KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Gendern

G'schichten ausm Dschenderknast

Gendern: G'schichten ausm Dschenderknast
|

Datum:

Die grün-schwarze Landesregierung hat in Baden-Württemberg also ein Genderverbot für Landesbeschäftigte durchgesetzt. Wie lächerlich das ist, zeigt sich, wenn's an die Durchsetzbarkeit geht, meint unsere Kolumnistin.

Schluss, Aus, Ende! Das war's mit Dschendergaga in den Behörden von Baden-Württemberg! Ausgedschendert! Die alten Männer haben ein Machtwort gesprochen! Anfang vergangener Woche stellte das Landeskabinett klar, dass im formalen Schriftverkehr der Landesverwaltung mit dem Ministerrat, dem Landtag, den Institutionen des Bundes, den Institutionen der Europäischen Union und mit vergleichbaren Adressaten sowie in Verwaltungsakten keine Sternchen, Unterstriche, Binnen-Is oder Doppelpunkte mehr auftauchen dürfen. Ein "Genderverbot" ist das laut Landesvater Grüffelo Kretschmann aber selbschtverschdändlich nicht! Es würde ja nix verboten werden. Man würde sich nur an die Rechtschreibung halten. Und die ist bekanntlich aus dem Weltall zu uns gekommen und nicht von Menschen in Zeit und Raum erschaffen und ständig angepasst worden. Tschuu-tschuu: Willkommen an Bord des crazy gender train ins Behördengagaland.

Ohne Scheiß jetzt mal: Seit Jahren betonen Konservative, dass das Thema Gendern unwichtiges Zeug sei; progressive Hinterbänkler wie auch der gegenwärtige Oberbürgermeister von Stuttgart sind sich nicht zu schade, immer wieder zu betonen, dass der ganze Genderquark nix mit den wirklichen "Sorgen und Nöten" der Menschen zu tun habe – wir erinnern uns an das "Tampongate" im Stuttgarter Rathaus. Selbst einem konservativ-versifften Klüngelminister und P****-Polizistenförderer, der sich auf "Hobel" reimt, fiel kurz vor Weihnachten 2023 auf, dass die unzähligen, von der AfD erzwungenen Gender-Scheindebatten im Landtag von Baden-Württemberg, vollkommen gaga sind. Und TROTZDEM sind es Konservative und Rechtsextreme, die, wenn sie mal kein Problem mit Flüchtlingen mit guten Zähnen haben, ständig auf dem angeblich so bedeutungslosen Thema "Gendern" rumreiten wie Kreuzritter gegen das Morgenland.

Sprachterroristische Briefe von Stationsleiter Peter

Mit dem Ergebnis, dass sich die Landesregierung nun von Rechtsradikalen sogar ein Verbot von etwas hat diktieren lassen, das ja eigentlich kein großes Ding sei. Well done, AfD, muss man leider sagen. Nicht auszudenken, was passiert wäre in The Länd of se liberale Schaffers and Denkers, wenn Stationsleiter Peter in der Krankenpflege weiterhin sprachterroristische Briefe geschrieben hätte, in denen er sich auf "Krankenpfleger:innen", statt auf "Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen" bezieht! Das wäre ja effizient und vollkommen leserlich und alle Menschen wären damit gleichberechtigt angesprochen – GAGA! Völlig gaga wäre das! Zwar ist es seit dem Jahr 2013 erlaubt, Kindern bei der Geburt neben "weiblich" und "männlich" auch "divers" in die Geburtsurkunden eintragen zu lassen, und im Reisepass steht längst "X" beim Geschlechtseintrag – wenn ein Mensch das so will –, aber WIE GAGA wäre es bitte, wenn sich der Schriftverkehr der Institutionen Baden-Württembergs an die reale Welt anpassen würde? Dann würde man "diverse" Menschen etwa, die nicht nur praktisch, sondern auch bürokratisch in Geburtsurkunden und Reisepässen EXISTIEREN, ja auch sprachlich abbilden – VÖLLIG GAGA!

