KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Bürgergeld

Pflicht zur Faulheit

Bürgergeld: Pflicht zur Faulheit
|

Datum:

Die Sanktionsgeilheit gegen "faule" Bürgergeldempfänger:innen ist vor allem eines: das verzweifelte Aufbäumen eines Systems, das sich selbst längst widerlegt hat.

Wer ist eigentlich ihr Lieblingsarbeitsloser? Meiner ist Arno Dübel. Leider ist "Deutschlands frechster Arbeitsloser" ("Bild") vergangenes Jahr kurz vor der Rente gestorben. Too bad könnte man denken. Doch Dübel hat alles richtig gemacht. Denn hätte er jahrzehntelang als Maler gebuckelt, hätte er von seiner schmalen Rente überhaupt nichts gehabt. Doch was haben die Deutschen ihn gehasst dafür, sein Leben nicht erst im Renteneintrittsalter zu leben! Als er vor rund 20 Jahren damit anfing, sich in jede depperte Nachtmittags-Talkshow zu setzen und zu erzählen, dass er seit 30 Jahren arbeitslos sei und kein' Bock auf Arbeit habe, weil er sich nicht ausbeuten lassen wolle, schäumten Menschen und Medien aus allen Poren. Denn wer Lohnarbeit nicht für eine Naturkonstante und conditio humana hält, wer sich keinen Mehrwert von irgendeinem Sklaventreiber abknöpfen lässt, der ertränkt bekanntlich auch Katzenbabys im Neckar – oder gendert!

Der Arbeitsverweigerer als Existenzphilosoph

Das Internet ist voll von Videos mit Dübel, in denen der 1956 geborene leidenschaftliche Lohnarbeitsverweigerer mit der Nonchalance eines verqualmten französischen Existenzphilosophen darlegt, warum Arbeit nicht so sein Ding sei, er lieber Kohle "vom Amt kricht" und auch keine Ambitionen habe, seine seit 1976 anhaltende Dauerarbeitslosigkeit zu beenden. Das Bewundernswerte daran: Alles, was er in diesen Ausschnitten erzählte, zeugt von einer politischen und gesellschaftlichen Klarsicht, die etwa die menschenfeindliche "Agenda 2010" von Sozialdemokraten und Grünen vorführt wie einen Kaiser ohne Kleider – ohne, dass Dübel bewusst politisch gewesen wäre oder irgendeine Ahnung von Marx, Engels oder Lafargue gehabt hätte. Dübel hat es einfach zeitlebens geschafft, sich nicht indoktrinieren zu lassen und Lohnarbeit als das zu sehen, was sie ist: die Geißel des modernen Menschen. Eine Farce. Verachtet haben die Menschen ihn deshalb eigentlich letztlich nur dafür, dass er sie beim Selbstbetrug in ihrer unwidersprochenen Existenz als domestizierte Arbeitstiere erwischt hat.

Arno Dübels Wirkungsphase fiel exakt in die Zeit, in der die deutsche Gesellschaft, Politik und Medien den "Sozialschmarotzer" für sich entdeckten. Gab es in den 1970ern nur den "echten" Arbeitslosen, den die Politik mit Wiederherstellungsmaßnahmen zur Vollbeschäftigung von seinem schweren Schicksal erlösen wollte, war Dübel ein "unechter" Arbeitsloser, einer, der einfach nicht arbeiten wollte. Und obwohl sich bis jetzt noch nie irgendetwas Bewegendes am Arbeitsfetisch der gesamtdeutschen Bevölkerung verändert hat, wurden die paar Arno Dübels, die lieber mit ein paar Hundertern im Monat überleben wollen, statt sich für tausend Euro Buckel und Birne krumm und dumm zu malochen, zum Elementarschaden für die Gesellschaft stilisiert. Was für eine Ironie angesichts eines profitorientierten Wirtschaftssystems, das lieber Arbeitslosen den Strom abstellt, als Superreichen Erbschaftssteuern abzufordern. Und was für eine Ironie, dass es mal wieder Sozialdemokraten waren, die die Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten verraten haben.

