"Zwischen den grünen, duftenden Ufern" dahinzugleiten, vorbei an "prächtigen Bergen, bis zum Gipfel dicht mit Laub bekleidet", an "offenen Ebenen, flammend von Mohn oder vom satten Blau der Kornblume bedeckt", manchmal umhertreibend "im Schatten der Wälder und manchmal am Rande langer Strecken samtigen Grases dahin, frischen, grünen und leuchtenden Grases" – diese Eindrücke begeisterten den Schriftsteller Mark Twain so sehr, dass er die deutsche Landschaft in seinem Reisebericht "Bummel durch Europa" als Gipfel der Schönheit anpries und bei dieser Gelegenheit notierte: "Niemand hat das höchste Ausmaß dieser sanften und friedvollen Schönheit begriffen, wirklich wahrgenommen und genossen, der nicht auf einem Floß den Neckar hinabgefahren ist."
Ein so hymnisches Urteil drängt zu dem Schluss, dass der Erfinder von Tom Sawyer und Huckleberry Finn bei seiner abenteuerlichen Flussfahrt das trostlose Grauen in Stuttgart umschiffen konnte. Und tatsächlich: Ausgangspunkt von Twains literarischer Reise im Jahre 1878 war Heilbronn, heute zwar nicht minder hässlich als die Landeshauptstadt, aber damals geeignet, sich dem Anblick einer industrialisierenden Stadt-, Land-, Fluss-Verunstaltung zu entziehen. Duftende Ufer existieren in Stuttgart schon lange nicht mehr. Wiesen und Weideflächen suchen Wandernde vergeblich. Wo der Übergang zum Wasser nicht unmittelbar an dürftig bepflanzte Böschungen anschließt, wird das Flussbett durch stählerne Kanalwände ersetzt. Stuttgart kennt kein frisches, grünes und leuchtendes Gras – höchstens ein bisschen garstiges Gestrüpp.
Eine Smogglocke über der Stadt, die alle Aussicht auf prächtige Berge raubt. Stadtautobahnen, die den Flusslauf umzingeln und vom genüsslichen Verweilen abschrecken mit ihrem Lärm und einer Abgaslast, die Naherholung zur Strapaze für die Gesundheit macht. Und dann diese Bebauung bis an den äußersten Rand, die keinen verwertbaren Zentimeter schont und beim ohnehin kompromissbereiten Naturerlebnis unausweichlich verallgegenwärtigt, dass Schönheit und Ästhetik, Umwelt und Menschheit sich als zweit-, dritt- oder viertrangig einzugliedern haben, wo das ökonomische Prinzip greift: Jener grundsätzlichste Grundsatz also, der die Natur in ein Zahlenwerk verwandelt, rechnet, was sich rechnet, alles Lebenswerte an und in Landschaften unter den Vorbehalt der Finanzierbarkeit stellt und bei jedem Wald, Berg oder Fluss unablässig überprüft, ob sie sich nicht noch irgend lukrativer gestalten ließen, sei es durch Umgraben oder durch Abholzen.
Was grässlich ist, lässt sich zur Kunst erklären
Nicht nur hat das ökonomische Prinzip die Gestaltung von Szenerien und Siedlungen stärker geprägt als alle Architekten und Stadtplanerinnen zusammengerechnet. Es bestimmt die Rahmenbedingungen, unter denen Architektur und Stadtplanung überhaupt gestalten dürfen. Ohne Bruch mit dem Prinzip muss also, was das Problem verursacht hat, zu seiner Lösung werden: "Die Region Stuttgart muss sich im globalen Wettbewerb um Unternehmen, um Fachkräfte positionieren – und da spielt die Freizeitqualität des Neckars eine ganz große Rolle", sagt Nicola Schelling, nach einer Karriere als Anwältin, Richterin und Nationaler Expertin bei der Europäischen Kommission, nun als Regionaldirektorin des Verbands Region Stuttgart. Denn wo Stadt lebenswert gestaltet werden soll, geschieht das primär mit der Absicht, die Konkurrenz auszubooten – und so ein Fluss ist ein herausragender Standortvorteil. Folgerichtig hat Stuttgart bereits 2012 den "ökonomischen Mehrwert von Revitalisierungsprojekten" untersucht, also Kosten und Nutzen von mehr Lebensqualität in einer Tabelle gegenübergestellt.
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