In einer Stadt mit 91.000 Einwohner:innen ist der Oberbürgermeister wiedergewählt worden. Klassische Sack-Reis-Geschichte – aber nicht, wenn die Stadt Tübingen heißt und Boris Palmer am Start ist. Der läuft einfach zu gut. Ein wenig liegt das, zugegeben, an der Stadt selbst, die sich für etwas Besonderes hält, weil sie immer noch den Weltgeist in ihren Mauern wähnt. Aber der alles Entscheidende ist natürlich "Deutschlands vernünftigster Grüner". Das schreibt die "Bild"-Zeitung.
Der Realo im Rathaus verwechsle grüne Politik "nicht mit Sozialismus", analysiert das Blatt. Okay, jetzt könnte eingewendet werden, dass der Springer-Verlag linkes Gedankengut bei den Ökos entdeckt, wo keines ist, beziehungsweise sein 68er-Trauma immer noch nicht überwunden hat. Dann Schwamm drüber. Wäre da nicht Jasper von Altenbockum von der großbürgerlichen FAZ, der in Palmer einen gefunden zu haben scheint, den er lange gesucht hat. Ein Bollwerk gegen links. Einen, der den Grünen mal so richtig den Marsch bläst. Der ihnen ins Gesicht sagt, dass sie ihren "stechenden Blick der Programmpartei" ablegen, den Staat nicht länger als "Erziehungsanstalt" und die Medien als "Rohrstock" verstehen sollen. Auch das Burda-Blatt "Focus" lobt den Sohn des rebellischen Vaters Helmut über den Schellenkönig. Ein "Unangepasster" habe gesiegt, endlich kein "Zeitgeistritter", die Politik brauche "Typen wie ihn", jubelt Ulrich Reitz, einer, der den "neuen Fetisch" der Grünen bekämpfe: die woke Identitätspolitik.
So schnell kann's gehen: Aus dem viel gescholtenen Pöbler ist das Prinzip Vernunft geworden. Da nimmt es nicht wunder, wenn bei Grüns wieder Freundschaften erblühen, die verwelkt waren, die Hände ausgestreckt sind, den Verfemten heim zu holen. Und irgendwann wird es womöglich heißen, Boris Palmer wäre jetzt reif für den Landesvater.
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