Es war der "Genosse der Bosse", Gerhard Schröder, der im Jahr 2001 die Hetze gegen Arbeitslose anzettelte, als er polterte: "Wer arbeiten kann, aber nicht arbeiten will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft". Derselbe Mann, der es bis vergangenes Jahr noch für vollkommen selbstverständlich hielt, als Ex-Bundeskanzler 400.000 Euro Steuergelder im Jahr für Büroräume und Personal zu kassieren, um von Deutschland aus lukrative Deals in Russland auszuhandeln. Ein Mann, dessen Partei später nicht nur "Hartz IV" verbrechen würde, sondern auch den Grundstein für die kommerzialisierte Missbrauchskampagne um Sozialleistungen in "Spiegel", "Bild", "RTL2" und anderen Trash- und Massenmedien legte: Im Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit unter Schröders Genosse Wolfgang Clement mit dem Titel "Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, 'Abzocke' und Selbstbedienung im Sozialstaat" wurden Arbeitslose dann zu "Parasiten" erklärt, die "Abzocke" betreiben würden.

Das Konzept Arbeit steckt in der Krise

Und jetzt, zwanzig Jahre später, stellt sich wieder ein besonders sozialer Demokrat hin und lässt seiner Verachtung gegenüber Menschen freien Lauf, die sich nicht in jeden noch so unwürdigen Drecksjob zwingen lassen wollen, nur damit sich die Bundesrepublik einen auf ihre lächerliche Beschäftigungsstatistik abwichsen kann. Wohlwissend, dass es eigentlich nur um nicht einmal ein Prozent aller erwerbsfähigen Bürgergeld-Beziehenden geht. Doch das ist Hubertus Heil und seinem Arbeitsterrorministerium egal. Es geht darum, Kritik am ökonomischen Terror durch die Stärkung der Moral von Arbeiter:innen abzuwehren. Schließlich muss verhindert werden, dass sie einsehen, dass sich Arbeit vielerorts tatsächlich nicht mehr lohnt. Dass Arbeit unfrei macht. Dass es nicht ihre Schuld ist, dass Arbeit oftmals nicht einmal das nötige Geld zum Leben abwirft. Dass sie in Japan sogar ein Wort für den Tod durch Überarbeitung ("Karōshi") haben. Dass die APPD recht hatte mit ihrem Wahlslogan "Arbeit ist Scheiße".

Die Ordnung muss um jeden Preis aufrechterhalten werden. Und zu dieser Ordnung gehört die Ideologie, dass das Nicht-arbeiten-wollen der Gesellschaft schade. Die Einsicht, dass die Produktionsweisen der kapitalistischen Gesellschaft den Menschen schaden, muss vernebelt werden. Denn wenn die Welt nicht mehr vom alten Arbeits- und Konkurrenzbewusstsein dominiert wäre, wenn rauskäme, dass die regelmäßige Entzivilisierung gegenüber "Faulenzern" der Krise der Arbeitsgesellschaft geschuldet ist, die sich zwangsläufig aus dem Unbehagen im Kapitalismus ergibt, dann – oh, Schreck – wäre es kaum mehr zu leugnen, dass dieses Systems abgeschafft werden muss. Darum kann es aber selbstverständlich innerhalb des herrschenden Systems nicht gehen, da es Armut produzieren muss, um sich selbst zu erhalten.

