Arno Dübels Wirkungsphase fiel exakt in die Zeit, in der die deutsche Gesellschaft, Politik und Medien den "Sozialschmarotzer" für sich entdeckten. Gab es in den 1970ern nur den "echten" Arbeitslosen, den die Politik mit Wiederherstellungsmaßnahmen zur Vollbeschäftigung von seinem schweren Schicksal erlösen wollte, war Dübel ein "unechter" Arbeitsloser, einer, der einfach nicht arbeiten wollte. Und obwohl sich bis jetzt noch nie irgendetwas Bewegendes am Arbeitsfetisch der gesamtdeutschen Bevölkerung verändert hat, wurden die paar Arno Dübels, die lieber mit ein paar Hundertern im Monat überleben wollen, statt sich für tausend Euro Buckel und Birne krumm und dumm zu malochen, zum Elementarschaden für die Gesellschaft stilisiert. Was für eine Ironie angesichts eines profitorientierten Wirtschaftssystems, das lieber Arbeitslosen den Strom abstellt, als Superreichen Erbschaftssteuern abzufordern. Und was für eine Ironie, dass es mal wieder Sozialdemokraten waren, die die Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten verraten haben.
Es war der "Genosse der Bosse", Gerhard Schröder, der im Jahr 2001 die Hetze gegen Arbeitslose anzettelte, als er polterte: "Wer arbeiten kann, aber nicht arbeiten will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft". Derselbe Mann, der es bis vergangenes Jahr noch für vollkommen selbstverständlich hielt, als Ex-Bundeskanzler 400.000 Euro Steuergelder im Jahr für Büroräume und Personal zu kassieren, um von Deutschland aus lukrative Deals in Russland auszuhandeln. Ein Mann, dessen Partei später nicht nur "Hartz IV" verbrechen würde, sondern auch den Grundstein für die kommerzialisierte Missbrauchskampagne um Sozialleistungen in "Spiegel", "Bild", "RTL2" und anderen Trash- und Massenmedien legte: Im Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit unter Schröders Genosse Wolfgang Clement mit dem Titel "Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, 'Abzocke' und Selbstbedienung im Sozialstaat" wurden Arbeitslose dann zu "Parasiten" erklärt, die "Abzocke" betreiben würden.
Das Konzept Arbeit steckt in der Krise
Und jetzt, zwanzig Jahre später, stellt sich wieder ein besonders sozialer Demokrat hin und lässt seiner Verachtung gegenüber Menschen freien Lauf, die sich nicht in jeden noch so unwürdigen Drecksjob zwingen lassen wollen, nur damit sich die Bundesrepublik einen auf ihre lächerliche Beschäftigungsstatistik abwichsen kann. Wohlwissend, dass es eigentlich nur um nicht einmal ein Prozent aller erwerbsfähigen Bürgergeld-Beziehenden geht. Doch das ist Hubertus Heil und seinem Arbeitsterrorministerium egal. Es geht darum, Kritik am ökonomischen Terror durch die Stärkung der Moral von Arbeiter:innen abzuwehren. Schließlich muss verhindert werden, dass sie einsehen, dass sich Arbeit vielerorts tatsächlich nicht mehr lohnt. Dass Arbeit unfrei macht. Dass es nicht ihre Schuld ist, dass Arbeit oftmals nicht einmal das nötige Geld zum Leben abwirft. Dass sie in Japan sogar ein Wort für den Tod durch Überarbeitung ("Karōshi") haben. Dass die APPD recht hatte mit ihrem Wahlslogan "Arbeit ist Scheiße".
Die Ordnung muss um jeden Preis aufrechterhalten werden. Und zu dieser Ordnung gehört die Ideologie, dass das Nicht-arbeiten-wollen der Gesellschaft schade. Die Einsicht, dass die Produktionsweisen der kapitalistischen Gesellschaft den Menschen schaden, muss vernebelt werden. Denn wenn die Welt nicht mehr vom alten Arbeits- und Konkurrenzbewusstsein dominiert wäre, wenn rauskäme, dass die regelmäßige Entzivilisierung gegenüber "Faulenzern" der Krise der Arbeitsgesellschaft geschuldet ist, die sich zwangsläufig aus dem Unbehagen im Kapitalismus ergibt, dann – oh, Schreck – wäre es kaum mehr zu leugnen, dass dieses Systems abgeschafft werden muss. Darum kann es aber selbstverständlich innerhalb des herrschenden Systems nicht gehen, da es Armut produzieren muss, um sich selbst zu erhalten.
