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Thekla Walker

Die Alleingelassene

Thekla Walker: Die Alleingelassene
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Zehn Monate hat sich Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker gemüht, den vom grünen Ministerpräsidenten verkündeten Klimazielen Leben einzuhauchen. Die 53-Jährige weiß, wie wichtig es ist, die Nerven zu behalten.

Geringachtung hat viele Facetten. Winfried Kretschmann wollte unbedingt bei der Präsentation des baden-württembergischen Klimaschutzgesetzes, des "neuen dynamischen Instruments", vor Medienvertreter:innen dabei sein. Er findet aber keinen Weg, seiner Umweltministerin zu danken für ihre Arbeit, für Zähigkeit und Kompromissbereitschaft.

Dabei hätte Thekla Walker, die frühere grüne Landesvorsitzende, jede Unterstützung verdient. Denn mit an ihr hängt, dass große Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag keine Worthülsen bleiben, dass Kretschmann selber, wenn er irgendwann aufs Altenteil wechselt, einigermaßen zufrieden sein kann mit seiner Bilanz angesichts der "Menschheitsaufgabe", wie er den Kampf gegen die Erderwärmung nennt. Walker ihrerseits macht gute Miene zum vergeigten Spiel. Selbst Alt-Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) hätte in solch einer Situation ein Wort des Dankes und der Anerkennung gefunden. Aber darauf dürfe sie nicht hoffen, heißt es im Umweltministerium, und deshalb sei die Chefin von solchen Gesten "schon lange nicht mehr abhängig".

Selbst im Staatsministerium sitzen Bremser

Bei ihrem Amtsantritt 2021 war viel über die zu großen Fußstapfen ihres Vorgängers Franz Untersteller spekuliert worden. Die Realität allerdings hat gezeigt, dass diese Ministerin, anders als so manch anderer im Kabinett, konsequent die Klima-Agenda abarbeitet. Nachzulesen ist die im Sondierungspapier von Grünen und CDU aus dem Frühjahr 2021. Unterschrieben haben die Schwarzen sehr vieles, umgesetzt ist viel weniger. Selbst im Staatsministerium sitzen Bremser, weil Kretschmann und Amtschef Florian Stegmann schon immer der Koalitionsfriede wichtiger war als klare Kante.

Dabei sorgt Walker für den – im Rahmen grün-schwarzer Möglichkeiten – guten Ruf ihrer Partei, und das deutlich über den Tellerrand hinaus. Eben erst traf sie sich in Berlin mit ihren grünen Länder-Energieminister-Kolleg:innen, danach ging es zu Susanne Hyldelund, der Botschafterin des Königreichs Dänemark in Deutschland. Im Herbst fährt die Grüne mit einer Delegation nach Kopenhagen "um zu lernen", in Fragen der Wärmeplanung etwa, aber auch, um für Baden-Württemberg zu werben. "Wir müssen uns nicht verstecken", sagt Walker flott und dass ihr Optimismus unerschöpflich sei.

Die Mutter zweier erwachsener Söhne und Böblinger Landtagsabgeordnete hat ein großes Plus: Sie kann mit Menschen. Und sie kann vermitteln. 2011, als klar wurde, dass sie Parteichefin im Land werden sollte, beschrieb Walker, wie sie Sozialpädagog:innen vermittelt, in Kindern und Jugendlichen ein Gefühl für "die Wunder der Natur" zu wecken, für Flora und Fauna. Es gehe um eine "lebendige Beziehung" und darum, Begeisterung und "Neugierde auf alles" zu entfachen, was erhaltenswert sei. Auch weil sie als Stuttgarter Stadträtin ab 2009 nicht wirklich tiefe Spuren hinterlassen hatte, wurde viel gewitzelt über die Blondine – nicht nur in der oppositionellen CDU. Wegen ihrer Berufsbezeichnung "Naturpädagogin" oder wegen der auffallend vielen Stationen in ihrer Vita, unter denen sich das Stuttgarter Haus der Geschichte findet, die Stadt Göppingen oder die Freien Waldorfschulen.

Die Einschätzung sollte sich schlagartig ändern, als die Grünen-Landesvorsitzende 2016 in den Koalitionsverhandlungen den Schwarzen ein Zugeständnis abrang, das sogar den Ministerpräsidenten schwer beeindruckte. Zunächst die Bildungspolitiker:innen der CDU, dann aber auch Landeschef Thomas Strobl stimmen zu, der im Wahlkampf noch von der CDU heftig kritisierten Gemeinschaftsschule nicht nur den Bestand zu sichern, sondern sogar Oberstufen zu ermöglichen und damit den Weg zum Abitur zu eröffnen.

