Die überraschende Beerdigung der Reform am Dienstagnachmittag war nicht einmal eine erster Klasse. Und irgendwie kaschieren mochte die CDU, die kleinere Regierungsfraktion, ihren Vertragsbruch erst recht nicht. Nicht nur dem Koalitionspartner und der eigenen Frauen-Union, sondern auch der Gesellschaft waren Veränderungen versprochen worden – die Einführung einer Landesliste zu Gunsten einer realistischeren Verteilung der Geschlechter im Parlament. Stattdessen hat sich die CDU-Landtagsfraktion für die Beibehaltung des bisherigen Wahlrechts ausgesprochen, und zwar einstimmig.
Praktischerweise konnte der Innenminister und CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl nicht dagegenhalten, denn der ist in Berlin mit der Vorbereitung der Koalitionsverhandlungen beschäftigt. Und insofern mit Höherem befasst, als endlich Mittel und Wege zu finden, um den bundesweit einmaligen Männerüberhang unter den Landtagsabgeordneten abzuschmelzen.
Andere Mitglieder der Regierung halten sich bedeckt. Das Argument: "Es ist vorrangig Sache der im Landtag vertretenen Parteien, Initiativen zu starten, um die Zusammensetzung des Verfassungsorgans zu verändern". Der Satz ist aus dem Geschichtsbuch, drei Jahrzehnte alt und stammt von Lothar Späth. Die Geisteshaltung hat sich eingefressen, sogar ins grüne Selbstverständnis. Die Frage der Reform sei eine "originäre parlamentarische Aufgabe", sagte Winfried Kretschmann im wohl schon sicheren Wissen, dass es wieder nichts wird. Dem Koalitionspartner hat er jedenfalls schon vor Weihnachten signalisiert, keinen "Riesenkrach" lostreten zu wollen, wie ein CDUler berichtet, falls der Koalitionsvertrag in diesem Punkt nicht erfüllt würde.
Stille Genugtuung bei den Männern der Opposition
Schon 2011 vereinbarten die Grünen mit der SPD, in Sachen Reform aktiv zu werden – auch weil nach der Landtagswahl der Anteil der Frauen nochmals auf nur noch 18 Prozent gesunken war. Verabschiedet wurde der wachsweiche Wille "zu überprüfen". Nicht einmal dazu kam es dann, weil die Männer genau wie in der neunten, der zehnten, der elften, der zwölften, der 13. und der 14. auch in der 15. Legislaturperiode mit der Idee, zu Gunsten von Frauen Männermandate herzugeben, nicht so recht warm werden wollten. In den Koalitionsvertrag mit der CDU, der selbstverständlich auch die Unterschrift von Kretschmann und Strobl trägt, konnten die Frauen fünf Jahre später eine deutlich schärfere Formulierung unterbringen: "Damit der Landtag die baden-württembergische Gesellschaft künftig in ihrer ganzen Breite besser abbildet, werden wir ein Personalisiertes Verhältniswahlrecht mit einer geschlossenen Landesliste einführen." Und weiter: "Darüber wollen wir mit den im Landtag vertretenen Parteien in Gespräche eintreten."
Letzteres ist nun obsolet geworden, zur stillen Genugtuung der Männer in den Oppositionsfraktionen. Für die SPD jedenfalls muss sich die Landesvorsitzende Leni Breymaier die Koalition zur Brust nehmen und den Ministerpräsidenten höchstpersönlich, weil der sich "in die Büsche zu schlagen" vorziehe. Ein schönes Bild, das leider nicht stimmt. Vielmehr ist Kretschmann hier nie aus den Büschen herausgekommen. Vorzüge und Nachteile der bestehenden Regelung dekliniert der Grüne am Beispiel der eigenen Karriere herunter und meint, die wäre ihm verwehrt geblieben, wenn er auf einen Listenplatz durch das Votum eines Parteitags angewiesen gewesen wäre. So aber haben ihn die Grünen in seinem eigenen Wahlkreis aufgestellt – und deshalb war alles gut.
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