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Das Gendern und die CDU

Angst vor dem Sternchen

Das Gendern und die CDU: Angst vor dem Sternchen
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Es geht nicht um Grammatik oder Verständlichkeit, schon gar nicht um die Schönheit der deutschen Sprache. Es geht um Macht, um Rollenklischees und darum, das dritte Geschlecht nicht anzuerkennen. Das Thema Gendern weckt konservative Instinkte, nicht nur unter Populist:innen.

Ausgerechnet Thomas Strobl (CDU) schießt den Vogel ab. In der letzten Plenarwoche vor Weihnachten, als sich Baden-Württembergs Landtag – diesmal auf Antrag der Fraktion ganz rechts im Plenarsaal – die x-te Genderdebatte leistete, fand der Innenminister deutliche Worte. Die AfD verirre sich in einem Potemkinschen Dorf, denn: "Wer verordnet eigentlich in dieser Landesregierung, dass irgendjemand gendern muss? Und woher nehmen Sie diese bis heute nicht belegte absurde Behauptung?"

Die Halbwertszeit dieser Erkenntnis erwies sich allerdings als sehr überschaubar. Keine vier Wochen später steht derselbe Innenminister mit seinem Landesvorsitzenden Manuel Hagel an der Seite der Initiator:innen des Volksbegehrens gegen Stern, Unterstrich oder I, hat erkannt, dass es doch Handlungsbedarf gibt und kündigt eine neue Verwaltungsvorschrift zur gendersensiblen Sprache an. Genauer gesagt: was bürgerliche, rechte und besonders rechte Politiker:innen sowie die berüchtigten alten weißen Männer dafür halten. Denn allein das Motto des zwar aus rechtlichen Gründen abgelehnten Plebiszits, das inhaltlich aber von CDU und FDP bereitwillig unterstützt wird, zeugt von der kognitiven Verwirrung auf diesem Felde: "Wir sprechen alles. Bloß kein Gender."

Das ist Blödsinn. Denn selbstverständlich gendert sogar der Kanzleiverbund, dem der geistige Vater des einschlägigen Aufrufs, der Heidelberger Rechtsanwalt Klaus Hekking, angehört. Zum Beispiel wenn er seine "lieben Mandantinnen und Mandanten" informiert oder "zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine/n engagierte/n Rechtsanwältin/Rechtsanwalt mit dem Interessenschwerpunkt allgemeines Zivilrecht" sucht. Auch Manuel Hagel, der nicht eben an der Spitze gesellschaftlicher Modernisierung einherreitet, verwendet die Paarform, wenn er in einem Saal die Zuhörenden begrüßt, wenn er die Trecker-Proteste unterstützt, weil "unsere Bäuerinnen und Bauern eine großartige Arbeit leisten", wenn er die "41 Kolleginnen und Kollegen" in seiner Landtagsfraktion rühmt. Sogar Studierende statt Studenten hat sich eingeschlichen in die Sprache der Schwarzen.

Als gäbe es keine Unterschiede

Der Duden übersetzt Gender mit Geschlecht und erklärt das Lehnwort aus dem Englischen mit "Geschlechtsidentität des Menschen als soziale Kategorie, zum Beispiel im Hinblick auf seine Selbstwahrnehmung, sein Selbstwertgefühl oder sein Rollenverhalten". Erwähnt werden im allgemeinen Sprachgebrauch längst etablierte Kombinationen wie Gender-Mainstreaming ("Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Lebensbedingungen und Interessen") oder Gender-Pay-Gap für die nach wie vor bestehenden Entlohnungsunterschiede zwischen den Geschlechtern. Desgleichen die Genderforschung, in der es "unter anderem um Fragen sozialer Ungleichheit aus einer Geschlechterperspektive" geht, oder die Gendermedizin, die "geschlechtersensibel beziehungsweise geschlechtsspezifisch vorgeht, mit dem Ziel, eine optimale medizinische Versorgung aller Geschlechter sicherzustellen".

