KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Mobilitätswende in Baden-Württemberg

CDU blockiert, Grün macht mit

Mobilitätswende in Baden-Württemberg: CDU blockiert, Grün macht mit
|

Datum:

Das Mobilitätsgesetz ist eines der großen Klima-Vorhaben aus Baden-Württembergs grün-schwarzem Koalitionsvertrag. Für die CDU war das eine zu schluckende Kröte, um mitregieren zu können. Jetzt torpediert sie das Vorhaben und bekommt Schützenhilfe vom grünen Finanzminister.

Die Beschlüsse sind unmissverständlich. Das Mobilitätsgesetz, so versprach die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg vor zwei Jahren, sollte die "Leitlinien einer nachhaltigen, klimafreundlichen und verlässlichen Mobilität" festschreiben. Bei der Präsentation des Koalitionsvertrags im Mai 2021 stellte Vize-Regierungschef Thomas Strobl (CDU) die Landesregierung gar als "Gemeinschaft von Visionären" dar, die – Albert Einstein zitierend – mehr an der Zukunft als an der Vergangenheit interessiert sei, "denn in der gedenken wir zu leben".

Dann legte Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) einen ersten Entwurf für das Mobilitätsgesetz vor. Die CDU ließ kein gutes Haar daran – der Entwurf sei "keine geeignete Grundlage für den weiteren Prozess", heißt es in einem Schreiben von CDU-Fraktionschef Manuel Hagel. So lässt sich der parlamentarische Prozess für ein Gesetzgebungsverfahren bis zum Sankt-Nimmerleinstag verzögern.

Grüner Finanzminister rückt kein Geld raus

Der Finanzierungsvorbehalt fand sich denn auch nur im Kleingedruckten. Er gilt für alle Vorhaben, sogar für die ganz großen, die hehren Ziele in der Klima- und Mobilitätspolitik. Zwar sitzt Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) auf Rücklagen in Milliardenhöhe. Er will aber, in Absprache mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann, möglichst wenig Geld herausrücken. Nicht einmal, um die im Kampf gegen die Erderwärmung so wichtige Verkehrswende zu stemmen. Dabei gibt es für die Kredite, die die Landesregierung aufgenommen hat – kürzlich noch einmal eine Milliarde Euro –, gar keine Zweckbindung.

Entscheidendes passiert aber jetzt schon, denn die Strategen in der CDU-Landtagsfraktion haben die Schwachstelle der Grünen blitzsauber analysiert. Denn die haben sich, gut zwei Jahre nach ihrem dritten Wahlerfolg, in eine gefährliche Sackgasse manövriert. Sie nehmen hin, dass sogar das als "Garantie" formulierte Nahverkehrsversprechen eingesammelt wird, wonach alle Orte in Baden-Württemberg von fünf Uhr früh bis Mitternacht mit dem ÖPNV erreichbar sein sollen.

Und – schlimmer noch – sie nehmen hin, der "Menschheitsaufgabe Klimaveränderung" (Kretschmann) nicht mehr gerecht zu werden: Bis 2030 müsste der Verkehrssektor 55 Prozent seiner CO2-Emissionen eingespart haben. "Letztlich begrenzen natürlich die Haushaltsmittel solche Vorhaben", sagte der Regierungschef schon vor Weihnachten lakonisch. Man kriege "eben nicht alles auf einmal hin".

Von "allem" kann auch keine Rede sein. Es geht vielmehr um eine ehrliche Priorisierung, die den Erwartungen entspricht, die die Grünen im Wahlkampf und die Schwarzen vor dem Eintritt in die Koalitionsverhandlungen geweckt haben. Schon im Sondierungspapier sind klimafreundliche Mobilität und Verkehrswende als Ziele festgehalten. Dazu zählt der Ausbau von ÖPNV und Radwegen, sowie Kommunen per Landesgesetz "das Recht zu geben, mit einem Mobilitätspass Einnahmen zu erzielen".

