Wachstum und ist deshalb genau das Richtige."

Sicher, Pflanzen wachsen. Aber ist das auch genau die richtige Metapher für eine Nachhaltigkeitskonferenz? Der OB fährt fort: "Ich wünsche mir, dass der Einsatz und das Interesse für Nachhaltigkeit weiterwachsen möge." Eine typische Nopper-Volte. Morgens in seiner Eröffnungsrede hat er gesagt, Stuttgart sei "geradezu der geborene Veranstaltungsort für diese größte und bedeutendste Veranstaltung für nachhaltige Städte". Warum? Weil die Stadt sich das "sehr sportliche Ziel" gesetzt habe, bis 2035 klimaneutral zu werden.

Rund 2.000 Teilnehmer:innen sind zur Urban-Future-Konferenz nach Stuttgart gekommen. In mehr als 70 Gesprächsrunden diskutieren vom 21. bis 23. Juni 300 Redner:innen von allen Kontinenten. "Jeder weiß, was zu tun ist", hatte Krenn in einem ersten Pressetermin im April festgehalten, "aber das ist irgendwie noch zu wenig." Man müsse ins Doing, ins Handeln kommen. Also etwas mehr als Ziele setzen. Stuttgart ist noch lange nicht klimaneutral.

Wer Kartoffelsalat erfindet, kann auch Klimaschutz

Da muss wohl der schwäbische Erfindergeist ran. "Schwäbische Tüftler, Schaffer und Brettlesbohrer", so Nopper, "haben das Automobil, die Zündkerze, die Relativitätstheorie, die Spätzle und die Spätzlespresse, die elektrische Handbohrmaschine, den Zeppelin, den Kartoffelsalat erfunden. Und schwäbische Entwickler und Erfinder sind auch in der Gegenwart für eine klimaneutrale Welt aktiv."

Nopper ist nur der Grußwortonkel. Peter Pätzold, der Stuttgarter Amtskollege von Rotterdams Baubürgermeisterin Chantal Zeegers, ist wiederum zwar kurz gesehen worden, hüllt sich jedoch in Schweigen. Er ist mit seiner Wiederwahl beschäftigt, die am zweiten Tag der Konferenz, in aller Stille, nur knapp gelingt. Ohne Gegenkandidat erhält er nur 32 von 60 Stimmen.

Auf die Frage des Konferenzgründers Gerald Babel-Sutter, was sie sich von der Urban Future erhoffe, antwortet Zeegers, sie möchte "von anderen Städten lernen, was Rotterdam noch besser machen kann". Klimagerechtigkeit sei neben dem steigenden Meeresspiegel die größte Herausforderung. Jeder Sechste sei arm – in Stuttgart ist das nicht viel anders. "Kommunikation ist keine Einbahnstraße", erklärt Zeegers: "Wir müssen auch zuhören."

Lernen und Zuhören sind für Erkki Perälä vom Thinktank "Demos Helsinki" zwei zentrale Bestandteile einer "humble governance", des "bescheidenen Regierens". Er hat die estnische Hauptstadt Tallinn auf dem Weg zur Grünen Hauptstadt Europas 2023 beraten. Seit zehn Jahren ist dort der Nahverkehr für die Bewohner:innen der Stadt kostenlos. "Unsere Verwaltungen wurden geschaffen für die Industrie", stellt Perälä fest. Mit Nachhaltigkeit sei dies nicht vereinbar. Als Programmdirektor bei NetZeroCities, einem Projekt des European Green Deal, unterstützt er Städte dabei, bis 2030 (!) klimaneutral zu werden. Aber wie?

"Wir kennen die Antworten noch nicht", sagt Perälä und spricht von kollektivem Lernen. Bürger, Unternehmen, alle Beteiligten müssten in die Entscheidungsfindung einbezogen sein. Veränderungsprozesse führten immer dazu, dass jemand Macht abgeben müsse. "Das macht alles sehr zäh." Es folgt eine Diskussionsrunde zu den Voluntary Local Reviews (VLR), das sind freiwillige Berichte von Kommunen zu den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen.

