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Die Halle für so ziemlich alles

Die Halle für so ziemlich alles
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Lange Zeit wusste die Mannheimer Politik nicht, was sie mit dem Stück Weltkultur anfangen soll – jahrzehntelang ließ sie die Multihalle von Frei Otto und Carlfried Mutschler verkommen. Nun stellten Architekturbüros aus aller Welt eine Fülle von Ideen vor, wie sich das Gebäude sinnvoll nutzen ließe. Der drohende Abriss scheint so gut wie abgewendet.

War es womöglich nur eine Finte, um mehr Aufmerksamkeit auf die Multihalle zu lenken? Vor drei Jahren entschied der Mannheimer Gemeinderat mit großer Mehrheit, die denkmalgeschützte Konstruktion von Frei Otto abzureißen, falls nicht andere für den Erhalt aufkommen und Millionenbeträge spenden würden. Damit stand es kurz vor dem Abriss, eines der bedeutendsten Werke im schmalen Oeuvre des Architekten, der im Jahr zuvor noch den Pritzker-Preis erhalten hatte – den angesehensten Architekturpreis der Welt und den letzten, der ihm in seiner Sammlung noch fehlte.

Wenn es sich bei diesem Beschluss tatsächlich um einen Coup gehandelt haben sollte, wäre dieser gelungen: Die "Sleeping Beauty" – so der Titel einer Ausstellung, die sich der Multihalle vor einem Jahr auf der Architekturbiennale von Venedig widmete – die schlafende Schönheit findet wieder Beachtung. Auch internationale Aufmerksamkeit ist ihr gewiss. Und der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz sowie Baubürgermeister Lothar Quast (beide SPD) scheinen sich, wie jüngere Stellungnahmen zeigen, durchaus der Bedeutung des Bauwerks bewusst zu sein, das im Zuge der Bundesgartenschau 1975 im Norden der Stadt entstand.

Die Mannheimer Gemeinderäte, in der Mehrheit von wenig Architektur-Sachverstand getrübt, vermittelten bisher glaubhaft den Eindruck, sich schlichtweg die Ausgaben für den Erhalt der Multihalle sparen wollen. Wörtlich hieß es in dem Beschluss: "Die Generalsanierung bzw. Wiederherstellung der Konstruktion (inkl. Planung) ist mit einem Mindestaufwand von ca. 11,6 Mio. Euro und den weiteren Risiken im Bauverlauf durch die Stadt Mannheim nicht tragbar und zumutbar." (Kontext berichtete)

Ideenarmut im Rathaus

Es geht aber noch weiter: "Hinzu kommt, dass neben dem Erhalt des architektonischen Erbes von keiner Seite eine überzeugende Nutzungskonzeption vorgelegt werden konnte." Keine Konzepte, von niemandem? Wie kann das sein? Es sei ins Gedächtnis gerufen, was der Architekturkritiker Manfred Sack 1975, zur Eröffnung der Multihalle, in einem "Zeit"-Artikel mit dem Titel "Das Wunder von Mannheim" geschrieben hat: Es handle sich um "eine Halle für so ziemlich alles: für Ausstellungen und Auktionen, Sommerfeste und Winterbälle, für Pop-Konzerte und Sportwettkämpfe, Wahlen und den Zirkus, für Tiraden und Gesänge".

Einige dieser Nutzungskonzepte wurden dort tatsächlich tatsächlich realisiert: Anfangs gab es dort eine Kunstausstellung und Sport, eines der ersten AC/DC-Konzerte in Deutschland, ebenso wie die Fernsehshow "Zum Blauen Bock". Doch im Lauf der Zeit wurden die Veranstaltungen rarer. Zwar steht die Halle seit 1998 unter Denkmalschutz. Doch zur selben Zeit wurden Verformungen festgestellt. Die Halle wurde daraufhin gesperrt, da ihre Standfestigkeit nicht mehr gesichert war. Die Konstruktion ist heute mit Gittern abgestützt, die Hölzer modern weiter. Seit der Eröffnung vor über 40 Jahren tat die Stadt Mannheim kaum etwas, um den Erhalt dieses Meisterwerks zu sichern, eine grundlegende Sanierung hat es nie gegeben.

