Die Mutation ereignete sich, soweit Forscher den Fall rekonstruieren können, vor einem Vierteljahrhundert, vermutlich in einem süddeutschen Aquarium. Wenig später gelangte der Marmorkrebs auf unbekannte Weise in die Freiheit. Nicht nur macht der Krebs mit der namengebenden Marmorierung auf dem Panzer – Triggerwarnung für besorgte Bürger! – als invasive Spezies dem autochthonen Edelkrebs Ressourcen und Lebensraum strittig. In den noch jungen Jahren ihrer Existenz gelang es der Art sich quer durch Europa bis nach Japan und sogar Madagaskar auszubreiten.
Während das allein manchem schon Grund genug zur Sorge ist, muss das Fortpflanzungsverhalten des Marmorkrebs erst recht blankes Entsetzen hervorrufen: Denn sie vermehren sich durch apomiktische Parthenogenese. Weniger wissenschaftlich heißt das: Um ihre Art zu erhalten, braucht es weder Männer noch Sperma. Marmorkrebse sind ausschließlich weiblich, ihr Gengut ist immer identisch, sie klonen sich, und das im Schnitt alle acht Wochen rund 120 Mal. Die katholische Kirche hat sich das vermutlich anders erhofft: Endlich eine jungfräuliche Empfängnis – und dann ist ausgerechnet die ein Beleg, dass Rippenspender Adam und seine Geschlechtsgenossen für den Zeugungsprozess obsolet sind.
Manchmal kommt es eben faustdicke. Da plagt sich das männliche Geschlecht ohnehin schon durch eine postmoderne Identitätskrise, werden selbstverständlich gewähnte Rollenbilder dekonstruiert, und nun wird auch noch auf Basis empirischer Evidenz die Existenzberechtigung des gesamten Sexus' in Frage gestellt. Für Phallusfreunde sind die biologischen Befunde junger Jahrzehnte definitiv deprimierend: Wäre die Menschheit ein Bauprojekt, wäre der Mann so was wie die Brandschutztür. Brauchbar als Katastrophenvorsorge, falls mal was schief geht. Immerhin schützt genetische Vielfalt, wie sie aus dem sexuellen Austausch von Erbgut resultiert, vor Viren und Epidemien. Wenn das Immunsystem eines Individuums also einer Krankheit nichts entgegenzusetzen hat, muss das bei einer gut durchmischten DNS nicht das Aussterben der ganzen Art zur Folge haben. Für Klone sieht es hingegen düster aus.
Zum stationären Samenspender degradiert
Bei gut 99,9 Prozent der Tierarten hat sich daher die geschlechtliche Fortpflanzung etabliert. Doch es gibt durchaus Beispiele erfolgreich überlebender Arten, die ganz ohne Männer auskommen. Etwa Amazonenkärpflinge. Die haben ihre maskulinen Vertreter schon vor 100 000 Jahren abgeschafft, seitdem frönt der sittenlose Süßwasserfisch dem sogenannten Sexualparasitismus. Schamlos missbraucht er die Männlein nah verwandter Arten, um die Entwicklung der eigenen Eizellen anzuregen, ohne aber das Sperma seiner Opfer anschließend weiterzuverwerten: Für das Erbgut der Nachfahren, das mit dem des Muttertiers identisch ist, sind die Samen völlig irrelevant. Somit demonstriert der Amazonenkärpfling, dass auch die vaterlose Vermehrung Jahrtausende überdauern kann, <link http: www.spektrum.de news verzicht-auf-sex-und-maenner-muss-nicht-schaden external-link-new-window>wenn der immer wieder kopierte Genpool nur resistent genug ist.
Doch die Natur droht dem männlichen Geschlecht mit Schicksalen, die weitaus schrecklicher sind, als einfach nur ersetzt zu werden oder auszusterben. Das wahre Grauen lauert dabei selbstverständlich in der Tiefsee. Tausende Meter unter Wasser, wo ein Großteil der Geschöpfe so hässlich ist, als ob sie genau wüssten, dass sie da unten eh niemand entdeckt, hat sich das Sein einen beispiellos entwürdigenden Fortpflanzungsprozess einfallen lassen, um das männliche Geschlecht auf eine groteske Karikatur zu reduzieren: Der männliche Anglerfisch wird bei der Paarung zu einem lebendigen, aber hirnlosen Hodensack.
2 Kommentare verfügbar
Marla V
am 09.03.2018Nachdem "ihr" Jahrtausende Frauen dafür bestraft habt, etwas zu können was ihr nicht könnt, aber leben-serhaltend braucht(et):
das größtmögliche Risiko eingehen: Leben schenken und bewahren....
Mutter Natur! Wie anmaßend! …