Wichtige Akteure fehlen

Bei dieser Runde werden auch Zweifel an der Konzeption der Konferenz deutlich. Nadim Choucair, einer der 120 ehrenamtlichen Helfer:innen, versucht durch eine indirekte Frage herauszufinden, welche lokalen Akteure denn in die Konferenz einbezogen wurden, worauf sich Bettina Bunk von der städtischen Abteilung Außenbeziehungen in umständlichen Erklärungen verliert. Ist seine Frage damit beantwortet? "Nein", sagt Choucair nur kurz, kommt aber anschließend noch einmal her. Er sei ziemlich sicher, 85 Prozent der für Nachhaltigkeit wirklich wichtigen Akteure in Stuttgart seien an der Konferenz weder beteiligt, noch auch nur angesprochen worden.

Und er hat recht: Auf Kontext-Nachfrage im Vorfeld nennen die Organisator:innen eine überschaubare Zahl von Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, zu denen sie Kontakt haben und von denen sie wissen. Wichtige Initiativen wie Critical Mass, Zweirat oder das Wasserforum sind nicht dabei. Bei 499 Euro Tagungsgebühr hält sich das Interesse ohnehin in Grenzen. Das Projekt Wanderbaumallee gefiel den Veranstalter:innen. "Die wollten ein paar Wanderbäume vor dem Haus der Wirtschaft als Deko", sagt Hanka Griebenow, Mitbegründerin des Projekts. "Das entspricht aber nicht unserem Konzept. Unser Konzept besteht darin, Parkplätze umzuwidmen."

Warum in der Innenstadt, entgegen einem Gemeinderatsbeschluss, immer noch Autos parken: Das war eines der Themen, die Peter Erben vom FUSS e.V. vorgeschlagen hat. Die Antwort von Cornelia Forsthuber vom Organisationsteam der Konferenz: Das Thema Parkraummanagement stoße auf großes Interesse. Es wird dann allerdings ganz anders behandelt: Die Firmen Mercedes-Benz, Bosch und Europas größter Parkhausbetreiber Apcoa führen ein autonomes Einparksystem vor. Mercedes-Benz gehört zu den Hauptsponsoren der Konferenz. Der Vorstandsvorsitzende Ola Källenius spricht zur Eröffnung und in einer Diskussion zum Thema Visionen. An mehreren Gesprächsrunden zur Mobilität sind Vertreter des Unternehmens beteiligt. Vor dem Haus der Wirtschaft stehen nicht Fahrräder, sondern ein Mercedes-Transporter, ein Bus und ein Lkw.

Wie gelingt Verkehrswende? Prioritäten setzen

Dabei kommt das Thema Mobilität auf der Konferenz auch ganz anders zur Sprache. "Willkommen zu einem der wichtigsten Panels", beglückwünscht der Heidelberger Informatik- und VWL-Student Bassit Agbéré die zahlreichen Teilnehmer:innen einer Veranstaltung, an der auch Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann teilnimmt. Der Verkehr in der Region Stuttgart bestehe nämlich zu 40 Prozent aus Pendlern. Mit dem Katy Freeway, einer 26-spurigen Autobahn in Texas, zeigt Agbéré, was in der Verkehrsplanung schiefläuft: Schon zwei kurze Regionalzüge würden genügen, um dieselbe Menge an Pendlern zu befördern.

Während Hermann einräumt, er habe lernen müssen, darauf Rücksicht zu nehmen, dass in Baden-Württemberg 70 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt würden, betont die eigentliche Hauptrednerin Sidsel Birk Hjuler, es käme darauf an, Prioritäten zu setzen. Hjuler ist Stadtplanerin und hat als Amtsleiterin in Kopenhagen ein Netz von 850 Kilometer "Cycle Superhighways" eingeführt, die 29 Kommunen verbinden. Etwas paradox ist die deutsche Bezeichnung Fahrradautobahnen.

"Ich bin nicht der Bürgermeister von Stuttgart", poltert Hermann auf den Einwand, die Landeshauptstadt sei wenig fahrradfreundlich. Auf die Frage, ob das Fahrradfahren den Dänen eher im Blut liege als den Menschen im hügeligen Stuttgart, antwortet Hjuler: Ganz gewiss nicht. Auch Kopenhagen habe früher sechsspurige Autobahnen direkt am Ufer der Seen im Nordwesten der Stadt geplant, heute ein beliebtes Naherholungsgebiet. Wer Fahrspuren und Parkplätze entferne, nehme ja nicht nur etwas weg, betont Hjuler. Fußgänger und Radfahrer bräuchten wesentlich weniger Platz. Der öffentliche Raum werde neu belebt, gut für Gesundheit, Wohlbefinden und Demokratie.

