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Feminismus und Kapitalismus

EU first, Frauenrechte later

Feminismus und Kapitalismus: EU first, Frauenrechte later
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"Feministische Außenpolitik" und "Zeitenwende" – jetzt kommt zusammen, was zusammengehört, meint unsere Kolumnistin.

Der Grad der Emanzipation einer Gesellschaft zeigt sich immer auch an der Emanzipation der Frau. Das sag nicht ich. Das haben Simone de Beauvoir und Annalena Baerbock mal irgendwann vom Frühsozialisten Charles Fourier (1772 bis 1837) übernommen. "Frauenrechte sind weltweit ein Maßstab für den Zustand der Gesellschaften", weiß die grüne Außenministerin Baerbock in einer Videobotschaft zum diesjährigen internationalen Frauentag und paraphrasiert als Gast beim Katholikentag in Erfurt. Wie sie abends noch in den Spiegel schauen kann, wissen nur deutsche Rüstungsunternehmen. Trotzdem ist der Spruch an sich wahr. Immer noch. Wer wissen will, wie es in einer Gesellschaft um den sozialen Fortschritt steht, muss sich einfach nur die Situation der Frau in ebendieser näher anschauen.

Und bevor jetzt irgendjemand "Iran" oder irgendein anderes abgefucktes Land schreit, in dem Menschenrechte an Kränen hängen – nehmen wir doch mal die Perle Europas, Deutschland, unter die Lupe: Hier steuern Frauen Kräne; Frauen können CEOs und Bundeskanzler werden; Frauen brauchen keinen lästigen Sex mit Männern mehr, um Kinder zu bekommen; Frauen können zur Bundeswehr und ihr Land mit der Waffe verteidigen; Frauen können Fußballspiele von Männern schiedsrichtern; Frauen können einfach alles in Deutschland, oder? Feminismus durchgespielt.

Seit der "feministischen Außenpolitik" der Ampelregierung ist Imperialismus sogar gendersensibel, heißt: Flinta* (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binär, Trans, Agender) können jetzt auch schwere Kriegswaffen in andere Länder schicken, damit dort andere Frauen und Kinder ausgebombt werden, yay! US-Vorbilder wie Hillary Clinton oder Madeleine Albright haben's vorgemacht: Erklärt eine taffe Bossbitch in staatlicher Poleposition ihre imperialistische Kriegstreiberei zum progressiven, ja gar feministischen Projekt, mit dem die Aufgeklärten den Barbaren das Geschenk der liberalen Demokratie bringen wollen, ist die öffentliche Unterstützung im Inland auch von Linksliberalen sicher.

Jetzt ist mal Schluss mit Genderdings und Frauenbums

Und was die Powerfrauen in den USA können, können deutsche "Eurofighterinnen" wie die Marie-Agnes "Oma Courage" Strack-Zimmermann von der FDP und Baerbock mit der obligatorischen USA-Deutschland-Trendlatenz auch! Deutsche Manpower im Wams der Frauenpower, stark! Dabei bräuchten die ganzen Arschleckerinnen der patriarchal-kapitalistischen Wertefabrik, die sich EU schimpft, aktuell überhaupt nicht mehr auf Feminismus oder Frauenrechte machen, um ihre Gier nach Einflusszonen und Märkten weltweit ideologisch zu verklären. Spätestens seit den EU-Wahlen ist klar: Jetzt ist erst mal wieder für ne Weile Schluss mit Genderdings und Frauenbums. Den Quatsch konnten sich die Gatekeeper der geilen Werte so lange zur Selbstvergewisserung der moralischen Überlegenheit leisten, wie der Laden lief. Seit der "Zeitenwende" steht der Russ' wieder vor der Tür und die Chinesen lassen sich nicht einmal mehr mit einer hundertprozentigen Einfuhrsteuer auf Elektroautos von den Amerikanern einschüchtern, um den Weltwirtschaftsmarkt zu dominieren. "Shit hits the fan", der Kot ist in den Ventilator geraten, jetzt heißt es "AZ", wie meine Sportlehrerin in der Realschule schrie, wenn gequälte Teenager wie Kartoffelsäcke im Stufenbarren hingen: "Arsch zamma!"

Jetzt müssen zur Ausweitung europäischer Wirtschaftsinteressen Milliarden in Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen investiert und den Menschen verklickert werden, dass die Interessen ihrer Nationen identisch mit ihren persönlichen Interessen seien. Dass es stets nur die Interessen der Bourgeoisie waren und sind, die dabei verteidigt werden, ist zwar kein Geheimnis; dass sich weltweit Milliarden Menschen mit rechter Politik für ihren gestohlenen Mehrwert und ihre Unterdrückung ersatzbefriedigen lassen, aber leider auch nicht. Auch in Europa herrscht Ideologie im Endstadium. Keine "Genderideologie", keine "links-grün versiffte" Ideologie oder gar Kommunismus (das muss mir immer noch jemand erklären, was "links" oder Kommunismus mit Grünen zu tun haben, haha), nein, einfach nur die gute alte, pure kapitalistische Ideologie. Deren Profiteur:innen haben ihren Job über Jahrhunderte so gut gemacht, dass Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung als akzeptable Kollateralschäden wahrgenommen werden.

Auch "feministische Außenpolitik" war nie irgendetwas anderes als Militarismus im Gewand der Emanzipation, um den Kampf um die Exportweltmeisterschaft besonders liberal und aufgeklärt erscheinen zu lassen. Nichts Progressives ist von ihr zu erwarten. Nichts, das irgendwem außer der bürgerlichen Gesellschaft nützlich ist. Die Befreiung der Frau etwa. Und seit die bürgerliche "Mitte" jetzt ganz offen international mit Rechtsextremen schmust, braucht "feministische Außenpolitik" den progressiven Anstrich auch nicht einmal mehr.

