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Hanaa Dahy

Natürlich bauen

Hanaa Dahy: Natürlich bauen
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Stroh wird einfach auf den Feldern verbrannt. Und das in Zeiten des Klimawandels. Hanaa Dahy, Architektin aus Kairo, wollte sich damit nicht abfinden. Sie kam nach Stuttgart und erarbeitete sich ihr eigenes Forschungsgebiet: Bauen mit Pflanzenfasern.

Ihre berufliche Laufbahn ist Hanaa Dahy zwar nicht direkt in die Wiege gelegt worden. Doch ihr Elternhaus hat einen großen Anteil daran, dass sie sich in den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen wie in einer natürlichen Umgebung bewegt. Ihre Mutter ist Architektin und Universitätsprofessorin, ihr Vater war Elektroingenieur, hat dann allerdings eine militärische Laufbahn eingeschlagen.

In Kairo geboren und aufgewachsen hat Dahy dort eine amerikanische Schule besucht: Das Ramses College, 1910 eröffnet als American College for Girls, war die erste amerikanische Schule im Nahen Osten, erzählt sie. Eine internationale Orientierung war den Eltern wichtig. Ihre Mutter war auf eine französische Schule gegangen. Hanaa Dahy war begabt im Malen und Zeichnen und im Abitur die Beste in Mathematik.

Dahy spricht schnell, sie weiß wovon sie redet. Bei Begriffen wie "Pulltrusion" muss der weniger vorgebildete Gesprächspartner allerdings zweimal nachfragen und sich das Wort buchstabieren lassen. Ein Neologismus: Extrusion bedeutet, bei der Herstellung von Kunststoffteilen wird eine zähflüssige Masse durch eine Düse gedrückt und härtet dann aus. Bei der Pulltrusion von pull, ziehen - wird das Material durch die Düse gezogen, was nur mit faserbewehrten Kunststoffen geht. Bei Dahy handelt es sich um Naturfasern. "BioMat" nennt sich ihr Forschungsgebiet, ausgeschrieben: Biobasierte Materialien und Stoffkreisläufe in der Architektur.

Riesige Konstruktionen mit künstlichem Bambus

Auf ihrem Tisch liegen einige röhrenartige braune Stangen, im Durchmesser ungefähr wie ein Gartenschlauch. Sie wirken hart und steif, sind aber unter hohem Kraftaufwand doch biegsam. "Unser künstlicher Bambus", erklärt Dahy lächelnd. Im Sommer hatte sie im Stuttgarter Stadtgarten einen Experimental-Pavillon aufgebaut, LightPRO-Shell (oder LeichtPRO-Schale), und den künstlichen Bambus verknüpft zu einer Gitterschale von zehn Meter Spannweite, die an drei Punkten auf einer Grundplatte am Boden montiert war und sich bis zu einer Höhe von 4,50 Meter aufwölbte.

"Das Prinzip der leichten Gitterschalenkonstruktion wurde hier an der Uni Stuttgart entwickelt", unterstreicht Dahy: "von Frei Otto", dem berühmten Stuttgarter Architekten. Das weltgrößte Exemplar, das in diesem Verfahren erbaut wurde, ist die Mannheimer Multihalle. Dort besteht das Gitter aus Holzleisten, wie bei Dahys Pavillon bedeckt von einer Membran. Frei Otto war ihr bereits ein Begriff, als sie an der Ain-Schams-Universität studierte, einer der beiden großen Unis in Kairo mit jeweils 200.000 Studierenden. Mehrere ihrer Professoren waren in Stuttgart gewesen, wo Frei Otto im Sonderforschungsbereich "Natürliche Konstruktionen" wegweisende, interdisziplinäre Forschungen vorantrieb.

Wenn sie von der Ain-Schams-Universität spricht, bekommt Dahy leuchtende Augen. Das Studium geht dort etwas anders vor sich als in Deutschland. Man studiert nicht gleich Architektur, sondern zunächst alle Bereiche des Ingenieurwesens, bevor man sich ab dem dritten Semester spezialisiert, aber die anderen Fächer beibehält. Ihr Schwerpunkt war Architektur, aber es gibt kaum ein technisches Gebiet, das ihr fremd ist. Der Bachelor of Science, mit dem sie 2003 ihr Studium abschloss, sei weit mehr als der hiesige Bachelor of Arts, betont sie: eher wie früher das Diplom. Man kann sich sofort selbständig machen. Und das tat sie: Zusammen mit ihren Eltern gründete sie ihr eigenes Architekturbüro.

Sechs Jahre hat sie als Architektin in Kairo gearbeitet, nebenbei ein Masterstudium angehängt und 2006, zwei Tage nach dem Abschluss, ihr erstes Kind zur Welt gebracht: "mein Prinz". Den Mastertitel – Master of Science – brauchte sie, um zu promovieren. Denn das war ihr Ziel. Ihr war aufgefallen, dass in der Landwirtschaft sehr viel Stroh und Pflanzenabfälle einfach verbrannt wurden. Welche Verschwendung! Und schlecht fürs Klima. Ob man die Fasern als Baustoff verwenden könnte? Dieser Frage wollte sie nachgehen.

Bevor sie sich für Stuttgart entschied, hatte sie bereits zwei Stipendien angeboten bekommen: eines in den USA, das andere von der ägyptischen Regierung in einem Land ihrer Wahl. Doch dann erhielt ihr Mann, Geowissenschaftler, ein Stipendium des deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nach Tübingen. Damit war klar: Sie musste Deutsch lernen.