Schneckentempo in Stuttgart

Anders als in Kopenhagen kommt die Verkehrswende in Stuttgart nur im Schneckentempo voran. Neue Ansätze hat schon vor Jahren das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur (Kontext berichtete) erprobt, im Austausch von universitärer Forschung und Initiativen der Zivilgesellschaft. Nur lief nach knapp fünf Jahren die Förderung aus. Was hat das Projekt bewirkt? Mit dieser Frage beschäftigte sich die einzige Veranstaltung im Rahmen der Konferenz, die kostenfrei zugänglich war.

In der Kirche St. Maria zogen am vergangenen Donnerstag sechs Hauptakteure des Projekts und ein paar weitere Beteiligte Bilanz. Reallabore sind mittlerweile weitverbreitet. Das Future City Lab, wie es in Stuttgart auch genannt wurde, hätte aber einen viel längeren Atem gebraucht. Denn der Wandel gestaltet sich zäh, wie sich an den Parklets, umgewandelten Parkplätzen zeigt. Ohne die Initiative der Studierenden, ohne die Rückendeckung der Uni, ohne die Bereitschaft des Ordnungsamts, sich auf das Experiment einzulassen, ohne das Engagement auch der Anwohner hätte sich etwa der Schützenplatz im Stuttgarter Kernerviertel niemals von einer zugeparkten Kreuzung in einen grünen Nachbarschaftstreff verwandelt.

Und just an dem Tag, an dem die Diskussion in St. Maria stattfindet, ändert der Gemeinderat die Regeln. "Aus der mehrjährigen Evaluierung der Parklets hat sich der Mehrwert für die Stadtgesellschaft dargestellt", heißt es in der Vorlage, die einstimmig angenommen wird. "Der öffentliche Raum wurde belebt, die Aufenthaltsqualität in den Quartieren gestärkt." Susanne Scherz, Leiterin der Abteilung Straßenverkehr, sagt sie, habe einiges gelernt, was sie auch in ihre neue Aufgabe mitnehmen könne, wenn sie ab September die Leitung des Amts für öffentliche Ordnung übernimmt.

Guter Rat aus Helsinki: schneller scheitern

Das "conference highlight", die "Cities FuckUp Night" am Donnerstag, erweist sich als eine Art Revue des Scheiterns. Vier möglichst Prominente beichten ihre Misserfolge: eine Fehlerkultur-Show mit erweckungsreligiösen Untertönen. Die Geschlechterrollen sind dabei konventionell verteilt. Kaisa-Reeta Koskinen, die als Leiterin der Klima-Abteilung in Helsinki die finnische Hauptstadt zur Klimaneutralität führen soll, gesteht demütig, was sie alles falsch gemacht hat. Ihre Empfehlung: schneller scheitern. Die drei Männer dagegen, Reykjaviks amtierender Bürgermeister Dagur Bergþóruson Eggertsson, Lissabons früherer stellvertretender Bürgermeister Miguel Gaspar und der kanadische Stadtplaner Gil Peñalosa, strotzen nur so vor Selbstbewusstsein. Peñalosa ist der Stargast der Konferenz. Sein schlichtes Fazit: Nur wer gar nichts tut, macht keine Fehler.

Zur Auflockerung bringt der Stuttgarter Tänzer und Choreograph Eric Gauthier in einer Spaghetti-Carbonara-Choreographie den ganzen Saal dazu, sich mit der Hand an den Hintern zu klatschen und die Hüften zu schwingen. Da macht auch der ehemalige Chef der SPD-Gemeinderatsfraktion Martin Körner freudig mit, von dem man nicht mehr viel gehört hat, seitdem er für OB Nopper das Referat für Strategische Planung und Nachhaltige Mobilität übernommen hat. Und dann ist auch der Oberbürgermeister wieder da, um zum Abschlussfoto mit allen Beteiligten sein Grinsegesicht vor die Kamera zu halten.


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7 Kommentare verfügbar

  • Reinhard Gunst
    am 29.06.2023
    Antworten
    Der Urban-Future-Konferenz-Zirkus zieht weiter und lässt natürlich Stuttgart in einem guten Gefühl zurück. Mit kräftigem Schulterklopfen entstand hier eine Atmosphäre die der Bambi Verleihung gleichkam. Unter größt möglichem Aufwand und unter Missachtung jeglicher CO2 Bilanz wurden A, B und…
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