Damit diese Wahrheit nicht einsickert und zu lästigen Revolutionsgedanken führt, müssen trotz und wegen der nicht mehr zu leugnenden Krise der Arbeitsgesellschaft eben Sündenböcke her. Und wer eignet sich dafür besser als die, die sich nicht wehren können? Niemand. Richtig. Schließlich mag man sich's nicht mit den Reichen verscherzen. Die könnten mit ihrer geerbten und erbeuteten Kohle zwar theoretisch den Welthunger abschaffen, aber sie könnten halt auch ihre Unternehmen nach China verlegen, uiuiui. Also lieber in Ruhe lassen. Lieber nach unten treten und die Tritte als Motivation verkaufen. Und da das noch nicht perfide genug ist, wird im Arbeitsterrorministerium jetzt auch noch so getan, als wären ein paar tausend Menschen, die sich der morschen Arbeitsmühle verweigern, schuld am Haushaltsloch Deutschlands. Deshalb: Bestrafen! Harte Hand kann ja auch sexy sein. Oh Gott, ich kann nicht glauben, dass ich diesen Satz wirklich geschrieben und dabei an Hubertus Heil gedacht habe. Egal. Es geht ja um Geilheit. Sanktionsgeilheit. Zwei Monate totaler Bürgergeldentzug für alle, die nicht arbeiten gehen wollen! Jetzt knallen die Peitschen wieder – aus Solidarität mit der arbeitenden Bevölkerung, versteht sich.
Ein Herrschaftsinstrument, das in die Seelen eindringt
Das gefällt auch "Spiegel"-Kolumnistin Ursula Weidenfeld. Schon während der Einleitung in ihren Text musste ich lachen, obwohl er zum Schreien ist: "Arbeitsminister Hubertus Heil will unwillige Bürgergeldempfänger bestrafen. Bringen wird das nichts. Notwendig ist es trotzdem." Denn es gehe jetzt um die, die Arbeit haben. "Sie sollen bei der Stange gehalten, ihnen muss Solidarität und Bundesgenossenschaft signalisiert werden" weiß Weidenfeld, deren Verblendung paradigmatisch für die Arbeitsfetischgesellschaft ist: Alle wissen, dass Sanktionen im Bürgergeldsystem nicht dazu beitragen, dass Menschen dauerhaft lohnarbeiten gehen, die nicht wollen. Alle Fraktionen des parteiübergreifenden Arbeitslagers wissen das. Es gibt genügend Studien dazu. Auch wissen alle, dass es geradezu lächerlich-absurd ist, Menschen in Arbeit zwingen zu wollen, wenn der Verkauf ihrer Arbeitskraft genauso viel oder genauso wenig wert ist wie der Gang aufs Arbeitsamt. Alle wissen das. Auch Ursula Weidenfeld. Als ob Arbeiter:innen mehr Geld bekämen, wenn ein paar tausend Leuten das Bürgergeld gestrichen wird.
Die große Frage angesichts dieser Einsichten ist dann aber doch: Warum zur Hölle sind die Sanktionen dann doch "nötig"? Tut es nicht in der Birne weh, sich selbst im eigenen Text zu widersprechen? Tut es eben nicht, wenn der religiöse Arbeitsglaube kickt und Weidenfeld ungewollt seine totalitäre Macht offenbart: Arbeit als Herrschaftsinstrument, das bis in die tiefste Zelle der Körper und Seelen vorgedrungen ist und das Denken und Handeln bestimmt wie das Atmen. Als integraler Bestandteil der kapitalistischen Hegemonie wird die Lohnarbeit selbst dann von ihren Apologet:innen verteidigt, wenn sie selbst von ihr aufgefressen werden. Arbeit. Muss. Sein. Selbst wenn es keine Lohnarbeit mehr auf der Welt zu tun gäbe, muss sie sein. Für immer. Als Selbstvergewisserung des Menschseins. Als Religion. Als tugendhafte Antipode zur Faulheit – ein Laster, das Schlimmes verheißt. Doch was ist eigentlich schlimm an der Vorstellung, faul sein zu dürfen, nicht mehr arbeiten gehen zu müssen, wenn nicht die Angst vor der Sinnlosigkeit der Existenz ohne eine taktgebende Peitsche?
1 Kommentar verfügbar
Dani
am 10.01.2024Zwangsarbeit ist faschistisch.