Der Journalist Lucius Teidelbaum hat 2018 ein Buch über die christliche Rechte in Deutschland veröffentlicht und schickte ein Grußwort, das verlesen wird. Darin stuft er den "Leben.Würde"-Kongress als "vermutlich wichtigstes Vernetzungstreffen rechtsklerikaler Abtreibungsgegner:innen der letzten zehn Jahre" ein. Der Austragungsort sei dabei kein Zufall, da es im "Schönblick" häufiger Veranstaltung gebe, die ein ähnliches Publikum ansprechen.
Teidelbaum fasst über die "Lebensschützer" zusammen: "Aus einem fundamentalistischen Bibel-Verständnis wird abgeleitet, dass ab der Befruchtung der Eizelle Leben existieren würde. Ein Schwangerschaftsabbruch wird deswegen mit Mord gleichgesetzt. Intern wird dieses Verständnis auch so kommuniziert, nur nach außen tritt man inzwischen anders auf."
Junge Frauen sind auch dabei
Tatsächlich ist das Auftreten im Umgang mit der Presse bemerkenswert freundlich. Manche im "Schönblick" tun sich allerdings schwer, ihre Homophobie zu verschleiern. Andere versuchen es gar nicht. Der Stuttgarter Hartmut Steeb etwa, einst Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, ist stolz darauf, dass er zehn Kinder gezeugt hat, von denen nicht eines schwul geworden sei. Für sein langjähriges Engagement bedankten sich seine Mitstreiter:innen auf dem Kongress mit Karten für die Stuttgarter Bach-Tage – wobei Steeb die Texte wahrscheinlich besser kenne als der Komponist, da es sich ja um Psalme handelt. (Dafür hatte Bach 20 Kinder – von denen allerdings die Hälfte vor dem dritten Lebensjahr starb.)
Der ehemalige baden-württembergische SPD-Bundestagsabgeordnete Robert Antretter, Jahrgang 1939, bekennt sich ebenfalls zum "Lebensschutz" und sagt auf dem Podium, er habe in den Vorträgen nichts gehört, was er als anstößig empfinde. Seine Einschätzung: Er könne "ruhig sterben, wenn ich weiß, dass die Republik von Jüngeren und Älteren geleitet wird, die wissen, was droht, wenn man die Demokratie aufs Spiel setzt."
Zusammen mit Antretter auf der Bühne sitzt die junge Ärztin Julia Maria Kim vom Vorstand "Ärzte für das Leben", die sich für die Zukunft wünscht, "dass wir die Familie als Keimzelle der Gesellschaft stärken, aber auch, dass wir werdende Mütter in schwierigen Lagen dabei unterstützen, dass sie eines Tages ihr Kind in den Händen halten und sagen können: Das war die beste Entscheidung meines Lebens."
Der "Lebensschutz" exotisiert sich selbst
Die Ethnologin Michi Knecht hat sich in ihrer 2006 erschienenen Dissertation mit der Geschichte der "Lebensschutz"-Bewegung auseinandergesetzt und betont, die "Lebensschützer" würden "häufig als eine versponnene, radikale Minderheit vornehmlich älterer Männer vor- und dargestellt, die mit den beschleunigten Veränderungen der Gegenwart nicht Schritt halten können". Dabei gebe es zwar durchaus die "real existierenden, notorischen Exzentriker der Bewegung", beispielsweise einen Pfarrer, der einen Fötus in Kunstharz gegossen hat und damit auf Demonstrationen herumläuft. Allerdings würde in diesem Bild der Einfluss der "Lebensschutz"-Bewegung auf Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht unterschätzt, das in Urteilen bereits mehrfach die Wortwahl von der Abtreibung als "Tötung ungeborenen Lebens" aufgegriffen hat.
6 Kommentare verfügbar
Ulrich Hartmann
am 29.10.2022Ach ja: Der Mensch ist kein Lippfisch.