Rommel war dafür, Nopper ist dagegen

Als dieser Pass noch "Nahverkehrsabgabe" hieß, wollte die damalige CDU-Alleinregierung Anfang der 1990er-Jahre sogar den bundesweiten Alleingang wagen. Umgesetzt wurden die Beschlüsse allerdings nie, wiewohl einer der prominentesten Unterstützer kein anderer als Stuttgarts legendärer Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) war, der vielfach für den "dringend notwendigen Ausbau" des ÖPNV warb. Sein Parteifreund und Nachnachnachfolger Frank Nopper hat dagegen eben erst den Rückwärtsgang eingelegt. Denn die Menschen seien durch die hohe Inflation ohnehin belastet. Dabei geht es nur um 25 Euro, die – eine der diskutierten Varianten – alle Autofahrer:innen pro Monat berappen müssten, also etwa um den Gegenwert von zwei Maß Bier auf dem Stuttgarter Frühlingsfest.

Nur wenig später legten CDU-Fraktionschef Manuel Hagel und sein verkehrspolitischer Sprecher Thomas Dörflinger in einem gemeinsamen Schreiben an Verkehrsminister Winfried Hermann nach. Der soll den gesamten Entwurf für ein neues Landesmobilitätsgesetz wieder einpacken, weil er als Gesprächsgrundlage nicht tauge. Der Widerstand in seiner eigenen Fraktion oder im Staatsministerium gegen diesen Querschuss des Koalitionspartners ist unter der Nachweisgrenze. Nach der grünen Umweltministerin Thekla Walker darf sich auch Hermann mit der Zwangsmitgliedschaft im Klub der Alleingelassenen anfreunden. Nur hinter den Kulissen schäumen einige Parteifreund:innen, weil von der CDU "eines der zentralen Vorhaben der Legislaturperiode torpediert wird". Nach außen lässt eine Sprecherin der Grünen-Fraktion dagegen verlauten, dass die CDU Abmachungen "als verlässlicher Partner einhält und zur Umsetzung der gemeinsamen Koalitionsvereinbarung steht".

Ohne Mobilitätsgesetz tun sich gerade diejenigen schwer, die die Verkehrswende mitumsetzen müssen – die Städte und Gemeinden. Stuttgart war eine der 21 Modellkommunen im Land, für die diverse Varianten eines Mobilitätspasses berechnet wurden. Jetzt könnte sie "Vorreiterkommune" werden und die praktische Umsetzung erproben, die Mehrheit im Gemeinderat dafür fehlt aber. "Wir nehmen die Verkehrswende wirklich ernst", erklärt die klimapolitische Sprecherin der SPD-Gemeinderatsfraktion Lucia Schanbacher, "wir sind auch nicht ausgestiegen, aber wir verlangen vor dem nächsten Schritt das angekündigte Mobilitätsgesetz." Eben jenes, das die CDU im Landtag gerade plattzumachen versucht.

In Wien funktioniert die Abgabe gut

Die 32-Jährige hat gerade erst am gemeinsamen Antrag von Grünen, SPD und der linken Fraktionsgemeinschaft mitgeschrieben. In dem wird unter anderem verlangt, das Ziel der Klimaneutralität in der Landeshauptstadt bis 2023 mit einem "Reduktionspfad" zu unterlegen. Vom Mobilitätspass allerdings ist keine Rede, selbst wenn Schanbacher zumindest eine Variante für akzeptabel hält: die Einführung einer Arbeitgeber-Abgabe. Bei zehn Euro monatlich pro Arbeitnehmer:in könnten allein für Stuttgart 52 Millionen Euro erwirtschaftet werden, um – siehe Rommel vor 32 Jahren – den weiteren Ausbau des ÖPNV zu stemmen. Arbeitgeber:innen, die bereits ein Jobticket unterstützen, würden ganz oder teilweise entlastet. Anderen wollen die Befürworter:innen Beine machen. Die SPD-Gemeinderätin nennt Bosch.