Eine Blamage, die sich die Stadt nicht leisten kann

Drei Jahre nach dem Beschluss, die Halle abzureißen, ist deren Erhalt zwar noch nicht gesichert, aber die Stadt Mannheim kann sich die Blamage inzwischen kaum noch leisten, eines der außergewöhnlichsten Bauwerke neuerer Zeit der Vernichtung anheimzugeben. Das Bundesinnenministerium hat fünf Millionen Euro für den Erhalt zugesagt, das ist mehr als ein Drittel der mittlerweile auf 14,2 Millionen veranschlagten Kosten. Auch der Gemeinderat hat inzwischen einer Kostenbeteiligung zugestimmt. Auf Baubürgermeister Quast komme nach eigenen Worten nun "die profane und komplizierte Aufgabe zu, dies in den Haushaltsentwurf einzufädeln", wie er bei der Eröffnung einer kleinen Ausstellung im Stuttgarter BDA-Wechselraum des Bunds Deutscher Architekten bekannte.

Zu sehen sind hier die drei Sieger-Entwürfe, die aus einem internationalen Ideenwettbewerb für die Nutzung der Multihalle hervorgegangen sind. 53 Architekturbüros aus aller Welt haben Konzepte vorgelegt. Eine Aufgabe, die für Architekten etwas paradox anmutet: Normalerweise entwerfen sie Gebäude für eine vorgegebene Nutzung. Hier verhält es sich genau umgekehrt: Der Bau ist schon da, nur die Nutzung noch nicht geklärt. Aber Architekten sind keine Event-Manager. Sie entwerfen immer noch bauliche Strukturen. Sollten sie also in die denkmalgeschützte Substanz eingreifen? Oder einfach alles lassen, wie es ist?

Die drei Sieger-Entwürfe haben sich diesem Problem auf unterschiedliche Weise genähert. Der Entwurf "Kulti-Multi" von Christopher Rotman und Daniel Wilken entwickelt tatsächlich sehr detaillierte Nutzungsvorstellungen und greift verhältnismäßig stark in die Substanz ein: nicht in die hölzerne Dachkonstruktion, die selbstverständlich so bleiben muss wie sie ist, aber in die rechtwinkligen Einbauten aus Beton von Carlfried Mutschler, der ursprünglich den Wettbewerb für die Multihalle gewonnen und Frei Otto für das Dach hinzugezogen hatte.

Längs durch die Halle, die eigentlich eine Hallen-Landschaft mit verschiedenen größeren und kleineren Ausbuchtungen ist, verläuft ein Steg, eine Art Promenade. In der größten Teil-Halle gibt es eine dreistufige Tribüne, unter der zweitgrößten befindet sich ein Restaurant. Rotman und Wilken sehen unter dem Steg verschiedene, auch kommerzielle Nutzungen vor: einen Fahrradladen, eine Fahrradwerkstatt, eine Kaffeerösterei, eine Galerie, einen Popup-Store, eine Stadtteilküche, einen Second-Hand-Shop und Proberäume. Unter der Tribüne, deren untere Ränge sie zurückbauen wollen, sollen "Stadtteilwerkstätten" entstehen. Darunter verstehen sie alles von Holzwerkstatt und Töpferei bis hin zu 3D-Druck und CNC-Roboter-Fräse. Das bestehende Restaurant wollen sie abreißen und durch einen schmaleren, dreigeschossigen Neubau ersetzen, in dessen obere Etagen auch noch Büros passen.

Die Halle als neues Stadtteilzentrum?

Ganz anders gehen die Büros COFO architects und PEÑA architecture aus Rotterdam vor, die zusammen den Entwurf "Hallen Allee" eingereicht haben. Sie ändern an der Halle nicht viel, denn "anything can be accomodated within", alles könne darin untergebracht werden, wie sie in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Konzept schreiben. Doch die Multihalle und der Herzogenriedpark, in dem sie sich befindet, liegen, umgeben einem asphaltierten Messplatz und einem Hochhausviertel, nicht in der attraktivsten Gegend.

Diesem Umfeld widmen sie ihre Aufmerksamkeit, indem sie den Steg durch die Halle in den Außenbereich verlängern und zur zentralen Achse durch das Gelände machen: mit großen Ballons, wie sie in einem frühen Stadium der ursprünglichen Planung einmal das Hallendach hätten tragen sollen; mit einer Open-Air-Arena und einem großen Würfel aus rosa Folie, auf dem steht: "I miss my pre-internet brain".

Der dritte Siegerentwurf, den sieben Architekten gemeinschaftlich erarbeiteten, steht unter dem Titel "Multimobilhalle" und will die große Halle ganz dem Thema Mobilität der Zukunft widmen. Ob das ausreicht, erscheint der Jury ein wenig zweifelhaft. Andererseits kommt den Architekten aus Mannheim und Heidelberg ihre Ortskenntnis zugute. Sie wissen, dass der Stadtteil Neckarstadt, in dem sich der Park und die Halle befinden, nicht zu den bevorzugten Wohngegenden gehört. Sie wollen die Multihalle als Zentrum des Quartiers und der ganzen Stadt nutzen, um dem entgegenzuwirken.

