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Im Land der Frauen

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Was wäre, wenn die Frauen im Land die Macht übernehmen würden? Wenn etwa Theresia Bauer (Grüne) und Gisela Meister-Scheufelen (CDU) die Koalitionsverhandlungen führten? Eine Fiktion mit realen Fakten zu den AkteurInnen.

In einem weiteren Spitzengespräch haben Ministerpräsidentin Theresia Bauer und die designierte Finanzministerin Gisela Meister-Scheufelen die letzten Hürden für die Bildung einer grün-schwarzen Koalition aus dem Weg geräumt. Bauer soll am kommenden Mittwoch im frisch renovierten Landtag abermals zur Regierungschefin gewählt werden. Damit schreibt Baden-Württemberg gleich doppelt Geschichte: Ausgerechnet in dem Land, in dem die CDU mehr als 58 Jahre an der Macht war, muss sie sich – erstmals bundesweit – den Grünen unterordnen. Die wiederum haben ein Versprechen aus dem Wahlkampf wahr gemacht und, angesichts des über so lange Zeit aufgelaufenen Nachholbedarfs und des beschämenden Männerüberhangs im neu gewählten Parlament, das Geschlechterverhältnis umgekehrt.

Die einzigen drei Ressortchefs sind Klaus-Peter Murawski, der schon unter Winfried Kretschmann das Staatsministerium managte und jetzt die Zuständigkeit für Berlin und Brüssel bekommt, Winfried Hermann (Verkehr) und der scheidende CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl. Der muss sich in einem abgespeckten Integrationsministerium vor allem der großen Herausforderung stellen, Programme zu entwickeln zur dauerhaften Eingliederung der inzwischen rund 67 000 männlichen Flüchtlinge aller Altersgruppen, die allein nach Deutschland gekommen sind. Das Land, so der 56-Jährige, wolle auch in diesem Punkt "Avantgarde werden".

Was wäre wenn … politische Frauenoffensive im Land

Weit über die Grenzen der Republik hinaus sorgte die baden-württembergische Frauenoffensive für Aufmerksamkeit. Es gibt international überhaupt nur ein Vorbild: der sozialistische spanische Premier José Luis Rodriguez Zapatero hatte 2008 in seine Regierung mehr Frauen als Männer berufen, darunter eine Hochschwangere. Damit hatte er sich weltweit Spott eingehandelt, unter anderem von Gleichberechtigungsexperten wie Silvio Berlusconi, der die Regierung zu "rosa" nannte und aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam, als die Ministerinnen die Machosprüche mit einer Serie von Modefotos iberischer Designer und Designerinnen konterten. Und vergangenes Jahr sorgte der Beau unter den internationalen Staatenlenkern, der Kanadier Justin Trudeau, für einiges Aufsehen, als er sein Team exakt quotiert besetzte. Und auf die Frage nach dem Warum erwiderte, schließlich schreibe man das Jahr 2015.

In Deutschland, vor allem in Baden-Württemberg, hat sich die Aufregung über die vielen Frauen im Kabinett inzwischen gelegt. Nicht zuletzt, nachdem die Ministerpräsidentin eine Erhebung präsentierte, wie politische Ämter in der Bundesrepublik seit dem Zweiten Weltkrieg verteilt waren. "Dass es noch keine Bundespräsidentin gab, ist augenfällig", so die Grüne. Immer hätten nur jene Gruppierungen Kandidatinnen nominiert – Hildegard Hamm-Brücher, Dagmar Schipanski oder Gesine Schwan –, die über keine Mehrheit in der Bundesversammlung verfügten. Kaum im öffentlichen Bewusstsein sei allerdings verankert, beklagte Bauer vor der Presse, wie selten Frauen überhaupt Regierungsämter bekleiden. So mussten im Südwesten seit 1952 mehr als 80 Ernennungen über die Bühne gehen, bis zum ersten Mal eine Frau zum Zug kam: Annemarie Griesinger wurde 1972 Ministerin für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung. Und dies auch nur deshalb, wie ältere CDU-Jahrgänge noch heute schenkelklopfend erzählen, weil der damals junge neue Fraktionschef Lothar Späth Ministerpräsident Hans Filbinger ärgern wollte.

Grün-Schwarz räumt auch mit einer deutschen Nachkriegstradition auf: In allen Kabinetten im Bund und in den Ländern waren die Innenminister immer Männer. Mit einer einzigen Ausnahme: Zwischen Mai 2012 und November 2014 war Monika Bachmann im Saarland Ministerin für Inneres und Sport, bis ausreichend viele Kollegen ihren Stuhl zersägt hatten und sie ins Sozialressort wechselte. Im Südwesten wird nun Dorothea Störr-Ritter das Amt übernehmen.

Zum Beispiel eine Frau auf dem Sessel des Innenministers

Die Juristin ist seit 2008 die erste (!) Landrätin in Baden-Württemberg überhaupt, sie war Geschäftsführerin der CDU und Bundestagsabgeordnete. Die 60-Jährige will sich sofort der "dramatischen Überrepräsentanz von Männern auf der kommunalen Ebene widmen". Natürlich ließen sich, sagt sie, über Jahrzehnte gewachsene Strukturen nur langfristig aufbrechen. Ein erster Schritt sei anzuerkennen, dass "zu den Gründen für die starke Unterrepräsentanz von Frauen die männlich geprägte Parteikulturen gehören". Die Bertelsmann-Stiftung habe schon vor einigen Jahren eine Studie dazu vorgelegt. Geschehen sei aber "überhaupt nichts".

