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Der Goldene Gaul

Preis für Stuttgarts größten Sexisten

Der Goldene Gaul: Preis für Stuttgarts größten Sexisten
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Es gibt einen neuen Ehrenpreis in Stuttgart: den "Goldenen Gaul" für besonders sexistisches Verhalten. Nun wurde das etwa 20 Zentimeter kleine Ross einem Stuttgarter verliehen, der im vergangenen Jahr entsprechend auf sich aufmerksam machte.

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"Wir wollen den öffentlichen Pranger nicht vermeiden, der öffentliche Pranger ist unser Ziel", sagt Bärbel Wolf vom Feministischen Frauen* Gesundheitszentrum (FF*GZ) bei der Anmoderation der Preisverleihung. Der "Goldene Gaul" soll Stuttgarter Persönlichkeiten oder Gruppen auszeichnen, die sich 2022 nicht scheuten, Frauen und queere Personen öffentlich abzuwerten, feministischen Aktivismus lächerlich zu machen und machohaftes Verhalten zu glorifizieren. "Wir haben die Schnauze voll", so Bärbel Wolf, "es ist Zeit, die schlechten Beispiele mal ins Licht zu rücken." Der Preis sei als satirisches politisches Statement gedacht, das den Nominierten sagen soll: "Wir beobachten euch."

Screenshot: Facebook

Keine inhaltliche Diskussion erwünscht?

"Mit seinem Post verfolgt Nopper die Strategie, Scheininhalte aufzubauen, um eine inhaltliche Diskussion zu verhindern", ordnet Olaf Kramer auf Kontext-Anfrage ein. Der Professor für Rhetorik und Wissenskommunikation an der Eberhard Karls Universität Tübingen hat sich die rhetorische Taktik dieser Kommunikation angesehen. "In Wirklichkeit kann man über das Gendern sprechen und über die wirtschaftliche Not der Schausteller:innen", erklärt er weiter, das eine schließe das andere nicht aus. Außerdem nutze Nopper stark emotional aufgeladene Begriffe, die Zusammenhänge sehen, wo nicht notwendigerweise welche sind. "Das Sprechen über Genderfragen macht den Gemeinderat nicht automatisch zur 'Zensurbehörde'". Fazit: ein Post, der nicht einordnen, sondern polarisieren will.  (lui)

Die Nominierungen konnten im Vorfeld der Veranstaltung über die Social Media Kanäle der einzelnen Gruppen eingereicht werden. Am Verleihungsabend selbst ist der Andrang riesig, das Stadtteilzentrum Gasparitsch im Stuttgarter Osten übervoll. Über 200 hauptsächlich junge Frauen und Männer drängen sich auf den Klappstühlen und in die letzten freien Eckchen am Boden. Die als letztes gekommen sind, pressen ihre Gesichter im Nieselregen an die Fensterscheibe, um wenigstens die Namen der Nominierten zu erhaschen.

And the winner is ...

Unter Trommelwirbel wird ein goldener Umschlag durch das dicht gedrängte Publikum balanciert. Ein Name wird herausgezogen: Als größter Sexist der Stadt verdient gemacht hat sich 2022 … ihr Oberbürgermeister Frank Nopper, CDU! Vor allem sein Facebook-Post zu der Debatte um die sexistischen Bilder auf dem Stuttgarter Frühlingsfest hatte die Jury überzeugt. "Der Oberbürgermeister, der eigentlich alle Stuttgarter:innen repräsentieren sollte, verhindert aktiv die Bekämpfung von Sexismus. Wir finden deshalb, er ist kein Unterstützer einer vielfältigen Stadtgesellschaft", erklärt eine Sprecherin der veranstaltenden Frauenorganisationen in der Laudatio für den Sieger. Persönlich anwesend ist der OB an diesem Abend nicht. Dafür können die Gäste ihm am Ende des Abends ein paar Grüße per Karte schreiben. Diese werden ihm dann mit dem Preis in den nächsten Wochen im Rathaus vorbeigebracht. Ein genauer Termin dafür steht noch aus. Vorübergehend aufatmen konnten die anderen Nominierten.

