KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Arbeit und Aufrüstung

Schaffa, schaffa, Bomba baua!

Arbeit und Aufrüstung: Schaffa, schaffa, Bomba baua!
|

Datum:

Parteien und Wirtschaftsverbände peitschen mal wieder ein zur Mehrarbeit. Dabei geht es nicht um Wohlstand, sondern um die Refinanzierung eines dreistelligen Milliardenbetrags für Militärausgaben.

Wollen Sie zur Abwechslung mal einen Witz hören? Okay, Moment, muss kurz meine lustige Pimmelnasen-Funbrille aufsetzen, jetzt kommt's: Tritt ein verwöhnter Juristensohn, Millionär und ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender des weltgrößten Vermögensverwalters als neuer Kanzler in Deutschland an und erklärt der lohnarbeitenden Bevölkerung: "Wir müssen in diesem Land wieder mehr arbeiten." Hahahaha. Versteh'n Sie? Wir sollen mehr und effizienter arbeiten! Also Sie! Denn "we are all sitting in one boat", wie Günther Oettinger, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Mafia-Freund, schon im Jahr 2010 wusste. Wir müssen wieder mehr arbeiten. So wie er, Friedrich Merz von der CDU, der sich mit sauberem, hartem Arschbreitsitzen beim Vermögensverwalter Black Rock vom Kind einer reichen Familie zum Vater einer reichen Familie hochgearbeitet hat. Ganz allein vom Goldenen-Teller-Wäscher zum Chef von Deutschland. Zwar nicht im ersten Wahlgang, aber Schwamm drüber: Kapitalisten wie Friedrich Merz sind zwar verantwortlich für multiple Krisen national und international, aber Sie, ja Sie faule Sau da vor dem Bildschirm, müssen es jetzt richten! Sie müssen jetzt noch mehr arbeiten, damit "Deutschland" wieder ganz nach vorne kommt. Also "die Wirtschaft". Also diejenigen, denen Fabriken, Land und Hauptanteile gehören. Also nicht Sie. Haha.

Ja gut. War'n trauriger Witz. Und eigentlich war's auch gar kein Witz: Friedrich Merz will, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner eines Landes, deren Sein sich größtenteils eh schon über die Existenz als Lohnarbeitsknechte definiert, jetzt noch willfähriger ausbeuten lassen. Ohje, offended? Tut mir nicht leid. Achten Sie einfach beim nächsten Sekt im Foyer des Staatstheaters oder beim zwanglosen Plausch mit dem Koksdealer mal darauf, was Sie antworten, wenn Sie gefragt werden, "was Sie so machen". "Mich für Oper interessieren" oder "mir die Nasenscheidewand wegätzen" wird es nicht sein. Der Mensch ist, was er arbeitet. Und wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. So predigt es der Apostel Paulus in der Bibel. So beten es aufrechte Christ- und Sozialdemokraten.

Nicht nur sollen die paar Tausend "Totalverweigerer" deshalb öffentlich sozial hingerichtet werden; jetzt sollen auch die, die buckeln, noch mehr buckeln und zehn statt acht Stunden am Tag arbeiten dürfen. Ist das nicht toll? Und gleich der nächste Brüller hinterher: Geht ein ehemaliger Arbeitsminister von der SPD zu Sandra Maischberger in die Talkshow und sagt: "Kein vernünftiger Mensch will eine Vier-Tage-Woche für alle – ich jedenfalls nicht." Ich brech' ab. Doch, Hubi, ich will das und noch viel mehr! Aber der Witz geht noch weiter: Was sagt ein Micky Beisenherz, Podcaster und Dampfplauderer, zum Ex-Arbeitsminister der SPD, nachdem der erzählt, dass niemand vernünftig sein kann, der sich nicht fünf Tage pro Woche um den Mehrwert bescheißen lassen will? Na? Ganz einfach: "Wenn ich an einen aufrechten Sozialdemokraten denke, dann denke ich eigentlich fast immer an Hubertus Heil." Haha, fuck, jetzt musste ich wirklich selbst kurz laut lachen beim Schreiben. Wow.

Sie arbeiten zu wenig und leben zu viel

Was mich als unvernünftigen Menschen direkt zum nächsten Penisnasenbrilleneinsatz zwingt: den designierten SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf. "Die SPD ist eine Bewegung und muss grundsätzliche Fragen stellen. Ein positives Bild der Zukunft, an dem die Leute mitwirken, kann faszinieren." Das erklärte Klüssendorf jüngst im "Spiegel"-Interview und kann damit keine andere Bewegung gemeint haben, als die einer Zunge, während sie die Sohlen der Lackschuhe von abschiebe- und aufrüstungsgeilen Christdemokraten und anderen Rechten leckt. Honk-honk! Es ist so witzig, dass ich ernsthaft überlege, mit Crackrauchen anzufangen oder mir Fentanylpflaster in die Fanta zu hängen. Und da hatte ich noch nicht das Interview von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gelesen, in dem der Gänswein des Bundekanzlers "manchmal den Eindruck" habe, "dass es nicht mehr um Work-Life-Balance" gehe, "sondern um Life-Life-Balance". Denn wir, ja Sie, nicht Linnemann, arbeiten einfach zu wenig und leben zu viel. Obwohl "unser Wohlstand, unsere sozialen Sicherungssysteme, aber auch die Funktionsfähigkeit unseres Landes" darauf beruhen, "dass wir produktiv sind", weiß Linnemann. Also, dass Sie produktiv für Deutschland sind. Dass sind Sie nämlich laut Regierung nicht! Egal, ob in der Bundesrepublik im Jahr 2024 mit einem Arbeitsvolumen von 14,7 Milliarden Stunden laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mehr gearbeitet wurde als je zuvor. Völlig ungeachtet der himmelschreienden Tatsache, dass mehr Lohnarbeit  o f f e n s i c h t l i c h  nicht zu mehr Wohlstand führen kann, wenn Lebenserhaltungskosten stark steigen und eine Unternehmer-Lobby sich mit aller Kraft gegen höhere Mindestlöhne stemmt.