Damit diese Wahrheit nicht einsickert und zu lästigen Revolutionsgedanken führt, müssen trotz und wegen der nicht mehr zu leugnenden Krise der Arbeitsgesellschaft eben Sündenböcke her. Und wer eignet sich dafür besser als die, die sich nicht wehren können? Niemand. Richtig. Schließlich mag man sich's nicht mit den Reichen verscherzen. Die könnten mit ihrer geerbten und erbeuteten Kohle zwar theoretisch den Welthunger abschaffen, aber sie könnten halt auch ihre Unternehmen nach China verlegen, uiuiui. Also lieber in Ruhe lassen. Lieber nach unten treten und die Tritte als Motivation verkaufen. Und da das noch nicht perfide genug ist, wird im Arbeitsterrorministerium jetzt auch noch so getan, als wären ein paar tausend Menschen, die sich der morschen Arbeitsmühle verweigern, schuld am Haushaltsloch Deutschlands. Deshalb: Bestrafen! Harte Hand kann ja auch sexy sein. Oh Gott, ich kann nicht glauben, dass ich diesen Satz wirklich geschrieben und dabei an Hubertus Heil gedacht habe. Egal. Es geht ja um Geilheit. Sanktionsgeilheit. Zwei Monate totaler Bürgergeldentzug für alle, die nicht arbeiten gehen wollen! Jetzt knallen die Peitschen wieder – aus Solidarität mit der arbeitenden Bevölkerung, versteht sich.

Ein Herrschaftsinstrument, das in die Seelen eindringt

Das gefällt auch "Spiegel"-Kolumnistin Ursula Weidenfeld. Schon während der Einleitung in ihren Text musste ich lachen, obwohl er zum Schreien ist: "Arbeitsminister Hubertus Heil will unwillige Bürgergeldempfänger bestrafen. Bringen wird das nichts. Notwendig ist es trotzdem." Denn es gehe jetzt um die, die Arbeit haben. "Sie sollen bei der Stange gehalten, ihnen muss Solidarität und Bundesgenossenschaft signalisiert werden" weiß Weidenfeld, deren Verblendung paradigmatisch für die Arbeitsfetischgesellschaft ist: Alle wissen, dass Sanktionen im Bürgergeldsystem nicht dazu beitragen, dass Menschen dauerhaft lohnarbeiten gehen, die nicht wollen. Alle Fraktionen des parteiübergreifenden Arbeitslagers wissen das. Es gibt genügend Studien dazu. Auch wissen alle, dass es geradezu lächerlich-absurd ist, Menschen in Arbeit zwingen zu wollen, wenn der Verkauf ihrer Arbeitskraft genauso viel oder genauso wenig wert ist wie der Gang aufs Arbeitsamt. Alle wissen das. Auch Ursula Weidenfeld. Als ob Arbeiter:innen mehr Geld bekämen, wenn ein paar tausend Leuten das Bürgergeld gestrichen wird.

Die große Frage angesichts dieser Einsichten ist dann aber doch: Warum zur Hölle sind die Sanktionen dann doch "nötig"? Tut es nicht in der Birne weh, sich selbst im eigenen Text zu widersprechen? Tut es eben nicht, wenn der religiöse Arbeitsglaube kickt und Weidenfeld ungewollt seine totalitäre Macht offenbart: Arbeit als Herrschaftsinstrument, das bis in die tiefste Zelle der Körper und Seelen vorgedrungen ist und das Denken und Handeln bestimmt wie das Atmen. Als integraler Bestandteil der kapitalistischen Hegemonie wird die Lohnarbeit selbst dann von ihren Apologet:innen verteidigt, wenn sie selbst von ihr aufgefressen werden. Arbeit. Muss. Sein. Selbst wenn es keine Lohnarbeit mehr auf der Welt zu tun gäbe, muss sie sein. Für immer. Als Selbstvergewisserung des Menschseins. Als Religion. Als tugendhafte Antipode zur Faulheit – ein Laster, das Schlimmes verheißt. Doch was ist eigentlich schlimm an der Vorstellung, faul sein zu dürfen, nicht mehr arbeiten gehen zu müssen, wenn nicht die Angst vor der Sinnlosigkeit der Existenz ohne eine taktgebende Peitsche?

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Dani
    am 10.01.2024
    Antworten
    Diesem Text kann ich voll beipflichten.
    Zwangsarbeit ist faschistisch.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!