Pavillons, die aussehen wie Seeigel

Am Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen (ITKE) unter Institutsdirektor Jan Knippers war Hanaa Dahy genau richtig: Das Institut erforscht Faserverbundstoffe, also zugfeste Fasern, die getränkt sind mit Kunststoff, der die Form stabilisiert, und ihre Anwendung in leichten Konstruktionen an der Grenze von Architektur und Ingenieurwesen. Zusammen mit Achim Menges vom Institut für computerbasiertes Entwerfen (ICD) baut Knippers seit 2010 auf dem Uni-Campus Forschungspavillons in fantastischen Formen, oft in Anlehnung an biologische Vorbilder wie Seeigelschalen, Kokons von Mottenlarven oder das dichte Netz, das sich die Wasserspinne als Luftreservoir spinnt.

Anders als Knippers und Menges, die für ihre Faserverbundstoffe zumeist Kohle- oder Glasfaser verwenden, interessiert sich Dahy für biologische Materialien. In ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit der Verwendung von Reisstroh in Verbundplatten zur Schall- und Wärmedämmung beschäftigt. Auf ihrem Schreibtisch liegen einige Arbeitsproben: Eine Wärmedämmplatte sieht aus wie eine Milchschnitte, in der Mitte kein Styropor, sondern aufgeschäumte Biomasse. Ein schallabsorbierendes Panel erinnert ein wenig an Eierkartons. Was auf den ersten Blick eine Sperrholzplatte zu sein scheint, entpuppt sich als gummiartig flexibel.

Mitten in der Hochphase der Arbeiten bekam sie ihr zweites Kind: "meine Prinzessin". Dabei hat sie die ganze Zeit auch noch unterrichtet. Das bedeutet, die Studierenden waren von vornherein an ihren Forschungsarbeiten beteiligt. Dafür erhielt sie, neben mehreren Materialpreisen, eine Auszeichnung der Baden-Württemberg Stiftung für Innovation in der Lehre.

Die damit verbundene Senior-Fellowship konnte sie sofort gut gebrauchen. Denn just zu der Zeit, als sie mit der Doktorarbeit fertig war, schrieb das ITKE eine Juniorprofessur aus: wie geschaffen für sie. Seither hat sie mit ihren Studierenden weiter geforscht, Versuchspavillons errichtet und in alle Richtungen ihre Fühler ausgestreckt. Denn ein weiterer Grund, warum sie nach Stuttgart gekommen ist, war das dichte Netz von Forschungseinrichtungen und Industrie, das hier in der Region vorhanden ist. Sie kooperiert mit der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik der Universität Stuttgart, mit den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung (DITF) in Denkendorf, aber auch mit einer Reihe von Unternehmen. "Kommunikation ist sehr wichtig", bestätigt sie.

Die Studierenden erschaffen ihre eigenen Materialien

Wenn es um tragende Teile geht, arbeitet Dahy in der Regel mit Flachs oder Hanf. Eine faszinierende Welt: Auf einem großen Tisch am Institut für Flugzeugbau legt eine computergesteuerte Maschine die Fasern in der gewünschten Anordnung aus und vernäht sie. In Folie gepackt, werden sie anschließend in eine dreidimensionale Form gebogen und mit Harz getränkt.

Bio, also aus nachwachsenden Rohstoffen sind nicht nur die Fasern, sondern von Fall zu Fall auch das Bindemittel. Von Bio-Kunststoffen zu sprechen, bleibt allerdings missverständlich, denn damit kann zweierlei gemeint sein: dass sie aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen oder aber biologisch abbaubar, "kompostierbar" sind. Baumaterialien können aber nicht einfach auf dem Komposthaufen verrotten. Sie müssen beständig sein. Neben weichen Polymeren gibt es harte Duroplaste. Auch Epoxidharz, das in der Regel bei tragenden Konstruktionen zur Anwendung kommt, kann zumindest teilweise aus biologischen Rohstoffen hergestellt sein.

Dahys Ziel in der Lehre ist, den Studierenden klarzumachen, dass sie nicht nur Materialien verwenden, die auf dem Markt sind, sondern ihre eigenen, für den jeweiligen Zweck optimierten Materialien erfinden können. Sie ist überzeugt: "Das ist, was die Architekten der Zukunft machen müssen." Um dem Ressourcenverbrauch entgegenzutreten, an dem der Bausektor den größten Anteil hat. Und die beste Art, dies angehenden ArchitektInnen beizubringen, ist, sie direkt an den Forschungsarbeiten zu beteiligen.

Nur die praktische Anwendung lässt bisher noch auf sich warten. Wenn man bedenkt, wie viel Wärmedämmung nach dreißig Jahren auf dem Sondermüll landet, sollte die Produktion ihrer Dämmstoffe auf Strohbasis lieber heute als morgen beginnen. Dahy hat eine Reihe von Patenten erworben, auch in den USA und Malaysia. Sie bekommt viele Anfragen. "Aber die meisten wollen das Knowhow umsonst haben." Selbst ein Unternehmen aufzubauen: Dafür hat sie, neben der Lehr- und Forschungstätigkeit, bisher nicht die Zeit gefunden.

Dahy ist derzeit beteiligt an drei Fußgänger- und Fahrradbrücken in den Niederlanden und in Ulm. Die erste soll auf der internationalen Gartenschau Floriade in Almere bei Amsterdam entstehen, die nun im kommenden Jahr stattfinden soll. "Smart Circular Bridge" lautet der Name des Projekts, an dem 14 Partner – Universitäten, Kommunen und Unternehmen – beteiligt sind. "Smart", weil eingebaute Sensoren die Standfestigkeit überwachen. Mit "Circular" ist die Kreislaufwirtschaft angesprochen. Die Brücken aus biologischen Materialien sollen komplett abbaubar oder recyclebar sein.


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