KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Abtreibungsrecht

Feminismus-Simulationen

Abtreibungsrecht: Feminismus-Simulationen
|

Datum:

Frauen, die dem Patriarchat den Arsch lecken, brauchen sich nicht zu wundern, dass sie noch immer nicht über ihre Körper bestimmen dürfen, meint unsere Kolumnistin.

Was ist Deutschland doch für ein emanzipiertes, geschlechtergerechtes und feministisches Land! Am bundesweiten "Girl's Day" in Schulen werden Mädchen Berufe oder Studienfächer aus der IT, dem Handwerk, Naturwissenschaften und Technik nähergebracht, weil da der Frauenanteil unter 40 Prozent liege. Und weil Deutschland so brutal emanzipiert und beschwerdefroh ist, hat es nach der Einführung des "Girl's Day" im Jahr 2001 zehn Jahre später auch einen "Boys Day" erfunden, um Jungs für die Berufsbereiche "Bildung, Pflege und Erziehung" zu interessieren, also Jobs, "die selten von jungen Männern gewählt" würden. Ehrensache, dass "*Genderqueere Kids" ebenso "willkommen" sind. Wer nicht wisse, ob she/he/they/them am "Boy's Day" oder "Girl's Day" teilnehmen will, solle sich einfach beim staatlich geförderten "Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V." melden "und wir finden eine Lösung".

Dank Gleichstellungsbeauftragten, Antidiskriminierungsgesetzen, "Quotenfrauen" und "Queerbeauftragten" gibt es keine Stellenausschreibung ohne "m/w/d" mehr (wobei "m" natürlich immer noch als erstes kommt, haha) und Menschen können jetzt sogar ihren Geschlechtseintrag im Personalausweis frei wählen. Läuft in Deutschland mit der Befreiung der Geschlechter. Frauen machen "feministische Außenpolitik"; sie können in den Chefsesseln des Landes Arbeiterinnen und Arbeiter für die Renditen von Aktionären knechten; sie kämpfen gegen den "Gender Pay Gap" und für gerechtere Organisation von "care work". Das Land ist voll von staatlich geförderten Netzwerken und Veranstaltungen, bei denen Frauen empowert werden sollen, ihren Mann für die deutsche Wirtschaft zu stehen. Erst im Oktober versammelten sich beim diesjährigen "Female Future Force Day" (FFF Day), dem "Tag für Empowerment, Gleichstellung und Vielfalt" wieder rund 1.000 Besucherinnen, um bei dem von der Funke-Mediengruppe und dem Frauen-Onlinemagazin "Edition F" veranstalteten Netzwerktreffen unter dem Motto "Bridge the Gap" gemeinsam Brücken zu bauen.

Sogar Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) und die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley (SPD) waren da, um ihre Geschlechtsgenossinnen feministisch zu empowern. Einen ganzen Tag lang wurden Frauen von rund 50 "Speaker*innen und Expert*innen" auf mehr als 60 Panels, Podiumsdiskussionen, "Key Notes", "Hot Seats" und in den "interaktiven Masterclasses" aufgerufen, gemeinsam für eine Welt zu kämpfen, "in der alle gut zusammenleben, ohne Diskriminierung und frei von den Folgen patriarchaler Strukturen". Gesponsert von der Bundeswehr, L'Oreal Paris, GLO und anderen gefühlten NGOs. Für eine bessere Welt wurde zwar nie das System in Frage gestellt, das patriarchale Unterdrückung (re-)produziert, aber dafür die gendersensible Ausbeutung aller Menschen propagiert.

Geschlechterkampf ohne Feminismus

An Feminismus-Simulation kommt heute niemand mehr vorbei. Selbst Dior schickt irgendwelche anorektischen Models mit "We should all be feminists"-Shirts auf den Laufsteg, während ein paar Gehaltsstufen tiefer "Girl Power" und "Feminism" bei H&M auf Pullovern und Shirts prangen. Ja, Deutschland ist sogar so feministisch und emanzipiert, dass Frauen den Feminismus nicht einmal mehr brauchen! Im Club europäischer Unternehmerinnen e.V. (CeU) von Clubpräsidentin Kristina Tröger, der "bekannteste[n] Netzwerkerin und Förderin von Frauen in Hamburg" ("Zeit"), geben sich Frauen wie Julia Becker (reiche Erbin und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Funke-Mediengruppe), Stephanie Freifrau zu Guttenberg, geborene Gräfin von Bismarck-Schönhausen (reiche Erbin), Regine Sixt (reiche Ehefrau von Erich Sixt und Honorarkonsulin von Barbados in Bayern) und andere vermögende Ehefrauen, Erbinnen und Unternehmerinnen auf Netzwerktreffen die goldene Klinke in die Hand, um sich als "moderne Stimme der Unternehmerinnen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft" explizit vom Feminismus zu emanzipieren und "überparteilich und unabhängig" zu agieren. Denn "ausgrenzende oder feministische Denkungsweisen" [sic!] lehnt der Club "entschieden ab". Bei der (Re-)Produktion von Kapitalismus, Neoliberalismus, Klassismus, Feudalismus und Proprietarismus geht man im Club der europäischen Unternehmerinnen lieber "unideologisch" vor.