2023 noch G7-Thema, jetzt nicht mehr: Abtreibung

Während die Teilnehmer:innen beim vergangenen G7-Gipfel im Mai 2023 in Japan noch gönnerhaft ihr "uneingeschränktes Engagement für die Verwirklichung umfassender sexueller und reproduktiver Gesundheit und damit verbundener Rechte für alle Menschen, einschließlich der Frage des Zugangs zu sicherer und legaler Abtreibung und der Versorgung nach der Abtreibung" verkündeten, war in der diesjährigen G7-Abschlusserklärung in Gastgeberin Giorgia Melonis Italien nur noch zu lesen, dass Frauen ein generelles "Recht auf angemessene Gesundheitsdienste" hätten. Das explizite Thema "Abtreibung" oder "Schwangerschaftsabbruch" wurde schlichtweg ignoriert. Warum auch nicht? Sind Frauenrechte im Ringen um den größten Einfluss in der EU-Politik doch absolut irrelevant, wenn sie sich nicht mehr ideologisch missbrauchen lassen.

Gebrauchen lässt sich für die Eurofighterinnen aktuell viel besser das Thema Migrationspolitik. So gut sogar, dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) jetzt auf jedem Pressebild wie die beste Freundin von Meloni wirkt, mit der Faschistin munter an der Zukunft Europas schmiedet und gemeinsame Übereinkünfte unterschreibt, die Tunesien und Ägypten viel Geld versprechen, wenn die nordafrikanischen Staaten Abschottungsmaßnahmen sein lassen. Längst machen Konservative keinen Hehl mehr daraus, dass es nicht mehr um "die Demokratie" geht (wer hätt's gedacht), sondern nur noch darum, wer sich mit der Nato gegen Russland stellt.

Frauenrechte, pff, wer braucht Frauenrechte, wenn Rechte Frauen haben? Fast noch erbärmlicher als der Rückschritt in Sachen körperliche Selbstbestimmung von Frauen ist die Reaktion von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron darauf. "Enttäuscht" sei er gewesen und "bedauere es". Aber man müsse halt akzeptieren, dass die Sichtweise der Gleichstellung von Frauen und Männern nicht im gesamten politischen Spektrum geteilt werde.

Rechtsradikalen wertegeleitet in die Ärsche kriechen

Nicht, dass es verwundern würde, dass sich Macron in den vergangenen Jahren derart an Rechtsradikale und "Lebensschützer" angebiedert hat. Ist ja gerade Trend in Europa, dass "wertegeleitete" Demokraten Rechtsradikalen in die Ärsche kriechen. Wie schnell es jedoch aktuell Schlag auf Schlag geht mit der Verbrüderung der "Mitte" mit Rechtsradikalen, ist trotzdem absurd. Dass zwischen CDU/CSU und AfD mittlerweile kein Blatt mehr passt, zeigte sich bereits eindrucksvoll bei peinlichen Kulturkämpfen gegen "Gender-Gaga" und Flüchtlinge. Als sich bei den jüngsten Kommunalwahlen in Baden-Württemberg CDU- und AfD-Plakate nicht mehr voneinander unterscheiden ließen, war längst auch SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz auf der rechten Überholspur und versprach härtere Abschiebungen und weniger Rumheulen. Und seit auch das deutsch-französische "Nazi-Jäger"-Ehepaar Klarsfeld "ohne Zögern" Marine Le Pens Rassemblement National wählen würde, weil die Partei es erfolgreich hinbekommen hat, ihren Rassismus mit einem Pro-Israel-Kurs zu kaschieren, ist klar: Das mit der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen können sich die wahren Feministinnen erst mal wieder in die Haare schmieren.

Als wär's 1972. Im legendären Interview von Alice Schwarzer mit Simone de Beauvoir in jenem Jahr erzählt die französische Feministin, wie enttäuscht sie darüber ist, dass sich die Situation der Frauen in den vergangenen 20 Jahren – also von 1952 bis 1972 – nicht verändert hat. Deshalb sei sie jetzt aktiv in die feministische Frauenbewegung eingestiegen: Um die Aufmerksamkeit auf den "größten Skandal, den es heute überhaupt gibt" zu lenken – "das Abtreibungsverbot". Für "freie und kostenlose Abtreibung und Verhütung!" Für Beauvoir war die "freie Abtreibung" die Voraussetzung für die Befreiung der Frau.

Jetzt schreiben wir das Jahr 2024, und Frauen dürfen immer noch nicht frei darüber entscheiden, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht. Zum Glück kommt ja aber bald die von der CDU/CSU heiß ersehnte Wiedereinführung der Wehrpflicht, die, wenn's nach Thomas Gottschalk ginge, auch für Frauen (wegen Feminismus und Gleichberechtigung) gelten soll. Dann könnten bald noch mehr deutsche Frauen mit "feministischer Außenpolitik" anderen Frauen die Entscheidung für oder gegen ein Kind ganz easy mit der Drohne abnehmen. Zukunft wird jedenfalls geil.

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5 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 02.07.2024
    Antworten
    Ich bin immer irritiert, wenn bei Frauenrechten immer gleich Abtreibung genannt wird. Das war vor 100 Jahren mit Recht eine Forderung der Arbeiter*innenbewegung und der proletarischen Frauenbewegung.

    Heute gibt es Verhütungsmittel und auch Männer können sich sterilisieren lassen. Es gibt mit…
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