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Urban Future

Losgekickt

Urban Future: Losgekickt
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Die Zukunft kommt, so viel ist sicher. Nur welche? Die Urban Future Konferenz will Städte nachhaltiger machen. In einem Jahr tagt sie in Stuttgart. Doch wenn es mehr als eine Werbeveranstaltung werden soll, muss die Stadt sich bewegen.

Die Zukunft spricht englisch, das klingt immer gut. "Driving innovation for sustainable transformation" steht auf einer Leinwand im Stuttgarter Rathaus. Erneuerung vorantreiben für nachhaltigen Wandel: Nichts als Worthülsen? Auf den Kartons, die auf dem Podium des Großen Sitzungssaals aufgestapelt sind, wird es vollends international: "Livin' la vida local", steht da, abgewandelt nach dem Song des puertoricanischen Sängers Ricky Martin, in dem es allerdings nicht "vida local", sondern "vida loca", verrücktes Leben heißt.

Oberbürgermeister Frank Nopper bleibt bei seiner Muttersprache. Zu "Kick-off" fällt ihm kicken ein und der VfB, der derzeit am unteren Ende der Tabelle dahindümpelt. Nopper rahmt seine Rede mit je zwei Zitaten, am Anfang sein Vor-Vor-Vorgänger Manfred Rommel und Victor Hugo, am Ende Robert Bosch und Friedrich Schiller. Soviel Zeit muss sein.

Wo der Kick-off der Urban Future Konferenz 2023 abzuheben droht, sorgt der OB für Bodenhaftung. Zum Thema Mobilitätswende fällt ihm ein, dass man dabei die Ökonomie , sprich die Automobilindustrie, nicht vergessen dürfe: Stuttgart solle "Mobilitätshauptstadt werden und Automobilhauptstadt bleiben". Es gehe um alle Verkehrsarten, klar: Fußgänger, Radfahrer, öffentlicher Verkehr und das Auto. Und ab da spricht Nopper nur noch vom Auto.

Die Urban Future Konferenz ist nach eigenen Angaben "Europas größtes Event für nachhaltige Städte". In diesem Jahr hat sie im schwedischen Helsingborg stattgefunden und kommt nächstes Jahr, vom 21. bis 23. Juni, nach Stuttgart. "This charming Swabian city", das sei hier im englischen Original zitiert, "is one of the largest cities in the country and the capital of the state of Baden-Württemberg, which can be found in southern Germany." Diese bezaubernde schwäbische Stadt sei also eine der größten des Landes und Hauptstadt Baden-Württembergs, zu finden in Süddeutschland.

This charming Swabian City

Gerald Babel-Sutter, der Geschäftsführer und Urban-Future-Gründer legt los wie von der Leine gelassen. "Ist Ihnen schon mal passiert", spricht er die Zuhörer:innen direkt an, "dass Sie einen Plan hatten, der dann schief gegangen ist?" Die Urban Future Konferenz hat sich, wenn man Babel-Sutter glauben kann, wie von selbst entwickelt. Mit 40 Teilnehmern hatten sie 2014 in Graz gerechnet, dann kamen über tausend.

Er habe seine Marketing-Kenntnisse eingesetzt, um zu definieren, welche Zielgruppe sie ansprechen wollten, erzählt der Mann, der in New York Finanzwirtschaft studiert hat. Das Ergebnis: alle. Alle Disziplinen, alle Organisationen von der Stadtverwaltung bis zur kleinen Nachbarschaftsinitiative, alle Hierarchiestufen. "Sie alle eint, dass sie Nachhaltigkeit voranbringen wollen." Der Website zufolge ist inzwischen ein Netzwerk von 50.000 Urban Change-Makers entstanden. Wenn es nach der schieren Anzahl ginge, müssten Städte längst sehr viel nachhaltiger und klimafreundlicher sein..

Aber nein. "Zehntausende leidenschaftlicher Experten, die ihre Städte verändern wollen, handeln nicht", so steht es, natürlich auf Englisch, auf der Website. "Es gibt einen Durst nach umsetzbarem Know-How. Ein Informationsvakuum darüber, wie man den Wandel vorantreibt." Und weiter: "Es sind die Helden in unseren Städten, die leidenschaftlich die Städte verbessern wollen, die den Wandel vorantreiben. Wir wissen, es ist eine harte Arbeit."

"Actionable know-how" will die Konferenz vermitteln, "wirkungsvolle Lösungen" und "Antworten auf brennende Fragen". Aber nur positive Beispiele vorgeführt zu bekommen, kann auf Dauer ein wenig ermüden. Das Geheimnis des Erfolgs besteht darin, Hindernisse zu überwinden – die auch zum Scheitern führen können. Der Höhepunkt der Konferenz sei daher, so Babel-Sutter, die "Cities Fuckup Night". Das Format ist ursprünglich 2012 in Mexiko entstanden: Akteure erzählen, weshalb ihr Projekt fehlgeschlagen ist.

Highlight: Cities Fuckup Night

Einen kleinen Vorgeschmack gibt Elisabeth Meze, die in Innsbruck Bürgerbeteiligung organisiert. Oder besser: organisierte. Denn sie hat aufgehört, wie sie am Ende ihres Vortrags gesteht, nachdem sie begeistert von vielen schönen Dingen erzählt hat. Warum? Der Gemeinderat, politisch anderer Couleur als der grüne Bürgermeister, hat alle Anregungen torpediert. Die Zuhörer:innen im Großen Sitzungssaal sind betroffen, nein traurig.