Überhaupt mussten sich neu mitregierende Männer erst einmal auf diese neue Welt politischer Gleichstellung einstellen. Die Ostwestfälin, die in Schelklingen auf der Alb Abitur gemacht und in Tübingen ohne Abschluss Anglistik studiert hat, ist Quotennutznießerin im besten Sinne. Vermutlich hätte sie – als zu leicht gewogen und als zu unbedarft beurteilt – weder in der Union noch bei den Liberalen den Ein- und Aufstieg geschafft, angesichts des heute noch in beiden Parteien schwer zähmbaren Hangs zu Männerseilschaften. In der Grünen-Fraktion wird die Generalistin hingegen sogleich nach ihrem Einzug in den Landtag Finanzpolitikerin und stellvertretende Vorsitzende. "Ich bin da, wohin ich wollte", sagt sie 2016. Und heute, auf der nächsten Sprosse der Leiter, beißen sich selbst gestandene Fachleute gelegentlich die Zähne aus an dieser Ministerin.

Er habe das Maßnahmen-Register zum Klimaschutzkonzept (KMR), das nach Sektoren gegliedert alle Klimaschutz-Aktivitäten der Landesregierung öffentlich einsehbar dokumentieren soll, nicht gebraucht, erklärt etwa Raimund Haser, einer der CDU-Umweltpolitiker, der viel lieber auf "einige zentrale Bereiche" setzen würde, die besonders viel Einsparung bringen. Zum Beispiel auf CO2-Einlagerung, die im großen Stil für Baden-Württemberg aber überhaupt erst noch möglich gemacht werden muss. Freigeschaltet im Netz ist das Register jetzt trotz der Skepsis unter den Schwarzen.

Fraktionskolleg:innen loben Walkers "Blick für Prioritäten" und die nicht so sehr verbreitete Gabe, komplexe Sachverhalte allgemeinverständlich darzulegen. Weggefährt:innen sind angetan von ihrer Hartnäckigkeit und wie sie auch als Einzelkämpferin um Erfolge ringt. Statt Unterstützung gebe es intern immer wieder Querschüsse aus dem Staatsministerium, berichtet ein Parteifreund, sogar als es um die Ausweisung von Windkraft-Standorten gegangen sei, "aber sie hat die Kuttel, das wegzustecken". Gegenwärtig wird sie noch anderes wegstecken oder aufarbeiten müssen, denn sogar natürliche Verbündete wie der BUND beklagen das KMR in einer ersten Reaktion als "unkonkretes Sammelsurium". Unverständlich findet es die Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch, dass die Koalition "ein so dürftiges und fantasieloses Papier vorlegt”, unter anderem, weil die Wirkung der Maßnahmen nicht quantifiziert sei und deshalb nicht abgeschätzt werden könne.

Kretschmann ist keine Hilfe

Prompt greift die Ministerin zu den Instrumenten, die sie besonders gut beherrscht. Sie erläutert auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kretschmann Funktion und Wirkung der ab sofort öffentlich einsehbaren fast 250 Maßnahmen: von drei Pedelecs, die das Kultusministerium anschafft, bis zu den großen Forschungs- und Förderprogrammen. Es gehe um einen Startschuss, um einen Auftakt, darum, dass jedes Ressort auf dieser Basis das eigene Vorgehen weiterentwickelt. Dann ergreift Kretschmann doch noch einmal das Wort, aber wirkliche Hilfe ist er wieder keine. Im Gegenteil: Er problematisiert den wissenschaftlichen Beistand, den sich Walker durch den neuen Klimasachverständigen-Rat geholt hat: Analysen seien das eine, meint der große Grüne, die Umsetzbarkeit das andere. Klimapolitik müsse wirtschafts- und sozialpolitisch atmen, sonst könne sie nicht erfolgreich sein.

Nur zur Erinnerung: Bis zum Jahr 2040 will Baden-Württemberg netto-klimaneutral sein, schon in gut sieben Jahren sollen die Treibhausgase um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Welche Treibhausgas-Mengen die einzelnen Sektoren – Industrie, Wohnungsbau, Verkehr oder Landwirtschaft – bis 2030 einsparen müssen, ist nicht nur wissenschaftlich errechnet, sondern seit Februar auch gesetzlich verankert. Sie wisse um ihre Möglichkeiten, sagte die damals Neue in einem Interview kurz nach Amtsantritt verschmitzt, und sie sei bereit, diese auch zu nutzen. Walkers Twitter-Account ziert jedenfalls noch immer das Wahlkampf-Motto der Grünen: "Wachsen wir über uns hinaus."


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