So sind in ihrem Entwurf konkrete Veranstaltungen vorgesehen, die hohen Zuspruch in der Bevölkerung der benachbarten Wohnsiedlungen erwarten lassen: unter anderem ein Freibadtag im benachbarten Bad an den Wochenenden im Sommer; ein monatlicher Flohmarkt; zweimal im Jahr ein Parkfest, dazu im Mai ein Siedlungsfest sowie ein dreiwöchiges Sportfest. Was die Jury ebenfalls überzeugt hat, ist ein Konzept, das sie "tanzende Zäune" nennen. Von Fall zu Fall wollen die Architekten Verbindungen zwischen Park, Halle und Umgebung aktivieren.

Keine Ausreden mehr für den Abriss

Wie schon in der Wettbewerbs-Ausschreibung, findet sich in den Entwürfen und in den Urteilen der Jury jede Menge Rhetorik, die, wenn man sie hart anfasst, wie Spinnweben zwischen den Fingern zerrinnt. Der Wettbewerb stand unter dem Titel "Democratic Umbrella". Von Gärten als Ökosystemen ist blumig die Rede. Zum Entwurf "Multimobil Halle" meint das Preisgericht, dieser habe mit seinen minimalen Eingriffen die architektonische Erscheinung der Multihalle "in ihrer solitären Einzigartigkeit gestärkt." Gut macht sich im Entwurf "Kulti Multi" eine ausgewachsene Palme. Als Staffage für Architektenentwürfe scheinen sich Segways derzeit besonderer Beliebtheit zu erfreuen.

Wie der Mannheimer Baubürgermeister Lothar Quast betonte, sei es in dem Wettbewerb nicht darum gegangen, einen einzelnen Entwurf auszuzeichnen, der dann realisiert werden soll. Der Verein Multihalle Mannheim wollte vielmehr sehen, was den Architekten einfallen würde, um aus einem breiten Spektrum von Ideen die vielversprechendsten zu erproben oder auch verschiedene Ansätze miteinander zu kombinieren. Wie Tatjana Dürr, Referentin für Baukultur in Mannheim, mitteilt, wollen sich Vertreter der Stadt nach dem 28. Juni mit allen Architekten der Siegerentwürfe zusammensetzen, und gemeinsam ein Konzept für die Weiterentwicklung der Multihalle erarbeiten. Geht es nach den Plänen der Stadtverwaltung, soll die Sanierung in zwei Schritten erfolgen: Zuerst das Dach – wofür die Finanzierung dank der fünf Millionen Euro vom Bund gesichert sein dürfte. Und in einem zweiten Bauabschnitt sollen schließlich die überarbeiteten Ideen aus dem Wettbewerb umgesetzt werden, idealerweise bis zum Auftakt der Bundesgartenschau, die 2023 ein zweites Mal in Mannheim stattfinden wird. 

Derweil läuft auch in diesem Sommer die provisorische Nutzung weiter: Als nächstes steht ein Theaterparcours des Regisseurs Clemens Bechtel zu den 20. Internationalen Schillertagen auf dem Programm. Titel: "Mannheim 2.480 oder die subjektive Sicherheit". An Nutzungsideen besteht also kein Mangel: von konkreten Veranstaltungen ab sofort bis hin zu einer Art Zukunftslabor für die ganze Gesellschaft, dem das Dach der immer noch futuristischen Konstruktion seinen idealen Ort bieten könnte. Dass die Multihalle Mannheim erhalten bleibt, ist zwar noch nicht endgültig garantiert und hängt letztlich davon ab, wie sich der Gemeinderat entscheidet und was er für "tragfähig und zumutbar" hält. Angesichts der internationalen Aufmerksamkeit, der so zahlreichen und konkreten Ideen, der Bundesförderung in Millionenhöhe und der geplanten Einbettung in die Bundesgartenschau 2023 ist inzwischen jedoch kaum noch vorstellbar, dass sich die Kommunalpolitik der Sanierung wird sperren können.  


Die Ergebnisse des Ideenwettbewerbs sind noch bis 28. Juni im BDA-Wechselraum in Stuttgart zu sehen. Adresse: Zeppelin Carré, Friedrichstraße 5, Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10-13 und 15-18 Uhr.


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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 19.06.2019
    Antworten
    Lange Zeit wusste die Mannheimer Politik nicht, ... – jahrzehntelang ließ sie die Multihalle von Frei Otto und Carlfried Mutschler verkommen.

    Diesen Umgang kennen wir in STUTTGART doch zur Genüge mit vielfältigen Bau-Denkmalen ... von den Einfältigen Zerstörung gewollt:
    Cannstatter Holzbrücke…
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