Freie Wahl

Vier Varianten von Mobilitätspass oder Nahverkehrsabgabe sind für die Modellkommunen untersucht: eine Abgabe pro Einwohner:in, das sogenannte "Bürgerticket", die Abgabe pro Kfz-Nutzer:in, die klassische City-Maut nach Mailänder oder Londoner Vorbild (wer einfährt, muss zahlen) und die Arbeitgeber:innen-Abgabe. Das Verkehrsministerium macht keine Vorgaben. Vielmehr werden alle Modelle als grundsätzlich gleichberechtigt bewertet. "Die Kommunen können frei wählen", heißt es. Berechnet sind die Einnahmen jeweils für zehn, 15, 25 und 35 Euro. Variante eins brächte für Stuttgart zwischen 38 und 104 Millionen Euro pro Jahr, würden nur Kfz-Nutzer:innen zahlen, wären es zwischen 22 und 60 Millionen Euro, die City-Maut brächte zwischen 30 und 127 Millionen Euro, wobei unterstellt ist, dass es auch Tagestickets gibt. Und Arbeitgeber könnten zwischen 52 und 137 Millionen Euro abführen müssen. Bereits rechtlich geprüft ist, dass die Nahverkehrsabgabe auch von einem Land allein ermöglicht werden kann. Zugleich nimmt die Stadt Stuttgart für sich in Anspruch, dass "durch das dichte ÖPNV-Angebot die Mobilitätsgarantie bereits heute weitgehend erfüllt ist".  (jhw)

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie die Südwest-CDU in Land und Kommunen weiter Stimmung dagegen machen wird. Dabei würde vermutlich sogar Albert Einstein in diesem Fall den Blick zurück empfehlen: Seit inzwischen gut einem Vierteljahrhundert funktioniert in Wien die "Dienstgeberabgabe", auch "U-Bahn-Steuer" genannt, nicht nur reibungslos. Im Langzeitversuch in der österreichischen Bundeshauptstadt ist die Wirkung sogar bewiesen: Das Jahres-Ticket kostet seit Langem 365 Euro, inzwischen mehr als eine Millionen Kund:innen besitzen eines der preiswerten Angebote, 30 Prozent aller Wege werden mit Bussen oder Bahnen zurückgelegt, und in die Zukunft, in der sie leben wollen, blicken die Wiener:innen ebenso. Allein 2023 werden mehr als 700 Millionen Euro investiert, um im Verkehrssektor bis zu 75.000 Tonnen CO2 im Jahr einzusparen.

Ganz unabhängig von solchen einzelnen Varianten, die in Baden-Württemberg kopiert werden könnten, macht der Ministerpräsident höchstpersönlich keine Hoffnung auf baldige Fortschritte. Über das Landesmobilitätsgesetz soll weiterverhandelt werden zwischen Grünen und CDU. Die noch wichtigere Frage der Finanzierung von Mobilitätsgarantie und -pass entrückt regelrecht chimärenhaft in immer weitere Ferne, denn der Ministerpräsident verweist – siehe Finanzierungvorbehalt – auf den nächsten Doppelhaushalt des Landes für die Jahre 2025/2026.

Was allerdings bedeuten würde, dass die Grünen mit dem Bruch eines zentralen Versprechens in einen nächsten Wahlkampf gehen. Das lautete im Wahlprogramm von 2021, Städte, Kreise und Gemeinden "finanziell noch besser auszustatten", um eine Mobilität ohne Auto "günstig, einfach und sicher zu ermöglichen" sowie "die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen auf eigenen Wunsch einen Mobilitätspass als (Nahverkehrs-)Abgabe einführen können". Der Hinweis auf einen Finanzierungvorbehalt ist dort weit und breit nicht zu finden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Andreas
    am 21.04.2023
    Antworten
    Ich denke das hat mit dem Kapitalismus zu tun. Geld ist alles. Wer also hohe Fixkosten für ein Auto hat, nimmt keinen ÖPNV mehr. Macht kapitaltechnisch keinen Sinn. Hat nichts mit Ideologie zu tun.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!