So auch bei der Auswahl der VIPs, mit denen man sich auf über 30 Veranstaltungen im Jahr in Luxushotels öffentlichkeitswirksam schmückt: Mal liest Harald Martenstein seine schönsten Kolumnen für die Damen; mal steppt Christian Lindner (FDP) zum "Lunch-Talk" aufs Club-Parkett, um "die Ladies" in einem Vortrag gegen Mindestlohnforderungen "mit seiner Argumentation zu überzeugen"; mal lässt sich der Club vom Chefredakteur der "Welt"-Gruppe, Ulf Poschardt, erklären, "warum die Bürgerlichen untergehen, wenn sie nicht lernen zu kämpfen"; mal kommt Reinhold Beckmann zum "Talk" vorbei, um über seine "vielen Facetten" zu plaudern – etwa seine Gitarrenkünste, die er schon bereits bei Matthias Matusseks Faschoparty unter Beweis gestellt hat.

Apropos Christian Lindner: Seine Frau, die Autorin und Unternehmerin Franca Lehfeldt, veranstaltet selbst einmal im Jahr das "WoMen on Top"-Event, auf dem "Deutsche Stars" sich "für Chancengleichheit" einsetzen. Dieses Jahr stand das Powerfrauenfest unter dem Motto "Gleichberechtigung geht uns alle etwas an". Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen Nena Brockhaus (Autorin, "Alte weise Männer", "Ich bin nicht grün – Ein Plädoyer für Freiheit") und Schauspielerin Vivian Wulf ("Alarm für Cobra 11", "Das Traumschiff", "Rosamunde Pilcher") hat auch Lehfeldt, wie die Veranstalterinnen des "Female Future Force" und der Club europäischer Unternehmerinnen, ein klares Ziel: "Ein Zeichen für Chancengerechtigkeit setzen und den Geschlechterkampf beenden." Aber bitte ohne irgendwas mit links oder Feminismus.

Eierleckerinnen des Patriarchats

Wie sich alle diese konformistischen Girlbosses ihre durchideologisierte, konservative und neoliberale Affenscheiße im Hirn als irgendetwas Emanzipatives zusammenschwurbeln, das weiß der Teufel. Die Wahrheit ist doch: Der "Pay Gap" schließt sich nur, wenn Frauen noch mehr in "Männerberufen" arbeiten und die "gerechtere" Aufteilung von "care work" lässt sich nur bewerkstelligen, wenn ärmere Frauen noch mehr "Frauenarbeit" übernehmen, damit beide Eltern Karriere machen können.

Selbst Alice Schwarzer (auch Gästin bei "WoMen on Top") geht es mittlerweile nur noch um sich selbst. Weder der "FFF-Day", noch der "Club europäischer Unternehmerinnen", noch das "WoMen on Top"-Event oder irgendein eine andere Ich-AG, die Frauenrechtskämpfe als Marketingstrategie für kommerzielle Zwecke missbraucht, hat irgendetwas mit der Befreiung aus unterdrückerischen Verhältnissen zu tun. Auf diesen Ego-Showcases kämpfen die Eierleckerinnen des Patriarchats entweder dafür, genauso ausgebeutet zu werden wie die Männer, oder dafür, gleich selbst das Patriarchat zu werden. Keine dieser selbstoptimierungsgeilen Clown-Veranstaltungen mit irgendwelchen "Hot Seats" und "Key Notes" über Gleichberechtigung und Diversity für "eine bessere Welt" trägt irgendeinen Funken Systemkritik in sich, der sich mit der Ursache patriarchaler Unterdrückung auseinandersetzt. Ein Kampf für Frauenrechte, der ernsthaft an Veränderung interessiert ist, muss sich aber mit den ökonomischen Verhältnissen auseinandersetzen. Er muss antikapitalistisch sein. Und er muss unversöhnlich sein. Er darf keine Brücke über dem "gap" schlagen wollen und ihn so zu einer Naturkonstante erklären. Er muss die Brücke abbrennen.

