Man kann mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten nicht über die von ihm mitgegründete "Bürgerbewegung Finanzwende" reden, ohne irgendwann auf das Licht der Öffentlichkeit zu sprechen zu kommen. "Unsere Gesellschaft muss sich intensiver mit Finanzfragen beschäftigen", das ist eine seiner zentralen Thesen, "sonst gewinnen immer nur die Falschen und die Lobby hat leichtes Spiel." Noch ist das ein weiter Weg, denn bislang lässt auch die Medienwelt kein gesteigertes Interesse an diesem Thema erkennen. Schick sieht das so: "Es gibt zwar gut recherchierte Artikel und einige Journalisten, die bei der Berichterstattung zu Cum-Ex und Wirecard eine hervorragende Arbeit machen. Aber in den großen Diskussionsforen dieser Republik haben diese großen Finanzskandale bisher kaum Niederschlag gefunden. Wobei man sich schon fragt: Was ist hier eigentlich los? Ständig wird von der ganzen Härte des Gesetzes gesprochen, aber dann geht es eher um Wohnungseinbrüche und um Drogendealer. Sobald die Kriminellen aber in Anzug und weißem Hemd daherkommen, reagiert unsere Gesellschaft merkwürdig apathisch."
Fünfzehn Jahre ist es her, dass Schick, damals 33, als Abgeordneter für die Grünen in den Bundestag eingezogen ist. Er hätte damals "nie gedacht, dass hinter den glitzernden Fassaden von Banken und Co. so viel kriminelle Energie steckt". Über eine Dekade war er finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er übernahm die Position im Herbst 2007, kurz nachdem sich die dramatisch sinkenden Immobilienpreise in den USA auch für europäische Banken bemerkbar machten und die EZB erstmals seit dem 1. September 2001 Milliardenbeträge fließen ließ, um den Finanzsektor zu stabilisieren. Die Pleite der Großbank Lehman Brothers, ein knappes Jahr später, markierte den vorläufigen Höhepunkt einer globalen Krise, die das gesamte Finanzsystem zum Einsturz zu bringen drohte. "Die Gesellschaft war in Aufruhr", erinnert sich Schick. Es war eine Zeit, in der viel möglich schien.
Merkel wollte mal alle Märkte regulieren
Der Finanzmarkt, der sich als nicht ganz so stabil erwies, wie er manchen erschien, sollte krisenfester werden. Das Katastrophenszenario einer globalen Krise dürfe sich nicht wiederholen – das, meint Schick, sei zwischenzeitlich der Konsens im Bundestag gewesen. Im Oktober 2008, "dem Monat der Rettungspakete", wie ihn die "Tagesschau" nannte, einigt sich die Bundesregierung auf ein Rettungspaket von 480 Milliarden Euro für kriselnde Banken, wobei keine Zeit blieb, das Parlament um Zustimmung zu bitten. Kanzlerin Merkel versprach damals, dass nun "alle Marktteilnehmer, alle Produkte und alle Märkte wirklich überwacht und reguliert werden".
Alte Glaubenssätze gerieten ins Wanken. In einem aufsehenerregenden Artikel für die "FAZ" beschrieb ihr zwischenzeitlich verstorbener Herausgeber Frank Schirrmacher "das komplette Drama der Selbstdesillusionierung des bürgerlichen Denkens", mit einem Hinweis auf den offiziellen Biografen von Margaret Thatcher. Der schrieb plötzlich Dinge wie: "Wenn die Banken, die sich um unser Geld kümmern sollen, uns das Geld wegnehmen, es verlieren und aufgrund staatlicher Garantien dafür nicht bestraft werden, passiert etwas Schlimmes. Es zeigt sich – wie die Linke immer behauptet hat –, dass ein System, das angetreten ist, das Vorankommen von vielen zu ermöglichen, sich zu einem System pervertiert hat, das die wenigen bereichert." Schirrmacher bilanziert: "Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik."
Doch es handelte sich gerade nicht um Anliegen, die die politische Linke exklusiv für sich vereinnahmen könnte, und die Gesellschaftskritik ist zwischenzeitlich wieder domestiziert. 2008 aber sorgte die Umwandlung von Bürgergeld zu Bankengeld noch quer durch alle Schichten für Empörung: Wenn sich alle an Regeln zu halten haben und in der Marktwirtschaft miteinander konkurrieren müssen, wie kann es dann sein, dass große Banken hemmungslos herumzocken dürfen, ohne dem Risiko ausgesetzt zu sein, selbst für ihre Verluste zu haften? Das hat sich nicht nur Schick gefragt. Ideen wie ein Trennbankengesetz, eine höhere Eigenkapitalquote für Kreditinstitute und eine Finanztransaktionssteuer erfreuten sich damals großer Beliebtheit, auch unter Konservativen und teils sogar Liberalen. Tatsächlich hat der Bundestag seit 2008 mehr als 30 Gesetze verabschiedet, um den Finanzmarkt zu reformieren. Sie tragen Namen wie Kleinanlegerschutzgesetz oder Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz. Und dennoch: Wenn das Ziel war, Kleinanleger zu schützen, die Finanzaufsicht zu verbessern oder den gesamten Sektor krisenfester zu machen, fällt die Erfolgsbilanz ernüchternd aus. Was in erster Linie mit einer massiven Intervention der Bankenlobby zusammenhängt. So Schicks Befund.
Eine Art Greenpeace für Geldfragen
Er kennt das Problem: Bis ein Gesetz zum Gesetz wird, kann das ursprüngliche Anliegen bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Als Beispiel führt er gerne die Finanztransaktionssteuer unter Olaf Scholz an, die er eine Alibi-Steuer nennt: Eigentlich hätte sie den spekulativen Hochfrequenzhandel eindämmen sollen – nun aber ist im aktuellen Entwurf der Bundesregierung ausgerechnet der Hochfrequenzhandel als Ausnahme von den Regelungen befreit, während Kleinanleger belastet werden.
Schick hat den Prozess, vom Aufbruch in der Krise bis zum Scheitern an der Lobbymacht, hautnah miterlebt. Er kennt die stundenlangen Ausschusssitzungen und wälzerdicken Vorlagen, mit tausenden Seiten hochkompliziertem Juristendeutsch, wo jeder noch so feine Formulierungsunterschied erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. "Und deswegen liegt es so nahe, sich von freundlichen Lobbyisten die Gesetzesvorlagen erklären zu lassen", schreibt Schick. Kein Abgeordneter könne alle Punkte auf jeder Tagesordnung vollständig durchdringen.
1 Kommentar verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 19.08.2020KONTEXT Ausgabe 478 Belohnte Betrüger? https://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/478/belohnte-betrueger-6777.html#comment25325
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