Spätestens bei den letzten beiden Begriffen könnte sich der damalige Junge-Unions-Landesvize Hagel an den Parteitag 2015 in Rust erinnern, bei dem die Tübinger Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz (CDU) einen heftigen Auftritt hinlegte. Wie mehrere JU-Verbände bundesweit hatte dort auch der baden-württembergische gefordert, Genderforschung nicht mehr zu finanzieren, weil, wie es im vielbejubelten Antrag hieß, sie "nur einer Ideologie dient – schließlich leisten wir uns ja auch keine Lehrstühle für Astrologie und Alchimie". Widmann-Mauz hielt vehement dagegen, unter anderem mit Hinweisen auf Geschlechtsunterschieden in Medizin und Diagnostik, etwa bei einem Herzinfarkt. Vorsichtshalber verzichtete das Parteitagspräsidium auf eine Abstimmung. Die AfD schrieb dann den Totalstopp "staatlicher Ausgaben für pseudowissenschaftliche 'Gender Studies'" 2016 in ihr Grundsatzprogramm.

Lieber beleidigen als respektieren

Hagel, der heutige Landes- und Fraktionschef der Schwarzen im Südwesten, wird die Kontroverse von damals kaum vergessen haben. Heute, um sieben Jahre gereift, könnte er wenigstens feinsäuberlich trennen zwischen notwendigem, inzwischen selbstverständlich gewordenem Gendern und dem Kampfbegriff der Rechten. Das will er aber nicht. Zu verlockend ist das Bestreben, in dieser politisch-kulturellen Fehde billige Punkte zu machen. Sprache sei kein Instrument der Bevormundung oder der Umerziehung, sagt Hagel im vergangenen Sommer im SWR, und dass "gesellschaftliche Missstände durch eine konstruierte Sprache nicht zu lösen sind". Aber Sprache kann darauf aufmerksam machen. Außerdem ist es schlicht höflich, sinnvoll und aus gutem Grund sachlich geboten, beispielsweise Vokabeln wie Zigeuner oder das N-Wort aus dem Sprachschatz zu streichen.

Seltsam nehmen sich auch die Hinweise von CDU und FDP auf Lesbar- und Verständlichkeit aus. Und das in Zeiten, da Denglisch und Englisch sich vielfach eingenistet haben in die deutsche Alltagskommunikation. Für Handy, Hashtag und The Länd gelten offenbar andere Maßstäbe als für männlich, weiblich und divers oder für den Nachvollzug in Wort und Schrift der nun mal beschlossenen Rechtslage. "Denn", so erinnert die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, "seit Ende 2018 haben inter* Menschen in Deutschland die Möglichkeit, beim Eintrag ins Personenstandsregister außer den Geschlechtern 'männlich' und 'weiblich' die Option 'divers' zu wählen, die sogenannte 'Dritte Option', nachdem der Erste Senat des Bundesfassungsgerichts im Oktober 2017 entschied, dass jenseits des binären Geschlechtermodells auch ein positiver Eintrag möglich sein muss, und damit der Beschwerde einer inter* Person stattgegeben hat." Im landläufigen Sinne nicht christlich gedacht ist es übrigens, gerade Letzteren, die vielfach erhebliche und nicht selbstverschuldete Probleme haben im Leben, dieses noch zusätzlich schwerzumachen durch die Dämonisierung von Stern, Unterstrich etc.

Mitgemeintsein ist den Kerlen zu wenig

Zahlreiche Studien, Analysen und Bücher befassen sich mit dieser Kontroverse. Luise Pusch, die feministische Sprachwissenschaftlerin, ist seit wenigen Tagen 80 Jahre alt und ihr 150.000-mal verkauftes Standardwerk "Das Deutsche als Männersprache: Diagnose und Therapievorschläge" vor 40 Jahren erschienen. Der Ruf auf einen Lehrstuhl blieb ihr in den Siebziger Jahren auch deshalb verwehrt, weil sie die so beliebte Argumentation "Frauen sind doch immer mitgemeint" als unseriöse Ausrede entlarvt hatte: Anstelle des generischen Maskulinums ("Liebe Kollegen!"), das zum Beispiel Winfried Kretschmann bis heute jeder geschlechtersensiblen Formulierung vorzieht, könne ja ebenso gut das generische Femininum ("Liebe Kolleginnen!) verwendet werden, als kollektive Bezeichnung für alle Geschlechter.

