Die Frau mit der Schnecke auf der Schulter ist auch da. Das Schmuckstück ist das Markenzeichen von Annemarie Engelhardt, 77, von 1994 bis 1999 Vorsitzende des Landesfrauenrats, und schon deshalb darin geübt, dass es in Sachen Gleichstellung von Frauen nur langsam voran geht. "Die hab' ich mir in <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne pforzheim-stadt-der-extreme-4202.html internal-link-new-window>Pforzheim machen lassen", erzählt Engelhardt über ihre Schnecke, "und ich hoffe immer noch, dass ihr irgendwann Flügel wachsen." Doch bis heute hat der entschleunigte Schulterschmuck nur ein Häuschen.
An diesem Samstag ist der Landtag fest in Frauenhand, rund 500 sind gekommen und sie sind in kämpferischer Festlaune. Landesfrauenrat und der Verein Frauen und Geschichte haben eingeladen zu "Herrengedeck und Frauengedöns – 100 Jahre Frauenwahlrecht". Frau feiert sich bei Häppchen und Wein, schließlich wurde dieses Recht hart erkämpft. Doch die Festrednerinnen sparen auch nicht mit Kritik. "Seit 100 Jahren ist kein Landesparlament paritätisch besetzt", sagt Landtagspräsidentin Muhterem Aras. "Frauenfeindliche Kräfte gewinnen an Einfluss", mahnt die Vorsitzende des Landesfrauenrats, Charlotte Schneidewind-Hartnagel. "Schluss mit den Platzhirschen, kämpft für ein neues Landtagswahlrecht", fordert die Vorsitzende des Vereins Frauen und Geschichte, Sylvia Schraut.
Das kann der grünen Landtagspräsidentin nicht schmecken. Schließlich hat ihre Fraktion dem schwarzen Koalitionspartner nachgegeben und die Reform des Landtagswahlrechts um des lieben Koalitionsfriedens willen beerdigt (Kontext berichtete <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik der-club-der-alten-maenner-4869.html internal-link-new-window>hier und <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik wortbruch-mit-ansage-5044.html internal-link-new-window>hier). Wer brav ist, bleibt eine Schnecke. "Das Bravheitsgebot ist untauglich", sagt Doris König, groß, blond, unerschrocken. Die Verfassungsrichterin schenkt sich in aller Ruhe Wasser ein und bringt die Mikrofone auf die richtige Höhe, "so, jetzt bin ich bereit", bevor sie mit einem humorvollen Parforceritt in die Rechtsgeschichte aufbricht. Frauen nehmen sich den Raum und die Zeit. Und lassen sich auch durch Zwischenrufe nicht aus der Ruhe bringen. "Es gibt Männer, die können Frauen nicht eine halbe Stunde zuhören", kommentiert König gelassen die Störversuche des Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner, ehemals AfD, inzwischen fraktionslos, der sich an diesem Abend "besonders feminin" fühlt.
Annemarie Engelhardt trinkt im Foyer ein Glas Sekt mit alten Bekannten und erklärt Unbekannten die Geschichte der Schnecke auf ihrer Schulter. Die Verdi-Frauen lassen ihre Landeskonferenz vom Vortag Revue passieren. Gendergap, ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen – auch einer der fünf "Clubs der unmöglichen Fragen" beschäftigt sich an diesem Tag mit Ungleichheiten in der Arbeitswelt. Und manche finden sich ganz neu, wie die zwei Frauen, die darum bitten, Fotos mit ihren Handys zu schießen, zur Erinnerung. Marion Gerster, im Landesvorstand des Bundes der Selbständigen, hat Ulrike Thomann angesprochen, weil deren Outfit ihr gut gefällt. Die trägt Mütze, Schärpe mit der Forderung Wahlrecht für alle, ein Lächeln, ist mit 41 Personen aus Freiburg angereist und will aufmerksam darauf machen, dass Menschen seit vielen Jahren in Deutschland leben und heute noch nicht wählen dürfen. Weil sie aus der Schweiz kommen. Oder aus Argentinien. Und dann lächeln die Frau vom Bund der Selbständigen und die Kämpferin aus Freiburg noch in die Kontext-Kamera.
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