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Landtag und Wahlrechtsreform

Männerbastionen schleifen

Landtag und Wahlrechtsreform: Männerbastionen schleifen
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Sogar die Einbringung des Reformpakets passte zur Geisteshaltung über Jahrzehnte: Anstatt dem neuen Landtagswahlrecht einen prominenten Platz auf der Tagesordnung zu verschaffen, diskutierten die Abgeordneten am Ende kurz vor knapp und dem Start in die Weihnachtspause darüber, wie der traditionell größte Männerüberhang bundesweit abschmelzen könnte. Als gäbe es etwas zu verstecken.

Der Beweis war nicht nötig, die FDP hat ihn dennoch geliefert. Weil die Bande nicht wirklich eng sind zwischen Bundesparteichef Christian Lindner und seinen Liberalen im Stammland, mussten die mit – immerhin – vier Staatssekretärsposten zufrieden sein in der neuen Ampelkoalition in Berlin. Leider fanden sich dafür aber nur vier Männer, was die Schieflage im gelben Teil der Bundesregierung deutlich verstärkte. Denn insgesamt stehen den neun Männern mit FDP-Parteibuch im Kabinett Scholz I gerade mal drei liberale Frauen gegenüber.

Das Quartett aus dem Südwesten ist jüngster, aber gewiss nicht letzter Beleg dafür, wie dringend die Männerbastionen zwischen Main und Bodensee geschleift werden müssen. Denn mit Ausnahme der Grünen, die seit ihrer Gründung 1979 die Mitglieder konsequent und auf allen Ebenen auf die Teilung der Macht trainiert haben, bleibt bei den Landtagsparteien die Geschlechtergerechtigkeit weiter auf der Strecke. Gezeigt hat sich das zuletzt bei der Landtagswahl im März, und einmal mehr auch bei der CDU. Trotz ihres Projekts "Frauen im Fokus" ist das Verhältnis in der Union weiterhin etwa eins zu drei, natürlich zu Gunsten der Männer.

Nach 39 Jahren könnte sich etwas ändern

In der FDP-Fraktion, in der immer wieder Herren der Schöpfung sogar das Amt der Frauenbeauftragten übernehmen mussten, weil es keine Politikerin bis in den Landtag schaffte, sind diesmal zwei von 18 Abgeordneten weiblich. In der AfD-Fraktion sitzt nur eine einzige Frau, und bei der SPD kommen drei Genossinnen auf 16 Genossen.

Ausgabe 528, 12.5.2021

Ein bisschen weiblicher

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Der neue Landtag hat sich konstituiert. Und wenn die Koalition ihr Versprechen hält, bekommt Baden-Württemberg 2021 eine Reform des Wahlrechts, die das Land schon lange gut hätte brauchen können. Inzwischen läuft die Regelung Gefahr, zum Feigenblatt zu verkommen.

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Dem soll jetzt mit der Einführung des seit 1983 (!) diskutierten Listenwahlrechts nachgeholfen werden. Jedoch sind die Reformbemühungen – denen sich die CDU überhaupt nur deshalb nicht verschloss, weil das im vergangenen Frühjahr den Abgang in die Opposition bedeutet hätte – tricky. Denn im Extremfall könnten Männer mit den jetzt beschlossenen Regeln doch wieder den Durchmarsch machen. Sie profitieren nämlich erfahrungsgemäß mehr als Frauen davon, dass die lokalen Gremien oder sogar alle anwesenden Mitglieder für die KandidatInnen-Aufstellungen zuständig sind. Würden wie bis zum Machtwechsel 2011 bei der nächsten Landtagswahl die allermeisten Direktmandate wieder an die CDU gehen, vor Ort aber nur wenige Frauen zum Zuge kommen, hätten die ReformerInnen mit Zitronen gehandelt.

Nutznießer der Neuerungen sind jene Parteien, deren Abgeordnete 2026 ganz oder fast ausschließlich durch die neuen, von Parteitagen beschlossenen Landeslisten ein Mandat erobern – immer unter der Voraussetzung, es gilt der Reißverschluss. Denn ohne Geschlechterparität nutzt die schönste Liste nichts.

Der Gesetzesentwurf von Grünen, CDU und SPD für ein neues Wahlrecht in Baden-Württemberg mit zwei Stimmen – Wahlkreis- und Listenstimme – wandert nun nach der ersten Lesung in die Ausschüsse. Bis zum endgültigen Beschluss ist also mit weiteren Debatten zu rechnen. Dass es überhaupt einen Entwurf gibt, geht auch auf außerparlamentarischem Druck zurück. "Viele Gruppen haben sich dafür stark gemacht", bedankte sich Grünen-Fraktionsvize Oliver Hildenbrand bei Landesfrauenrat und DGB für die Unterstützung, "und die Politik immer wieder aufgefordert, zu liefern." Jetzt sei es so weit. Endlich.


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4 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Hartmann
    am 03.01.2022
    Antworten
    Die Einführung starrer Landeslisten wie bei den Bundestagswahlen empfände ich als demokratischen Rückschritt. Ich finde es unerträglich, wenn die Wählerschaft keine Mitsprache hat, welche Personen ins Parlament kommen. In meiner früheren Heimat Reutlingen kann die SPD-Kandidatin zum Bundestag noch…
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