"Unsere Jungen", das waren Matthias Wissmann (Jahrgang 1949), der den Verband 1980 für Kontakte zur DDR öffnete und die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie zum Ziel erhob. Oder Gerd Langguth (Jahrgang 1946), der verstorbene Merkel-Biograph, der beklagte, dass es in der JU "nicht mehr so brodelt wie früher". Oder Günther Oettinger (Jahrgang 1953), der sich Mitte der Achtziger mit dem eben erst zum Kanzler aufgestiegenen Kohl anlegte und gleich zweimal in aller Öffentlichkeit dessen Rücktritt forderte: "wegen anhaltender Führungsschwäche und galoppierender Konzeptionslosigkeit". Und der erstmals drei Frauen in den Landesvorstand holte, mehr sind es heute auch nicht. Oder Andreas Renner (Jahrgang 1959), der mit einer Einladung an Winfried Kretschmann zur Diskussion für Furore sorgte.
40 Jahre programmatisches Auf und Ab
"Der JU ist es in den Jahrzehnten ihres Bestehens immer wieder gelungen, neue Themen zu setzen, wie die Umweltpolitik, die Generationsgerechtigkeit oder die Haushaltskonsolidierung", schreibt sogar der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus zum 40. Geburtstag des Landesverbands. In vielen historischen Abrissen ist das programmatische Auf und Ab beschrieben. Wie die JU-Mitglieder Anfang der Siebziger schon einmal verschrien waren, "reaktionärer als ihre Großväter" zu sein. Wie sie sich auf ihren Deutschlandtagen in der Folge modernisierten. Oder wie der im vergangenen Juli verstorbene Philipp Mißfelder (Jahrgang 1979) die Jungen gegen die Älteren positionierte und künstliche Hüftgelenke für alle über 85 nicht mehr von den Krankenkassen finanziert wissen wollte. Sein Nachfolger Paul Ziemiak (Jahrgang 1985) tritt heute in der Flüchtlingsfrage als einer der besonders Besorgten auf. Eben erst hat er die Losung ausgegeben, mehr als 250 000 Zuwanderer pro Jahr könne Deutschland keinesfalls verkraften. Wie er auf diese Zahl kommt, verrät er nicht. Der Sohn polnischer Einwanderer versteht seine JU aber "als Turbolader" für die Meinungsbildung in der CDU.
Was die Partei in Baden-Württemberg in vielen gesellschaftspolitischen Fragen um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Beim Landesparteitag im November in Rust musste Annette Widmann-Mauz (Jahrgang 1966), selber – unter Oettinger – in der Nachwuchsorganisation sozialisiert, ihr Gewicht als Staatssekretärin in Berlin auf die Waagschale werfen, um einen aberwitzigen Beschluss zu verhindern: Die JU wollte durchsetzen, dass es für Genderforschung und einschlägige Lehrstühle keine Staatsknete mehr geben soll. Bravo-Rufe ernten jungenhafte Delegierte für den dringenden Wunsch, endlich diesen "grün-roten Gender-Quatsch" abzuschaffen.
Widmann-Mauz argumentierte mit der modernen, individualisierten Medizin und dass "Frauen nicht aus der Rippe Adams geschnitten und keine kleinen Männer sind", oder wies auf die unterschiedlichen Symptome etwa beim Herzinfarkt hin. Wirklich überzeugen konnte sie nicht, vorsichtshalber ließ das Parteitagspräsidium gar nicht erst abstimmen, aus Sorge, das JU-Begehren könne durchkommen. Draußen vor dem Saal machte sie aus ihrem Entsetzen kein Hehl. Wirklich beeindrucken lassen sich die jungen Rechten davon ohnehin nicht. Auch sie sind Kinder ihrer Zeit. Wie jene, die Willy Brandts lange nachhallende Losung "Mehr Demokratie wagen" aufgenommen hatten. Oder jene, die sich mit den neuen Grünen messen mochten. Heute bestimmen alte FDP-Sprüche aus dem Geiste eines abgestandenen Neoliberalismus wie "Leistung muss sich wieder lohnen" die Debatte des schwarzen Nachwuchses zumindest mit.
Der Kreisverband hieß im Netz "AK Hitler"
Die Ellenbogen auszufahren, programmatisch im übertragenen Sinne und wenn es um die eigene Karriere geht, hat wieder Konjunktur: Landtagsabgeordnete oder sicher scheinende KandidatInnen wurden von ehrgeizigen jüngeren Parteifreunden bei den Wahlkreisnominierungen vom Feld gekickt. Jutta Schiller (Jahrgang 1962), Sozialpolitikerin aus Göppingen, unterlag Simon Weißenfels (Jahrgang 1987), dem örtlichen JU-Vorsitzenden. Der läuft notorisch Sturm gegen die "grün-rote Chaostruppe", möchte die verbindliche Grundschulempfehlung wieder eingeführt sehen und hat 2010 die "Eislinger Erklärung" unterzeichnet.
Das 34-seitige Pamphlet wurde nach einigen Wochen und bundesweiter Aufregung zwar wieder eingesammelt, lohnt aber noch heute die Lektüre: gegen Krippenplätze, weil die "marxistisch" sind, gegen gleichgeschlechtliche Ehe und "muslimische Elemente in der Öffentlichkeit", für die deutsche Leitkultur. Und dazu der Hinweis, dass "Überfremdung" Milliarden kostet. Da seien eben "Maximalforderungen" gestellt worden, rechtfertigten JUler sich damals, weil man sich ja sonst kein Gehör verschaffen könne. Im Netz wurde der Kreisverband kurzerhand als "AK Hitler" gebrandmarkt. Fünf Jahre später, beim Kampf um die Nominierung, hat niemand mehr Weißenfels auf den Vorgang angesprochen.
Aber Kritik perlt ohnehin ab. Wenn es um die unterentwickelten Berührungsängste zur AfD geht, um die überkommene Haltung zu Frauen, um andere Reizthemen wie die klassische Familie als Keimzelle der Gesellschaft, das dreigliedrige Schulsystem oder nur die Manieren bei Debatten mit Andersdenkenden. Der gerne leicht blasierte Habitus wird dann zur Tünche, bröselt schnell, wie die aufgeregten Zwischenrufe der Jungen in der Landtagsfraktion belegen. Das sei eben das Vorrecht des Nachwuchses, sagte Fraktionschef Guido Wolf einmal, angesprochen auf die immer neuen Empörungsrituale. Ein Vorrecht, das schon mal reichlich überdehnt wird. Kürzlich stürmte der Esslinger Andreas Deuschle (Jahrgang 1978) während einer Kretschmann-Rede völlig außer sich aus dem Plenarsaal. "Der ist doch nicht ganz sauber", lautet sein Urteil über den Regierungschef. Und der Rechtsanwalt, der eine eigene Kanzlei führt, hatte gar nichts dagegen, dass zahlreiche Journalisten seinen Auftritt mitbekamen. Auch eine schlechte Kinderstube schärft das eigene Profil.
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Rolf Steiner
am 19.12.2015Im ehemaligen "Analyse- und Strategiepapier zur konservativen Erneuerung der CDU/CSU" der Jungen Union Göppingens wurde 2010 gefordert:; "Nationale…