Völlig gaga ist nur eines: Gendern verbieten zu wollen. Ich mein, sorry, dass ich lachen muss, aber wer soll so ein Verbot denn ernst nehmen? Wie soll das durchgesetzt werden, wenn sich Stationsleiter Peter weigert, das Verbot einzuhalten und trotzdem weiter gendert? Wär' ich Peter, ich würde jetzt richtig bananas geh'n mit Gendern. Dabei bin ich persönlich eigentlich durch mit dem Thema und benutze Genderzeichen, wie's mir in den Kram passt, oder eben auch nicht – ohne bislang dafür verhaftet worden zu sein. Aber wenn ich jetzt höre, wie sich alte, konservative Männer erdreisten, Leuten auf Arbeit vorzuschreiben, keine Genderzeichen mehr verwenden zu DÜRFEN, dann würde ich's erst recht tun. Völlig durchknall'n mit dem Dschender. Jeden fucking Brief, jede E-Mail, einfach alles aus Prinzip komplett wild durchgendern bis die Sternchen- und Doppelpunkt-Taste klemmt. Wenn's daraufhin Ärger geben würde und ich zum Personalgespräch antanzen müsste, würd' ich verbal nachlegen und mich vor lauter Glottisschlägen in den Schluckauf gendern. Was soll auch schon passieren? Die Schlagzeile will ich lesen über die erste Landesangestellte Baden-Württembergs, der "wegen Gendern gekündigt" wurde. Doch das Szenario ist tatsächlich denkbar: Widersetze ich mich als Arbeitnehmerin wiederholt und sogar absichtlich den Vorschriften meines Arbeitgebers, hat das Konsequenzen, die bis zur Kündigung führen können.

Wird Angestellten jetzt also gekündigt, wenn sie sich nicht an die Verwaltungsvorschrift, nicht mit Sternchen, Binnen-I oder Unterstrich zu gendern, halten? WIE GAGA WÄRE DAS DENN? Und wie GAGA-GAGA wäre es, wenn ich nach meiner Kündigung ins Arbeitsgericht steppen würde, um mich wegen Diskriminierung wieder zurück ins Unternehmen zu klagen, hä? MAXIMAL GAGA-GAGA! Tausende von Euro Steuergelder würden vor Gericht verschwendet werden, falls ich gewinne; zig Gerichte wären damit beschäftigt, sich mit diesem beknackten Verbot auseinandersetzen zu müssen; irgendein lausiger "Bild"-Reporter würde mich bei Gerichtsverhandlungen begleiten, um die Nummer medial aufzublasen – denn selbstverständlich würde ich mich als Wutbürgerin nicht von der ersten verlorenen Instanz abschrecken lassen und mich großspurig damit in der "Bild" zitieren lassen, wegen "Gendergaga-Gaga" bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen zu wollen.

Jaaa ok, ich würd‘s wahrscheinlich nicht tun. Schließlich hab‘ ich ein aufregendes Leben und bessere Hobbys als "Klagen". Aber was ist das denn für ein Schwachsinn: Erst feiert Kretschmann Bundeskanzler Scholz für den "Deutschland-Pakt" ab, um bürokratische Hürden zu verringern, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, Digitalisierung zu pushen und Verwaltung und Unternehmen zu unterstützen; seit Anfang vergangenen Jahres wurde deshalb in Baden-Württemberg immer wieder vom "Masterplan für die Transformation der Verwaltung" geredet, im November 2023 sogar eine – und ich bin gespannt, wie sie das sprachlich toppen wollen – "Entlastungsallianz" angekündigt. Und jetzt legt sich die Landesregierung so ein Gender-Ei ins Körbchen, das zu MEHR BÜROKRATIE führt!

