Selbsternannte SprachpäpstInnen wenden sich ab mit Grauen. Dabei könnten ihre eigenen Regeln weiterhelfen. Wer eine Frau im Deutschaufsatz als Arzt bezeichnet, handelt sich einen Fehler ein. Eine Partei kann kein Vorreiter sein, eine Literatin kein inspirierter Verfasser. Dennoch blieb und bleibt der Aufschrei viel zu häufig selbst bei klaren grammatikalischen Fehlern aus. Dabei müsste nur Ungewohntem zum Durchbruch verholfen werden, das sogar den Vorzug hätte, doppelt richtig zu sein.
Die Latte von Beispielen für die beständige Weiterentwicklung des Deutschen hat jedenfalls Überlänge. Widerstände gab es trotzdem immer. Eine Paarform wie "Bürger und Bürgerinnen" durchsetzen zu wollen, erwies sich in den Siebziger und Achtzig Jahren als mühsam und konfliktreich bei Hochschulprofessoren, Chefredakteuren, Vorstandsvorsitzenden und Vorgesetzten jeglicher Profession. Erst recht in Baden-Württemberg, wo Partnerinnen auf offiziellen Einladungen der Landesregierungen keine eigenen Namen hatten, sondern matt aufscheinen durften unter dem Rubrum "und Frau".
Zugleich sollten sie das von ihnen erwartete Outfit erahnen, wenn für Männer "Abendanzug oder Smoking" vorgeschrieben war. In Bonn regierte Helmut Schmidt, als endlich ein Gesetz befahl, Stellenangebote mit Hilfe von "m/w" geschlechtsneutral zu formulieren. Menschen, die weder das eine sind noch das andere, erreichten erst 2017 vor dem Bundesverfassungsgericht einen historischen Erfolg: Karlsruhe sah in der Verpflichtung, jeden Menschen dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen, einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und das Persönlichkeitsrecht. 2018 entschied sich der Bundestag für die Kategorie "divers" im Geburtenregister und ermöglichte es so "Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung", ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag zu ändern.
Gendern ist kein Luxusproblem
Seither sind Vorgestrige erst recht auf den Barrikaden. Gleich mehrfach befasste sich der baden-württembergische Landtag auf Antrag der AfD und schon deshalb bescheidenem Niveau mit dem "Gender-Zwang". Die Neckarsulmer Abgeordnete Carola Wolle, die anhaltend darauf verzichtet, ihrer Funktion als frauenpolitische Sprecherin gerecht zu werden, fragt in aller Form an, "ob Gendern nur ein Luxusproblem eines übersättigten Teils der Bevölkerung ist oder allein der Ablenkung der Bürger in Baden-Württemberg von existenziellen Problemen dient".
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a dabei
am 25.01.2022