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In die Radikalisierung hineingeprügelt

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Die Kämpferinnen der frühen Frauenbewegung wurden lange folklorisiert und lächerlich gemacht. In "Suffragette – Taten statt Worte" zeigt Regisseurin Sarah Gavron ihre Geschichte bitterernst und in die Gegenwart hineinwirkend, meint unser Filmkritiker.

London im Jahr 1912. Die Wäscherin Maud Watts (Carey Mulligan) soll auf dem Weg von der Arbeit nur ein Paket abliefern, aber irgendwie ist sie nun in etwas hineingeraten, plötzlich schwirren Slogans durch die Luft, fliegen Steine, klirren Schaufensterscheiben. Mitten im Tumult entdeckt sie ihre renitente Kollegin Violet Miller (Anne-Marie Duff), die sich schon längst der großen Sache verschrieben hat. Ein wenig später, als Maud sich selber den Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht angeschlossen hat, sitzt sie bei einer Anhörung im britischen Parlament, erzählt schüchtern von der Wäschereimanufaktur, in der die Arbeiterinnen schon als Kinder schuften und meist nicht sehr alt werden. Leise äußert sie schließlich die Hoffnung, dass "es ein anderes Leben geben könnte".

Im Rückblick jedoch wurde der bitterernste – und bitterernst geführte! – Aufstand der Suffragetten auch im Kino meist folklorisiert und lächerlich gemacht. In der schwarzen Komödie "Adel verpflichtet" (1949) etwa spielt Alec Guinness, neben weiteren sieben Rollen, die fanatische Lady Agatha D'Ascoyne, die von einem Ballon aus Flugblätter abwirft und durch einen Pfeil vom Himmel geholt wird. Und in dem Musical "Mary Poppins" (1964) singt Glynis Johns als naiv-tüddelige Mrs. Banks die "Sister Suffragette" ins lang wirkende Klischee von den "Soldiers in Petticoats" hinein. Die militanten Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht wurden so zu komischen Figuren, wurden also verkleinert, verharmlost und eingesperrt in Bilder von gut gekleideten Damen aus der Ober- und Mittelschicht, welche die Emanzipation quasi als skurriles Hobby betreiben.

Die Regisseurin Sarah Gavron und ihre Drehbuchautorin Abi Morgan aber inszenieren ihren Film nicht nur mit sozusagen rückwirkendem Ernst, sondern auch aus einer anderen Perspektive heraus. Sie präsentieren eine Rebellion von unten und schreiben die Geschichte damit ein in die des Klassenkampfs. Durch Frauen wie Maud und ihre Kolleginnen, die einen harten Alltag zu bewältigen haben, gewinnt die Figur der Suffragette an Relevanz und Schärfe. Nein, die Kämpferinnen aus den privilegierten Schichten werden nicht denunziert, auch wenn sie sich wie Mrs. Houghton ( Romola Garai) ihrem Mann fügen, aber sie bleiben letztlich am Rande der Erzählung. Und Emmeline Pankhurst, die historische Anführerin und Gründerin der Women's Social and Political Union? Sie wird zwar schon durch die Besetzung mit Meryl Streep zum Star und auf ein Podest, respektive auf einen Balkon gehoben ("Never surrender!"), doch ihr Rede-Auftritt dauert nur wenige Minuten.

Die Geschlechterfrage aber bleibt in diesem Film verbunden mit der Klassenfrage, und die Verhältnisse für Menschen wie Maud haben sich dabei seit Dickens' Zeiten kaum gebessert. Fahle Bilder von schmutzigen Gassen, trostlosen Ziegelwänden, dämmrigen Behausungen. Und von einem Arbeitsplatz, an dem verhärmte Frauen von männlichen Vorarbeitern schikaniert und sexuell belästigt werden. Maud hat zunächst keine Theorie, was ihre Lage angeht, aber sie spürt die Ungerechtigkeit. Ins Suffragetten-Lager schlittert sie eher hinein, als sich diesem bewusst anzuschließen, ja, sie wird letztlich durch die Polizei – keine Knuddelbobbys, sondern Brutalobullen! – in die Radikalisierung hineingeprügelt. Dass sie von ihren Nachbarn und Kolleginnen stigmatisiert, von ihrem furchtsam-ignoranten Mann (Ben Wishaw) verstoßen und von ihrem Sohn getrennt wird, kann ihre Emanzipation nicht mehr verhindern. "Wir werden gewinnen!", sagt sie dem Polizeiinspektor (Brendan Gleeson), der sie zuerst verfolgt hat und dann als Spitzel anheuern wollte. Wie ein sanftes Dulderinnen-Gesicht langsam entschlossenere Züge entwickelt, das spielt Carey Mulligan sehr gut.