Die Aufregung unter Männern und konservativen Frauen war groß und ist es noch immer. 2020 wurde ein Gesetzentwurf der damaligen Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) durchgestochen zur Regelung von Firmenpleiten und komplett in weiblicher Form ("Gläubigerin", "Verbraucherin", "Geschäftsführerin"). Diesen eleganten Versuch, für mehr Fairness in der Sprache zu werben, wollte die Union nicht mittragen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) tobte, Bundestags-Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU) ereiferte sich über den Genderwahnsinn. Das Mitgemeintsein ertrugen diese Männer partout nicht. Anderes ereignete sich übrigens im deutschsprachigen Ausland. So bestand in Österreich Justizministerin Alma Zadic (Grüne) auf ihrer Vorlage: "Wir drehen den Spieß einmal um." Nach einigem Gezerre mit dem Koalitionspartner ÖVP müssen es jetzt Start-up-Gründer oder -Gesellschafter auf sich beziehen, wenn von Gründerinnen und Gesellschafterinnen die Rede ist.

Manche brauchen eben länger

Auch in der Schweiz haben sich Psycholog:innen und Linguist:innen mit dem "Krieg der Sterne" befasst. Noah Bubenhofer, Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, beklagt nicht nur die "gezielte Skandalisierung" geschlechtersensibler Sprache durch "die Rechten", sondern zugleich die Abwehr von Veränderungen. Am Ende, prophezeit er, werde sie aber keinen Erfolg haben. Selbst bei besonders konservativen Eidgenoss:innen gebe es mittlerweile die Anrede "Liebi Fraue und Manne". Und der 46-Jährige erwartet, dass die Zukunft ohnehin den Reformer:innen gehört. Niemand mehr müsse heute noch als "untertänigster pflichtschuldigster Diener" an Stadtverwaltungen mit der Anrede "Hochgeehrte, gnädige Herren und Oberen" schreiben. Das war so noch üblich im 17. Jahrhundert. Schnelllebigere Zeiten verlangen nach schnelleren Lösungen.

Strobl hat dem Kabinett am Dienstag den neuen Standard präsentiert. Wörtlich heißt es: "Der Ministerrat stellt klar, dass die Landesverwaltung in ihrem Schriftverkehr angehalten ist, eine adressatengerechte, verständliche und geschlechtergerechte Sprache zu verwenden." Jedes Ressort trage in seinem Geschäftsbereich dafür Sorge, "im formalen Schriftverkehr der Landesverwaltung mit dem Ministerrat, dem Landtag, den Institutionen des Bundes, den Institutionen der Europäischen Union und mit vergleichbaren Adressaten sowie in Verwaltungsakten das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung und die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung einzuhalten".

Schon allein die Formulierungen belegen, dass die Debatte damit sicher nicht enden weil, weil neue Verwirrung entsteht. Was sagt schon "angehalten"? Und außerhalb des "formalen Schriftverkehrs" und im gesprochen Wort werden Grüne jetzt erst recht gendern, um ein Zeichen zu setzen. Die Union frönt derweil in ihrem neuen Grundsatzprogramm frohgemut ebenfalls Potemkin, wenn sie sich gegen "den Zwang" positioniert. Sogar um den Preis eines Eingriffs in die Freiheit der Medien, von Wissenschaft und der Autonomie von Hochschulen: "Wir wollen, dass (…) in allen Universitäten und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine grammatikalisch falsche Gender-Sprache verwendet wird." Manche Wünsche bleiben zu Recht unerfüllt.

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