Generationen von Dillmännern kennen den Diakonissenplatz – ohne notwendigerweise zu wissen, dass es einen solchen gibt. Denn was bis vor kurzem von den Rückfenstern des Dillmann-Gymnasiums im Stuttgarter Westen aus zu sehen war, war nicht mehr der um 1900 angelegte Vorplatz des Diakonissen-Krankenhauses, sondern der älteste Verkehrsübungsplatz der Welt: 1953 eingerichtet, noch bevor der Neubau des Schulgebäudes entstand. Dass Kinder vom Auto angefahren wurden, war in der Stadt mit dem dichtesten Autoverkehr der Republik damals an der Tagesordnung. Also wollte man sie erziehen, besser aufzupassen – und zugleich auf ihre künftige Rolle als Autofahrer vorbereiten.
Dies ist aber nur die Geschichte der sichtbaren Oberfläche des Platzes. Im Untergrund schlummert ein ganzes Reservoir weiterer Geschichten und Anekdoten. Keiner kennt sie besser als Klaus-Peter Graßnick. In der frühen Nachkriegszeit im Viertel aufgewachsen, besuchte er die Falkertschule, gleich hinter dem Dillmann, und unterrichtete später eine Ecke weiter Friseure, an der Gewerblichen Schule im Hoppenlau. Im Untergrund des Platzes befindet sich seit 1941 ein Bunker. Und der hat eine wechselvolle Geschichte.
Ein Atombunker für Manfred Rommel
Der Bunker war in der Nachkriegszeit Notunterkunft für Heimatvertriebene, kurzfristig Hotel, später Versteck für Diebesgut, Refugium für Obdachlose und Liebespaare, in neuerer Zeit auch einmal heimliche Party-Location. Graßnick hat dort in den 1970er-Jahren mit der Rockband "Müll" geprobt: benannt nach dem Unrat, den die drei Musiker zuerst einmal beseitigen mussten, aber auch aus Protest gegen die Umweltverschmutzung.
Im "Deutschen Herbst" 1978 zog die Stadt einen Zaun um das Gelände: aus Angst, die RAF könnte sich dort einnisten. Zwei Jahre später kam das Aus für den Übungskeller: Der Bunker wurde zum Atombunker für Stadtoberhaupt Manfred Rommel ausgebaut. "I gang da net nunder", habe der Oberbürgermeister gesagt, erinnert sich Graßnick.
Graßnick möchte den Bunker wieder zugänglich machen und hat zu diesem Zweck 2016 einen Verein gegründet. Er bearbeitete Bezirksbeiräte, Liegenschaftsamt und Gemeinderäte und erhielt schließlich vom Bezirksbeirat West einen Zuschuss von 70.000 Euro zur Renovierung des Nordflügels, des ehemaligen Lazaretts, wo Veranstaltungen stattfinden sollen. Der Verein hat sich in die Arbeit gestürzt und schon mehr als 3000 Stunden ehrenamtlich geleistet. Im Moment streichen zwei Männer Decken und Wände.
Geplant sind ein Raum mit Bühne für maximal 132 Besucher und zwei kleine Ausstellungsräume. Denn auch die wechselvolle Geschichte des Bunkers soll sichtbar werden, für die sich Alexander Brueggeboes sehr interessiert, der zweite Vereinsvorsitzende, einige Jahrzehnte jünger als Graßnick. Mit seiner Southern-Rock-Band "Belphi" probt er bisher im Eiernestbunker im Stuttgarter Süden – wie Graßnick, der mit dem "Müll"-Gitarristen Eckardt Dietel als "Not Named Brothers" immer noch auftritt.
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Peter Bähr
am 19.01.2022Siehe auch: https://youtu.be/D4UGyMSi-M4