"Suffragette" ist auch Starkino, Kostümdrama und Mainstreamkino, welches vor Pathos nicht zurückschreckt und viele Szenen mit melodramatisch schwerer Musik belegt. Aber gleichzeitig ist dies auch ein Film, der sich der britischen Tradition des Arbeiterkinos und Regisseuren wie Ken Loach verpflichtet fühlt und mit schneller Handkamera eintaucht ins Arbeitermilieu. Dies ist ja nicht nur die nachgetragene Würdigung einer Revolte, hier wird die Gegenwart immer mitgedacht. Wie? So wie in dieser Wäscherei geht es bei uns nicht mehr zu? Nun, was heißt schon bei uns! Zu unserer globalisierten Welt gehören schließlich auch die Sweatshops in Asien und anderswo, in denen die ausgelagerte Lohnsklaverei unfröhliche Urstände feiert. Und wenn in diesem Film von Gefängnis, Hungerstreik und Zwangsernährung erzählt oder darüber diskutiert wird, wie weit man gehen darf im Kampf gegen einen repressiven Staat (Gewalt gegen Sachen?), dann sind das sehr gegenwärtige Themen.

Die gegenwärtigen Diskussionen haben sich dann auch schnell mit "Suffragette" beschäftigt. In den USA wird dem Film vorgeworfen, dass er nur weiße Kämpferinnen zeigt und dass der zitierte Pankhurst-Spruch "Lieber Rebellin als Sklavin" zwar historisch korrekt sei, aber politisch in unserer Zeit unsensibel wirke. Eine Eifersucht diskriminierter Gruppen untereinander, die sich den Opferstatus neiden? Abi Morgan hat dazu erklärt, dass es damals in der englischen Suffragetten-Bewegung, jedenfalls bei den Kämpferinnen aus der Arbeiterklasse, tatsächlich nur wenige farbige Akteurinnen gegeben habe. Die Erzählung endet, wie in der Historie, mit einer Art Märtyrertod, der dieser Emanzipationsbewegung endlich die ersehnte mediale Aufmerksamkeit bringt. Der lange Trauerzug durch London ist dann in schwarzweißen Dokumentaraufnahmen zu sehen.

"Suffragette" ist also eine Erfolgsgeschichte, und für diese musste wohl die eine oder andere Ambivalenz oder Widersprüchlichkeit der tatsächlichen Ereignisse wegfallen. (Insgesamt wurde die Bewegung eben doch eher von Mittel- und Oberschichtsfrauen geprägt, die umstrittene Anführerin Emmeline Pankurst agierte zudem äußerst autokratisch, stellte den Kampf zu Beginn des Ersten Weltkriegs aus patriotischen Gefühlen ein und wurde später Mitglied der Konservativen Partei.) Im Jahr 1918 erhalten die Frauen in England das eingeschränkte Wahlrecht, so informieren Filminserts zum Abspann, zehn Jahre danach das uneingeschränkte. In der Schweiz mussten die Frauen bis 1971 warten, in Saudi-Arabien, so ist zu lesen, wird über das Thema gerade nachgedacht.

 

Info:

"Suffragette" kommt am Donnerstag, den 4. Februar, in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche _blank external-link-new-window>finden Sie hier.

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1 Kommentar verfügbar

  • Frédéric
    am 08.02.2016
    Antworten
    Wenn Koppold doch nur die unsägliche Adaption von Suters "Die dunkle Seite des Mondes" rezensiert hätte! Dann wäre mir selbige Enttäuschung erspart geblieben.

    Nun denn, nach der verspäteten Lektüre der Rezension von "Sufragette" empfiehlt sich wahrscheinlich umso mehr das Lösen eines Billettes…
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