Denn drehen sich emanzipative Bestrebungen weiter in identitätspolitischen Hasenlöchern nur um sich selbst, oder ergehen sich im reaktionären Bedürfnis, selbst das Patriarchat werden zu wollen, braucht sich keine Frau wundern, dass sie auch in hundert Jahren noch nicht selbstständig darüber entscheiden darf, ob sie ein Kind austragen will, oder nicht. Es ist wirklich einer der größten gesellschaftlichen Skandale der Gegenwart: Dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland selbst im Jahr 2024 noch immer verboten sind. Dass Dritte darüber entscheiden, ob eine Frau ein Kind kriegt oder nicht. Das juckt den feministischen Mainstream aber nicht sonderlich. Stattdessen wird es als feministische Errungenschaft erachtet, dass sich jetzt auch Frauen und nicht-binäre Menschen für die Wirtschaftsinteressen ihrer Nation abknallen lassen dürfen. Geil. Wie absurd ist es bitteschön, dass sich ein Bundeskanzlerkandidat wie Friedrich Merz (CDU) zusammen mit seiner Pimmelpartei vor den Bundestagswahlen im Februar 2025 hinstellen kann und damit Wahlkampf macht, dass er "entsetzt" darüber sei, dass SPD und Grüne Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche legalisieren wollen? Einen "gesellschaftlichen Großkonflikt" fürchtet Merz beim Vorstoß, den Paragrafen 218 "im Schnellverfahren zum Ende der Wahlperiode abzuschaffen". Denn das Thema "polarisiere" das Land "wie kein zweites" und man bräuchte für so ein Thema "Zeit" und "Gutachten".

Freiheitsliebe im Sinne Donald Trumps

Als wären 104 Jahre nicht genügend Zeit gewesen. Schon zwischen 1920 und 1926 gab's im Reichstag immer wieder Vorschläge zur Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen seitens der KPD, SPD und USPD. Obwohl damals schon Frauen im Reichstag saßen, scheiterten sie am Patriarchat. Jetzt leben wir im Jahr 2024 und der Paragraf 218 entspricht in großen Teilen noch immer der Fassung von 1871. Und dafür hat es nicht einmal eine AfD und irgendwelche Volkskörper-Feelings gebraucht. Auch ein Marco Buschmann von der FDP wähnt den sozialen Frieden in Gefahr, wenn Frauen selbst über ihre Körper entscheiden dürfen und das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs als patriarchales Kontrollinstrument wegfällt. Sein Bundestagskollege Max Mordhorst sieht "My Body My Choice" sogar in den "Top Charts der dämlichsten Phrasen der letzten Jahre", weil eine liberale Gesellschaft natürlich "nicht grenzenlos gelten kann". Er dürfe seinen Körper ja auch nicht nutzen, "um jemandem eine reinzuhauen", postete der Bundestagsabgeordnete der FDP jüngst auf X.

Auch bei den Liberalen endet die Freiheitsliebe, ganz im Sinne Donald Trumps, beim Körper der Frau. Weil ihre Freiheit vor allem die Freiheit der herrschenden Klasse ist. Und weil es selbst in der aufgeklärtesten Gesellschaft aller Zeiten noch wichtiger ist, wie sich Männer und andere unbeteiligte Dritte dabei fühlen, wenn Frauen selbst über ihre Körper bestimmen. Our bodies, their choice. Nichts anderes bedeutet das Geplapper über gefürchtete "Großkonflikte" und gesellschaftliche Spaltungen, wie sie auch Karl Lauterbach (SPD) wittert, als die Aufrechterhaltung struktureller Repression der Frau im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Wer die als Frau gerne noch weitere 100 Jahre aufrechterhalten will, baut weiter Brücken zwischen Kapitalismus und Patriarchat.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


8 Kommentare verfügbar

  • Twist
    am 17.12.2024
    Antworten
    Ich weiß ja nicht... ein Artikel, der die Rolle des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage noch nicht mal erwähnt, kann nicht viel taugen. Es gab ja schon zwei Versuche von Seiten der Politik (einfach mal googlen) und beides mal hat das Gericht die Position vertreten, dass der Embryo ein Recht…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!