Bitterer Beigeschmack

Moderator:innen und Publikum haben sich an diesem Abend gut amüsiert, aber das Thema Alltagssexismus hat auch eine ernste Seite, erklärt Yvonne Wolz von Wildwasser Stuttgart e.V., die Frauen berät, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt erfahren haben. Für sie ist die Veranstaltung ein guter Anlass, die feministische Bewegung zu feiern, aber auch wichtig, um auf Alltagssexismus aufmerksam zu machen. "Es ist wichtig zu verstehen, dass sexualisierte Gewalt ein Kontinuum ist. Auf der einen Seite der Skala steht alltäglicher Sexismus, in Worten und Bildern, auf der anderen Seite jahrelange schwere sexualisierte Übergriffe", sagt Wolz. Eine Vergewaltigung passiere nicht einfach aus dem Nichts heraus. "Sie wird ermöglicht von einer Gesellschaft, in der Männerbünde sich gegenseitig bestärken und nicht eingreifen, wenn Frauen abgewertet werden." Die Gewalttaten, mit denen sie bei ihrer Arbeit zu tun hat, seien keine tragischen Einzelfälle, sondern Symptome eines gesellschaftlichen Klimas, erklärt sie. Deshalb brauche es eine gute Öffentlichkeitsarbeit, um für diese Themen zu sensibilisieren.

Die Nominierten

Helmut H. Schmid, Geschäftsführer der Stuttgarter Straßenzeitung Trott-War e.V., für seine Aussage in einem Podcast des Projekts "Sprich Stuttgart". Er soll dort gesagt haben, dass es ihn antörne, Frauen in kurzen Röcken in Paternoster-Aufzügen von unten zu betrachten. Der Beitrag wurde mittlerweile entfernt. Der Tattoo- und Barbershop Jack the Ripper, da dieser nicht nur keine Frauen als Kund:innen haben will, sondern auch mit dem Namen eines Frauenmörders wirbt. Martin Scheuermann vom christlichen Gästezentrum Schönblick, Schwäbisch Gmünd, weil er im Oktober 2022 den Kongress "Leben.Würde" in seine Räume ließ. Der Kongress wurde unter anderen vom Bundesverband Lebensrecht veranstaltet, der gegen das Recht auf Abtreibung ist. Die CDU-Ortsgruppe Stuttgart-Ost und ganz besonders das Facebook-Engagement von Alexander Kotz, Kopf der CDU-Gemeinderatsfraktion, der etwa die Tampon-Spender auf Herrentoiletten im Rathaus öffentlich als "Grünenwahnsinn" einstufte, der "umgehend zu entfernen" sei. Auch sein Fraktionskollege Thomas Rudolph stach hervor, weil er sich öffentlich über Äußeres und Figur vor allem der grünen Politikerinnen Annalena Baerbock und Ricarda Lang amüsierte. Die Stuttgarter Polizei, weil sie hart gegen Teilnehmer:innen der feministischen Demo am 8. März vorging und so das Patriarchat geschützt hat. John Heer, "Besitzer verschiedener Vergnügungseinrichtungen in Stuttgart", wie der Bordellbesitzer sich selbst bezeichnet. Er ist unter anderem nominiert für seine Unterlassungsklage gegen Veronika Kienzle, die grüne Bezirksvorsteherin des Leonhardviertels, weil sie darauf aufmerksam machte, dass seine Bordelle im Viertel baurechtlich nicht zulässig sind. Patrick Patriarchat, der Sexist von nebenan, der sich zusammensetzt aus all den Erfahrungsberichten, die die Gruppe gesammelt hat. Keine stadtbekannte Persönlichkeit, aber allen ein Begriff.  (lui)

Was hat ein Pferd damit zu tun?

Die Idee zu der Preisverleihung entstand aus einem Zusammenschluss einiger feministischer Gruppen Stuttgarts. Das Frauenkollektiv Stuttgart, das FF*GZ, Queerfeminismus Stuttgart, "Zusammen Kämpfen Stuttgart" und "Sozial, Radikal, gegens Kapital" haben sich bereits im vorigen Jahr für gemeinsame Aktionen vernetzt. Als die Debatte um die sexistischen Bilder auf den Buden des Stuttgarter Frühlingsfestes hochkochte, entstand der Hashtag #daspferdhateinennamenpatriarchat und schließlich auch der Name für den neuen Ehrenpreis der Stadt, erklärt Bärbel Wolf vom FF*GZ. Die Namen von Hashtag und Preis verweisen auf eines der umstrittenen Budenbilder vom Frühlingsfest, auf dem ein Pferd einer erschreckten Frau den Rock wegzieht. Die Gemeinderatsfraktion der Grünen hatte dieses und andere Bilder beim letzten Frühlingsfest kritisiert, Oberbürgermeister Frank Nopper hatte die Kritik entschieden zurückgewiesen, wie Kontext berichtete.


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4 Kommentare verfügbar

  • Jörg Nauke
    am 24.04.2023
    Antworten
    @Helmut H. Schmid, Geschäftsführer der Stuttgarter Straßenzeitung Trott-War e.V., für seine Aussage in einem Podcast des Projekts "Sprich Stuttgart". Er soll dort gesagt haben, dass es ihn antörne, Frauen in kurzen Röcken in Paternoster-Aufzügen von unten zu betrachten. Der Beitrag wurde…
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