Beim koalitionären Tauziehen in Stuttgart war bis zuletzt umstritten die Besetzung des neuen Ministeriums für den ländlichen Raum. Schlussendlich konnte sich – auf Umwegen – die CDU-Bewerberin durchsetzen: Friedlinde Gurr-Hirsch war bereits sieben Jahre Staatssekretärin in dem Haus am Kernerplatz gewesen und danach stellvertretende Vorsitzende der Fraktion. Die allerdings hatte ihr die Unterstützung verwehrt, als sie sich 2015 erkühnte, Landtagspräsidentin werden zu wollen. Ein Jahr später wollte ihre CDU sie demütigen, indem sie sie als Landtagsvizepräsidentin nominierte – was Bauer durchkreuzte, indem sie der Union anbot, das Agrarressort zu übernehmen, mit Gurr-Hirsch an der Spitze.

Auch die Ernennung von Gisela Meister-Scheufelen zur ersten Finanzministerin Baden-Württembergs bleibt in Teilen ihrer eigenen Partei umstritten. Dabei war die promovierte Juristin Landtagsabgeordnete, Präsidentin des Statistischen Landesamts und Amtschefin des Hauses zwischen 2007 und 2011. Noch größer war der Männerwiderstand gegen die neue Kultusministerin Donate Kluxen-Pyta. Die Mutter von sechs Kindern ist Vorsitzende der Frauen-Union und seit vielen Jahren Bildungsexpertin der Arbeitsgeberverbände. Die waren es, die sich am Ende für die Quereinsteigerin starkgemacht haben.

Weniger Probleme hatten die Grünen mit der Bestellung der Juristin Birgitt Bender. Sie war die erste Fraktionschefin im Landtag (1998 bis 2000) und später jahrelang im Bundestag. Sie wird zur Justiz-, die frühere Landesvorsitzenden Thekla Walker wird Wissenschaftsministerin. Die Diplomvolkswirtin und wirtschaftspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Kerstin Andreae, wechselt ins Wirtschaftsressort, die in der gesamten deutschen Nachkriegsgeschichte fünfte Frau, die in dieses Amt berufen wurde. Das Sozial- haben die beiden Koalitionspartner zu einem Gesellschaftsministerium mit den neuen Schwerpunkten Jugend und Partizipation umgebaut. Chefin wird Veronika Kienzle, bisher Bezirksvorsteherin in Stuttgart-Mitte und Referentin im Staatsministerium.

Euphorische Zustimmung von den Frauenverbänden

Eine Neuerung im Gesellschaftsministerium wird – auf ausdrücklichen Wunsch der CDU – vom ersten Tag an zwei Jahre lang wissenschaftlich begleitet. Mit Lena Schwelling und Leonie Wolf teilen sich das Amt der Jugendbeauftragten nach einem vom Berliner Professor Peter Grottian 1985 vorgestellten Jobsharing-Modell zwei Studentinnen (Literaturwissenschaften und Mathematik). Sie haben sich dafür starkgemacht, dass nicht im Beruf stehende Mütter für die Aufgabe in Arbeitsteilung ausgewählt wurden. Viel Zustimmung zur Zusammensetzung der neuen Landesregierung gab es naturgemäß von Frauenverbänden, Gewerkschaften, allen voran von der Verdi-Landesvorsitzenden Leni Breymaier, und sogar von der neuen Chefin der Südwest-SPD Anneke Graner.

Rita Süßmuth, die frühere Bundestagspräsidentin, bejubelte Baden-Württemberg als "Land der Frauen", in Anspielung auf ihre Kritik von 1995, als der Landesverband, angeführt von Erwin Teufel, die parteiinterne Quote verhinderte und Süßmuth vom Südwesten als dem "Land der Männer" sprach. Andere CDU-Politikerinnen feierten die "historische Zäsur", so die Vorsitzende der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz. Endlich habe sich das Land aus dem 19. ins 21. Jahrhundert katapultiert. "Was für das Parlament ausdrücklich nicht gilt", so die Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Tatsächlich sitzen, die Grünen mit ihrer nahezu paritätischen Besetzung herausgerechnet, unter 96 Abgeordneten von CDU, AfD, SPD und FDP 83 Männer.

Einräumen musste die Ministerpräsidentin auf ihrer ersten Pressekonferenz in der neuen Legislaturperiode, dass noch nicht entschieden ist, in welcher Art und in welchem Umfang geschlechtsneutrale Sprache zum Einsatz kommen soll. In Schweden ist vor einem Jahr sogar ein geschlechtsneutrales Personalpronomen eingeführt worden, um Menschen nicht weiter auszuschließen, die weder "er" noch "sie" sind. In Österreich sind schon seit Jahren Formulare mit dem inzwischen in einschlägigen Kreisen bereits überholten I durchgegendert. "Wir finden einen vernünftigen Mittelweg, auch wenn ich jetzt schon weiß, dass damit nicht alle zufrieden sein werden", sagte Bauer mit einem Seitenhieb auf die Junge Union.

Die will auf jeden Fall klagen, sollten verpflichtende Vorgaben formuliert werden. Die Ministerpräsidentin empfahl dem männlich dominierten Parteinachwuchs ihres neuen Koalitionspartners, erst einmal vor der eigenen Türe zu kehren. Denn im 18-köpfigen Landesvorstand säßen nur vier Frauen. Das sei ein "unzeitgemäßes Armutszeugnis".


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6 Kommentare verfügbar

  • Florian Hinterhuber
    am 26.04.2016
    Antworten
    Auch die Konkurrenz liest "Kontext".Heute findet man in der "Stuttgarter Zeitung" einen Artikel,der in weiten Teilen dem "Kontext"-Artikel sehr,sehr ähnelt.Wie heißt es doch so schön:Nachahmung ist die schönste Form des Kompliments :-)
    Allerdings hätte die dortige Autorin Renate Allgöwer doch…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 14 Stunden
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