Die Deutschen hatten im vergangenen Jahr 638 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet. Das wird in Medien dann zwar immer so hingedreht, dass die faulen Deutschen "weniger" Überstunden machen, weil es davor 993,5 Millionen waren. Letztlich geht es darum, noch mehr unbezahlte Arbeitskraft aus Menschenmaterial zu pressen. Denn 638 Millionen unbezahlte Überstunden reichen nicht mehr. Weil Deutschland wieder Juckpulver in der Jodhpurs hat, in der Nato der große Zampano sein will und voraussichtlich fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, rund 225 Milliarden Euro, in die Bundeswehr buttern will. Und dafür müssen Sie, werte Leserinnen und Leser, jetzt eben die lommeligen Arschbacken zusammenklemmen. Hilft ja nix gegen deutsche Fieberträume von röchelnden Russen vor den Toren Berlins. Schaffa, schaffa, Bomba baua! So wie der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), der im April mit ins Rohr auf der Treibjagd nach dem faulen Fußvolk blies und auch dazu aufforderte, mehr zu arbeiten. Nach eigenen Angaben im "Stern" zufolge arbeitet der 77-jährige Grüffelo-Vorleser zwölf Stunden am Tag. Potz Blitz! Und man merkt es nicht einmal.

Kanone nicht nur füttern, auch dafür zahlen

Okay, okay, einer noch! Passen Sie auf: Wird der deutsche Top-Ökonom Moritz Schularick vom "Spiegel" zum Thema Arbeitszeit interviewt und "wäre sofort dafür, zwei Feiertage abzuschaffen", damit wir, jetzt kommt's, obacht, "das, was wir in der Verteidigungspolitik leisten müssen, auf allen Schultern verteilen." Also das, was wir, also Sie, in der Verteidigungspolitik leisten müssen, muss auf allen Schultern verteilt werden. Auf Ihren Schultern, hahahaha! Sagt ein Top-Ökonom! Ein Mensch, der den Kapitalismus studiert hat und von Talk-Show zu Talk-Show tingelt, um staatstragenden Quatsch zur Förderung der Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern für die Kriegsmaschine Deutschland zu erzählen! Als wären Büro-Würfel nicht moderne Särge. Als wäre es für die Schultern der Arbeiterklasse nicht schon arbeitsintensiv genug, sich – mal wieder – für Deutschland an der Ostfront abknallen lassen zu müssen, soll das Kanonenfutter jetzt auch noch für die Kanonen zahlen, in die es gesteckt wird! Dead-Dead-Balance!

Und wie sicher sich die Nimmersatten vor ihrem Monopolybrett fühlen, wenn sie Menschen in ökonomischen Zwängen ihre Ideologiegrütze in die Hirne hämmern! Warum nicht gleich den Frauentag in Berlin wieder abschaffen? Ach, lustig, genau das haben im Januar die Vertreter der Unternehmerverbände Berlin und Brandenburg (UVB) vorgeschlagen, um "die Wirtschaft" anzukurbeln! Würde der Frauentag als Feiertag nämlich gestrichen werden, "würden zusätzlich 230 Millionen Euro volkswirtschaftlich erwirtschaftet werden", wissen Hauptgeschäftsführer Alexander Schirp und die anderen – ausschließlich männlichen – Vertreter des UVB. Allein, dass sich diese Betonköpfe trauen, sowas zu fordern, zeigt, wie sicher sich die wirtschaftliche und politische Elite fühlt, jedes Abstreifen seiner Stiefel am Rücken von Arbeiterinnen und Arbeitern öffentlich zu formulieren.

Lohnarbeiten müssen macht psychisch und körperlich krank. Nicht-Lohnarbeiten müssen macht gesund. Mehr zu arbeiten bringt nicht mehr Wohlstand für lohnabhängige Menschen. Einer aktuellen Studie des Wirtschaftswissenschaftlers und Stanford-Professors Jeffrey Pfeffer zufolge, ist es sogar gesünder, seinen stressigen Job zu kündigen, als mit dem Rauchen aufzuhören. Keine weiteren Fragen, euer Ehren. Längst ist bekannt, dass es sogar wirtschaftsschädigend ist, immer und immer mehr Einsatz und Arbeitskraft von Lohnabhängigen zu fordern, weil so immer mehr Lohnabhängige im Krankenstand landen. Dass Fakten über die negativen Auswirkungen des Zwangs zur Lohnarbeit mit allen Mitteln geleugnet, verdreht und bekämpft werden, zeigt nur, dass das gegenwärtige kapitalistische System nur mit hegemonialen Schützengräben aus ständiger Propaganda, Indoktrination und Gewalt aufrechterhalten werden kann. Doch die deutsche Verteidigungspolitik will "auf allen Schultern" verteilt sein, weiß Top-Ökonom Schularick. Nur eben nicht auf den breiten Schultern Vermögender, sondern lieber auf den Rücken von lohnabhängigem Fußvolk, das Reichen noch mehr Reichtum beschert.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • Verrecken
    vor 16 Stunden
    Antworten
    "Schaffa, schaffa, Bomba baue!" Ein zumindest früher bekannter Spruch lautete: "Schaffa, spara, Häusle baua!" Nur missgünstige Menschen fügten dem noch ein "verrecka!" hinzu. Heute verrecken die anderen durch unsere Bomben.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!