Kaiser und Shen denken anders. Historisch wurden Gebäude im Lauf der Zeit immer wieder umgebaut. Dass Bestandsbauten oft abgerissen werden und Neubauten Platz machen müssen, führt zu einem hohen Ressourcen- und Energieverbrauch und schadet dem Klima. Eigentlich hat sich das längst herumgesprochen. Die Architektenverbände plädieren für Erhalt und Weiterbauen.
Tatsächlich wird heute schon mehr im Bestand als neu gebaut. In der Ausbildung, sagt Florian Kaiser, sei dies aber noch wenig angekommen. Die großen, bestehenden Büros arbeiten weiter wie immer. Architekt:innen wollen sich ein Denkmal setzen. Umbau macht oft mehr Mühe. Und auch die Bauherren bevorzugen schicke Neubauten als ihre Visitenkarten. Der Appell des Bunds Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), "Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen", verhallt daher weitgehend ungehört.
Bestand nutzen, Neubauten flexibler machen
Es braucht junge Architekten wie Kaiser und Shen, die noch am Anfang ihrer Berufspraxis stehen, um hier neue Ansätze zu entwickeln. Als jung gelten Architekten beim BDA, wenn sie unter 40 oder 45 sind. Solange sie wenig gebaut haben, sind ihre Chancen bei Wettbewerben gering, wo immer nach Referenzobjekten gefragt wird. Die beauftragten Architekt:innen werden tendenziell immer älter. Kaiser und Shen waren 30 und 33 Jahre alt, als sie ihr Büro gegründet haben. Und gewannen im ersten Jahr gleich zwei Wettbewerbe.
Wenn es geht, lassen sie Bestandsbauten stehen und suchen nach einem Weg, sie pragmatisch umzubauen. Eine Mehrzweckhalle in Schemmerhofen-Ingerkingen, Landkreis Biberach, erweiterten sie ausgehend von der bestehenden Tragkonstruktion. Beim Wettbewerb zum Ausbau eines Schulzentrums in Müllheim bei Freiburg ließen sie den Bestandsbau stehen. Umgekehrt versuchen sie Neubauten von vornherein so zu bauen, dass sie flexibel, veränderbar bleiben. In einem Wohnheim für Geflüchtete in Schönaich etwa sind die Räume größer als üblich, sodass sie später zu Sozialwohnungen zusammengelegt werden können.
Ähnlich verhält es sich beim Haus Hoinka. Es besteht aus zwei jeweils zweigeschossigen, 140 Quadratmeter großen Wohnungen, die sich jeweils noch einmal in zwei Wohnungen teilen lassen. Im ersten Stock ist das Haus in Längsrichtung geteilt: Eine Wohnung zeigt zur Straße, die andere nach hinten. Dazwischen befinden sich, gegenläufig, die Treppen, die in einem Zug bis ins zweite Obergeschoss führen. Dort ist das Haus in Querrichtung geteilt. Das erste und zweite Geschoss liegen also nicht deckungsgleich übereinander.
Im ersten OG bestehen die Wohnungen aus jeweils vier gleich großen Räumen ohne Flur. Dabei haben sich die Architekten an der Altbauwohnung orientiert, in der sie ihr Büro haben. Damals, zur Gründerzeit, wurde so gebaut: Die Bewohner konnten selbst entscheiden, wie sie die Räume nutzen wollten. Seit den 1930er-Jahren sind Wohnungen hingegen bis ins kleinste Detail genormt. Ein Kinderzimmer hat sechs Quadratmeter, in der Einbauküche ist alles auf engstem Raum untergebracht. Flexibel ist das nicht, wie sich heute zeigt, wo die Kleinfamilie mit zwei Kindern zum Auslaufmodell geworden ist.
Ein Haus, das bei Bedarf teilbar ist
Wenn im Haus Hoinka eine Familie in einer Haushälfte wohnt, befinden sich im ersten Obergeschoss Wohnzimmer, Esszimmer und Küche und im zweiten die Schlafräume. Wenn aber die Kinder erwachsen sind und ausziehen, lässt sich die Wohnung leicht teilen. Die obere Etage kann getrennt vermietet werden. Bäder und Anschlüsse für die Küche sind auf beiden Etagen vorhanden.
140 Quadratmeter: das klingt nach viel. Wenn dort aber vier Personen leben, sind das pro Kopf 35 Quadratmeter, das ist deutlich unter dem Durchschnitt, der in Deutschland mittlerweile bei fast 50 Quadratmeter liegt. Es handelt sich hier nicht um Sozialwohnungen, sondern um ein attraktives Angebot für Menschen, die sonst hinaus ins Grüne ziehen und somit weitere Flächen versiegeln würden.
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Andreas Lobe
am 15.09.2022Beton ist wesentlich der Stoff, der uns dahingebracht hat, wo wir uns heute befinden: Am ANFANG einer weltweiten Katastrophe. Beton ist alles andere als nachhaltig.
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