Um kaum ein Thema ranken sich so viele Legenden wie um die Drogenökonomie. Dank Netflix und Hollywood meinen wir alle zu wissen, wie es in der Branche zugeht: Mafia-Bosse – in der Regel aus Lateinamerika, Südostasien oder Osteuropa – errichten in ihren korrupten Heimatländern Imperien der Gewalt, die unsere Ordnung von außen unterminieren. Es ist wie mit dem religiösen Fanatismus, der Frauenfeindlichkeit oder dem Terror: Die Bedrohung ist importiert und spricht deutsch oder englisch nur mit Akzent.
Dabei ist hinsichtlich der Drogenökonomie vieles nicht geklärt. Die Mutmaßungen beginnen schon bei der Frage, welche Bedeutung der Drogenhandel für die Weltwirtschaft besitzt. Der jährliche World Drug Report der Vereinten Nationen vermeidet seit Längerem konkrete Angaben zum Thema. In den Jahresberichten werden zwar minutiös Daten zu den Anbauflächen von Schlafmohn und Koka gelistet, doch über die Umsätze des Drogenhandels weiß man eher wenig. Eine der letzten Schätzungen stammt aus dem Jahr 2005 und ist recht ungenau: Damals nannte der UN-Bericht Zahlen zwischen 85 Milliarden und einer Billion US-Dollar pro Jahr – was 0,26 bis 3,3 Prozent des Weltsozialprodukts entsprach. Das globale Marktvolumen der Automobilbranche wird zum Vergleich auf etwa 2,5 Billionen US-Dollar, das der Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtindustrie auf 740 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Auch wenn das Ausmaß des Drogenhandels unbekannt ist, steht außer Frage, dass er zu den ganz großen Wirtschaftsbranchen gehört. Hier allerdings ergibt sich sofort das nächste Problem: Wer profitiert vom Geschäft? Als Netflix-Konsument:innen fallen uns natürlich sofort Gestalten wie der Kolumbianer Pablo Escobar ein, der aus einfachen Verhältnissen stammte, irgendwann das heimische Badezimmer mit vergoldeten Armaturen bestückte und am Ende einsam und verlassen starb. Tatsächlich gibt es diese spezifische Variante von Drogenunternehmer:innen aus dem globalen Süden. Und der unkontrollierte Devisenabfluss dürfte wohl auch der entscheidende Grund gewesen sein, warum die USA in den 1980er-Jahren in Lateinamerika den Drogenkrieg aufnahmen und in der Folge Milliardenbeträge in den Süden pumpten. Das Medellín-Kartell von Pablo Escobar war, so wird häufig kommentiert, der einzige lateinamerikanische Konzern, der die gesamte Herstellungs- und Lieferkette eines Produkts direkt kontrollierte.
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