Doch zurück zur "charming Swabian city": "Wusstest du, dass Stuttgart eine der innovativsten und am schnellsten sich wandelnden Städte ist?" stand in einer ersten Ankündigung im Juni. "Meet your peers" – triff deine Fachkollegen, steht auf der Website neben einem Bild des Tiefbahnhofs "Stuttgart 21" von Christoph Ingenhoven, "oder trete in Verbindung mit denen, die unsere Städte der Zukunft gestalten."

Sollte es nicht um Nachhaltigkeit gehen? Offenbar sind die Macher der Future Cities schlecht informiert. Als "architectural highlight" preisen die Konferenzmacher die Kelchstützen und den Tiefbahnhof als das größte Bahn-Erweiterungsprojekt seit dem 19. Jahrhundert. Dass der achtgleisige Durchgangsbahnhof die Kapazitäten eben nicht erhöht, lässt sich eigentlich an fünf Fingern abzählen und nachlesen. Ebenso, dass Stuttgart 21 alles andere als nachhaltig ist.

Damit nicht genug. Das Rosensteinviertel, das nach Fertigstellung des neuen Bahnhofs "Ende 2025" entstehen soll, rühmt die Website als die "Chance des Jahrhunderts für Stuttgart". Mehr als 180 Nationen, so heißt es weiter, leben in Stuttgart friedlich zusammen, darüber habe sogar die "New York Times" berichtet. Der Masterplan "Stadt am Fluss" würde den Reiz des Neckarufers noch weiter erhöhen – das sich bisher als öder Industriekanal präsentiert. An erster Stelle aber steht "Arena 2036", die Forschungsfabrik der Uni Stuttgart für die Automobilproduktion der Zukunft.

Wer sind denn nun die Change-Maker?

Moment mal. Es gibt eine zweite Website, genannt citychangers.org, auf der die vielen guten Ideen gesammelt werden, die auf den Konferenzen zur Sprache kommen. Auch da steht "Mobility" unter den topics an erster Stelle. Einen Klick weiter aber die autofreie Stadt, gefolgt von Innenstadtlogistik, Radfahren und zu Fuß gehen. "Du willst also deine Straße, dein Viertel, deine Stadt vom Autoverkehr befreien und weißt nicht wo anfangen?" fragt die Website und verspricht, alle notwendigen Angaben zu liefern.

Was denn nun? Braucht die autofreie Stadt eine Autofabrik der Zukunft? Oder soll Stuttgart Automobilhauptstadt bleiben, wie Nopper meint? Liegt nicht in dem Wörtchen "bleiben" schon genau jene Beharrungskraft, die den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit immer wieder ausbremst? Wer sind nun die "Change-Maker", Christoph Ingenhoven und die Automobilindustrie oder der Fußgängerverband FUSS e.V. und die Radaktivisten der Critical Mass?

Wer ein Projekt vorstellen will, kann sich, nach Möglichkeit bis Dezember, bewerben. Es dürfen gern auch kleinere Nachbarschaftsinitiativen sein, sagt Gerald Babel-Sutter. Es kostet nichts. Der Akzent im kommenden Jahr soll aber auf gelungenen Beispielen aus anderen Städten liegen: um Anregungen für die Charming Swabian City zu geben.

Die Landeshauptstadt setzt Veränderungen oftmals hartnäckigen Widerstand entgegen. Jeder Parkplatz, der einem Radweg weichen soll, wird zu einem Riesen-Problem aufgebauscht, etwa bei der Einrichtung der Hauptradroute Nummer 2 im Stuttgarter Osten oder bei der Verbindung der Stadtteile Süd und West über die Hohenstaufenstraße. Vielfach ausgezeichnete Change-Maker wie das Netzwerk Stadtlücken oder die Kulturinsel im Stadtteil Bad Cannstatt sehen sich immer wieder an den Rand der Verzweiflung getrieben.

Auf der Urban Future herrscht dagegen immer gute Laune. Auf der Website nur lächelnde Gesichter. Beim Kick-off geben sich alle begeistert: Gerald Babel-Sutter; Elisabeth Meze, die trotz ihres Scheiterns in Innsbruck weiterhin von der Konferenz schwärmt; ebenso Noppers Sprecherin Susanne Kaufmann, die von Andreas Hofer, dem Intendanten der IBA'27, wissen will, was ihm denn an der Konferenz am besten gefalle. "Darum geht es hier nicht", gibt Hofer zurück. "Es geht um ernste Probleme".

Hofer nimmt der Future-Rhetorik allen Wind aus den Segeln: "Die Zukunft kommt sicher auf uns zu. Man kann sich jetzt in den Sessel setzen und abwarten. Nur wird es dann nicht lustig." Auf seine freundliche Art wird Hofer sehr deutlich: "Es geht hier nicht um Stadtmarketing."

Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), pflichtet ihm bei: "Die Realität ist doch, dass unsere Städte, so wie sie heute sind, nicht gut sind." Den Oberbürgermeister spricht sie direkt an: "Herr Nopper, vielleicht gibt es dann mal eine Woche ohne einen Ja-aber-Tag." Das Stadtoberhaupt zieht die Augenbrauen hoch und scheint nicht ganz zu verstehen.


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