Sich zu laufenden Verfahren zu äußern, ist immer eine heikle Angelegenheit – und insbesondere gilt das, wenn man als Prozesspartei befangen ist. Daher bitten wir als Redaktion um Verständnis dafür, dass dieser Bericht nicht detailliert auf die Inhalte der Zeug:innen-Aussagen vom vergangenen Donnerstag eingeht.
Zur Vorgeschichte: Am 9. Mai 2018 veröffentlichte Kontext den Artikel "'Sieg Heil' mit Smiley", in dem Redakteurin Anna Hunger umfangreich aus Facebook-Chat-Protokollen eines damaligen Mitarbeiters zweier AfD-Abgeordneter im Landtag Baden-Württembergs zitiert. Enthalten darin sind Aussagen wie die zur Teilnahme des Mitarbeiters an einer Demonstration mit besorgten Bürgern: "Die sagen tatsächlich, dass sie ja keine Nazis sind. Gibt ein offenes Mikrophon. Hab' gedacht, ich äußere mich mal. Eröffnungsgag: 'Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.'"
Die Dialoge des Mitarbeiters eröffnen Einblicke in eine zutiefst menschenverachtende und rassistische Gedankenwelt. Daher entschieden wir uns als Redaktion, die Inhalte öffentlich zu machen und identifizierend über den Mitarbeiter zu berichten. Dagegen ging und geht dieser rechtlich vor: zunächst mit einer Abmahnung, später mit einer Klage. Laut seiner Argumentation handle es sich bei den zitierten Facebook-Chats um Fälschungen und die Zitate seien ihm durch eine Manipulation der Protokolle untergejubelt worden. Zudem sei es nicht legitim, identifizierend mit seinem Klarnamen über ihn zu berichten.
Im darauf folgenden einstweiligen Verfügungsverfahren urteilte das Oberlandesgericht Karlsruhe im Februar 2019 in höchster Instanz: "Das Gericht sieht es als hinreichend glaubhaft gemacht an, dass die im Rechtsstreit vorgelegten Chat-Protokolle authentisch sind." Es sei "überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger sich in der zitierten Weise menschenverachtend, rassistisch und demokratiefeindlich geäußert hat und früher NPD-Mitglied gewesen ist, wie er dies gegenüber verschiedenen Chat-Partnern selbst angegeben hatte".
Der Kläger stellte damals im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Mit dem unanfechtbaren Urteil des OLG Karlsruhe war das Eilverfahren beendet. Allerdings blieb die Option, ein Hauptsacheverfahren zu eröffnen, in dessen Rahmen zum Beispiel auch Zeug:innen vernommen werden können. Von dieser Möglichkeit machte der Kläger Gebrauch.
Das Urteil soll im Dezember gefällt werden
Diesmal landete der Fall in der ersten Instanz vor dem Landgericht Frankfurt. Ursprünglich hätte bereits am 16. Mai 2020 verhandelt werden sollen, doch der Termin wurde – teils wegen Corona – mehrfach verschoben. Vergangenen Donnerstag, am 13. Oktober 2022, war es schließlich so weit. Vor Gericht angehört wurden der Kläger, unsere Redakteurin Anna Hunger, ein IT-Gutachter und drei Chat-Partner des Klägers.
Wie der Kläger im Rahmen seiner Aussage mitteilte, habe er nach der Veröffentlichung in Kontext noch bis 2021 für die AfD-Abgeordnete Christina Baum gearbeitet, die inzwischen nicht mehr im Landtag, sondern im Bundestag sitzt. Inzwischen sei er bei einem Unternehmer im Handel angestellt.
Weil das Gericht die Aussagen noch nicht gewürdigt hat, wollen wir in diesem Artikel noch nicht detailliert auf die Inhalte der Vernehmungen eingehen. Es sei allerdings schon jetzt verraten, dass den befragten Chat-Partnern die Erinnerung an zurückliegende Facebook-Konversationen schwerfiel. Andrerseits wussten sie aber sehr genau, was mit ihnen damals konkret nicht gechattet worden sein sollte. Ein Widerspruch, der allseits auffiel, auch dem von Kontext für den Termin eingeschalteten Aussagepsychologen. Als sich das Gericht bei einem der Chatpartner für Anwesenheit und Aussage bedankte, verabschiedete sich dieser mit den Worten: "Wenn's der Wahrheitsfindung dient."
Apropos Wahrheitsfindung: Seine Chat-Protokolle, welche die tatsächlich stattgefundenen Konversationen einfach hätten nachweisen können, wollte keiner der Zeugen vorlegen. Alle gaben an, diese, ohne zuvor eine Sicherungskopie zu erstellen, selbst gelöscht zu haben. Nachprüfen lässt sich das natürlich nicht.
Die Beweisaufnahme ist nun beendet, aktuell haben die Prozessparteien Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme. Eine Urteilsverkündung ist auf den 15. Dezember dieses Jahres angesetzt. Selbstverständlich werden wir über das Urteil detailliert berichten.
Möglich ist, dass nach dem Urteil des Frankfurter Landgerichts weitere Instanzen folgen, potenziell kann bis vor den Bundesgerichtshof oder gar das Bundesverfassungsgericht prozessiert werden. Dies liegt – selbst bei einem weiteren positiven Prozessverlauf – nicht in unserer Hand. Für die Redaktion bedeutet der Rechtsstreit ein erhebliches Prozesskostenrisiko im sechsstelligen Bereich. Dass wir uns diese Auseinandersetzung leisten können, ist der riesigen Unterstützung durch unsere Community zu verdanken. Als wir im November 2019 einen Aufruf starteten, konnten wir unser Spendenziel innerhalb weniger Tage erreichen. Diese überwältigende Bereitschaft hat uns motiviert und ermöglicht, diesen Rechtsstreit zu führen und dafür zu kämpfen, dass gesagt werden darf und gesagt werden muss, was ist. Dafür möchten wir uns noch einmal bei allen Unterstützerinnen und Unterstützern bedanken. Ihr seid das Herz von Kontext!
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Markus Weidmann
am 19.10.2022