Selbst wenn man will, nicht immer ganz einfach

Klar, ich kann verstehen, dass es Unsicherheiten gibt bezüglich Gendersprache. Ist ja, selbst wenn man es will, nicht immer ganz einfach, es "richtig" zu machen bei all den Optionen. Alle, die schon mal in einem Workshop oder Vortrag oder irgendeiner Weiterbildung zum Thema Inklusion und Gendersprache waren, wissen, wie sensibel das Thema auch in Bezug auf "Leichte Sprache" und "Barrierefreiheit" ist. Aber was ist denn so schwierig daran, Leute beim Thema Gendern einfach machen zu lassen, was sie wollen oder eben nicht wollen?

Außerdem wird ja schon längst gegendert: Vor 20 Jahren war es nicht selbstverständlich, in einem Raum mit 20 weiblichen Schülerinnen und einem männlichen Schüler "liebe Schülerinnen und Schüler" zu sagen. Da hatte ein männlicher Schüler die "Macht" aus 20 Schülerinnen Jungs zu machen. Heute ist es völlig normal, von "Schülerinnen und Schülern", von "Kolleginnen und Kollegen" zu sprechen. Sprache verändert sich. Wer Genderzeichen verwenden will, soll's halt (einheitlich) machen, wer's nicht will, macht's eben nicht! Ich hatte mal ne Phase, in der ich statt des generischen Maskulinums einfach das Femininum verwendet habe – hat zu lustigen Irritationen geführt. Jetzt schreib' ich manchmal mit Doppelpunkt (etwa "Leser:innen") und manchmal, wenn's schöner aussieht, nehm' ich das Maskulinum oder Femininum. Je nachdem wie's mir reinläuft und es zum Kontext passt – so what? Im Dschenderknast war ich nie.

Das könnte sich aber bald ändern. Denn was passiert, wenn Gendern mit Genderzeichen verboten wird, kann man aktuell ganz gut in Sachsen und Sachsen-Anhalt – wo Genderzeichen in Schulen verboten sind – beobachten: Dort gab es bereits Fälle, bei denen Lehrkräften an Schulen Sanktionen angedroht wurden, weil sie trotzdem weiter Genderzeichen verwendeten, was zur Folge hatte, dass sich die Landesrechtsschutzstelle der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hinter sie stellte: Gendern sei ein Grundrecht und wer mit irgendwelchen Gender-Verboten konfrontiert ist, würde in ebendiesem eingeschränkt. Das sagt die GEW Sachsen. Was Gerichte dazu sagen, bleibt abzuwarten. Kommen werden Klagen wegen Genderverboten allemal.

Jetzt mal abwarten. Immerhin schon mal verdächtig clever von Baden-Württemberg, dass der legendäre RAF-Trakt im Gefängnis Stammheim wider Erwarten erhalten bleibt. Eigentlich sollte der ja abgerissen werden, aber wegen Platzmangel wird er jetzt ausgebaut. Ob in weiser Voraussicht auf die ersten Genderterroristen oder nicht, ist bislang nicht bekannt. Doch sollten die ersten Haftbefehle für den Dschenderknast Baden-Württemberg ergehen, weil es ein paar Landesbeschäftigte zu weit getrieben haben mit dem Gendergaga-Gaga, wird sich zeigen, ob Kalkül hinter der Erhaltung des RAF-Hochhauses steckte: Der Legende nach soll im "kurzen Flügel" des siebten Stocks nämlich der Geist von Ulrike Meinhof neben den Betten von Gefangenen erscheinen und sie mit Glottisschlägen in den Wahnsinn treiben.


Richtigstellung: Beim Geist, der Gefangene im RAF-Hochhaus der JVA Stammheim mit Glottisschlägen in den Wahnsinn treiben soll, handelt es sich nicht um den von Ulrike Meinhof, sondern um den Geist von Gudrun Enss*lin.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


6 Kommentare verfügbar

  • Stephan Hutt
    am 14.02.2024
    Antworten
    Guter Beitrag, aber leider zu lang.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!