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Spenden gegen das Ertrinken

Seenotstopper Nopper

Spenden gegen das Ertrinken: Seenotstopper Nopper
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Der Stuttgarter Gemeinderat will für Seenotrettung spenden, Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) möchte das nicht. Seine ablehnende Haltung zeigt, wie verroht die "Mitte" ist, meint unsere Kolumnistin.

Ja, Mensch, da hat der Stuttgarter Oberbürgermeister mal wieder einen rausgehauen: Einen Fick auf Flüchtlinge zu geben, die im Mittelmeer ersaufen, ist jetzt auch Chefsache! Wie Tamponspender auf dem Männerklo im Rathaus zu verhindern oder gegen das irre Gendergaga zu kämpfen. Längst ist bekannt: Jedes Mal, wenn Frank Nopper ein Thema politisch für sich ausschlachten kann, kommt er mit einem Post um die Ecke, um seine Position als Stadtoberhaupt öffentlichkeitswirksam für Stimmungsmache zu nutzen. Vergangene Woche wurde auf Facebook und Instagram und daraufhin in den Stuttgarter Zeitungen verkündet: Nopper hat einen Mehrheitsantrag abgelehnt, den Grüne, SPD, das Linksbündnis, die Fraktion Puls und die Einzelstadträtin Sibel Yüksel bereits im Mai 2023 im Gemeinderat stellten. 10.000 Euro wollten sie gerne aus der Stadtkasse für die Seenotrettung spenden, um Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer zu retten. Doch Nopper stellt sich dagegen. Nicht aus finanziellen Gründen – denn was sind schon 10.000 Euro bei einem Haushalt von weit über fünf Milliarden Euro. Nopper ist aus politischen Gründen dagegen.

"Aus rechtlichen und aus sachlichen Gründen", wie er selbst schreibt. Dabei sind seine "Argumente" wieder einmal nicht mehr als rechtskonservative Strohmänner, die sich aber wunderbar eignen, um auch für die anstehenden Gemeinderatswahlen im Juni einzupeitschen: Nopper hält den Antrag der "öko-linken Gemeinderatsmehrheit" für die Spende an die Seenotrettung "für falsch, da sie falsche Anreize zur Flucht auf seeuntüchtigen Booten setzt". Außerdem dürften Kommunen "nur Vorhaben finanzieren, die einen örtlichen Bezug zur Stadt haben". Und im Glauben, sich so gegen Kritik zu immunisieren, schiebt er nach: "Dies ist im Übrigen auch die Position von Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich ausdrücklich von der öffentlichen Finanzierung der Seenotrettung von Geflüchteten durch private Hilfsorganisationen distanziert hat" – ganz so, als wäre Scholz' neues "Rückführungsverbesserungsgesetz" nicht die bürgerliche Kapitulation vor dem politischen und gesellschaftlichen Rechtsdruck.

Und Noppers populistischer Chefsachen-Move funktioniert wieder. Hunderte Likes und Kommentare von Menschen, die sich für seine "klare Haltung" bedanken neben Kommentaren, die ebenso in einer Schwurblerchatgruppe auf Telegram stehen könnten. Tenor: Die "Ökosozialisten" sollen weg aus dem Gemeinderat und Flüchtlinge halt nicht flüchten, wenn sie nicht ertrinken wollen. Dass seine "rechtlichen und sachlichen Gründe" weder rechtlich noch sachlich korrekt sind, ist Nopper und seinen Claqueuren völlig egal. Weder gibt es einen wissenschaftlichen Beleg für den von Nopper angesprochenen "Anreiz", also einen "Pull-Faktor", demnach sich durch Seenotrettung noch mehr Flüchtlinge auf die lebensgefährliche Bootsfahrt begeben würden. Noch stimmt es, dass die Spende nicht zulässig sei. Denn bei städtischen Geldern, die für Zwecke verwendet werden, die außerhalb "des kommunalen Wirkungskreises" liegen, handelt es sich nicht um eine Rechtswidrigkeit, sondern lediglich um einen rechtlichen Grenzbereich.

Konstanz hält Seenotrettung nicht für falsch

Viele Städte deutschlandweit spenden jährlich Tausende von Euro an die Seenotrettung, etwa Konstanz. Folgt man Noppers persönlicher Interpretation der Rechtslage, spendet Konstanz also rechtswidrig Geld an die Seenotrettung. Wäre interessant zu wissen, ob das der Konstanzer Oberbürgermeister Ulrich Burchardt (CDU) auch so sieht. Für Nopper ist es mittlerweile völlig in Ordnung, ganz im Querdenker-Stil, Meinung als Faktum zu verkaufen und dabei humanitäres Verhalten als "falsch" und sogar rechtswidrig zu framen. Einer, über den es unter Stuttgarter Sozialarbeiter:innen längst einen traurigen Running Gag gibt, wenn's um Projektfördergelder geht. "Der Stuttgartbezug fehlt", stehe immer öfter in Antwortschreiben seit Nopper im Rathaus sitzt – etwa, wenn geflüchtete Frauen aus dem Iran, die in Stuttgart leben, eine Veranstaltung über die Zustände im Iran machen wollen. Zu wenig Stuttgartbezug.

Ganz so, als wäre Stuttgart keine Stadt in einem Land, das zu einer Staatengemeinschaft gehört, die für Fluchtursachen mitverantwortlich ist. Ganz so, als hätte Nopper im Jahr 2021 nicht die "Potsdamer Erklärung" unterzeichnet, mit der er die Landeshauptstadt zum offiziellen Partner im Bündnis "Städte Sicherer Häfen/Seebrücke" gemacht hat – ein Bündnis, das sich nachdrücklich bereit erklärt, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen und sich gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung im Mittelmeer ausspricht. Aber eben nicht in der Welt von Chefsachenmacher Nopper. Der hat viel lieber versucht, den nervigen Antrag des Gemeinderats so lange wie möglich in der Schublade zu lassen, eine Entscheidung hinauszuzögern und mit Gaga-Antwortschreiben zu behindern. Das passt ins Profil. Denn Nopper macht keinen Hehl daraus, dass er seine Unterschrift für das Bündnis "Sicherer Häfen" kurz nach seinem Amtsantritt "nicht freiwillig" geleistet habe, "sondern weil ich musste", zitiert ihn die "Stuttgarter Zeitung". Damals setzte er die Entscheidung des Gemeinderates zähneknirschend um. Jetzt sieht es so aus, als wolle er sich mit seiner Verhinderung von lächerlichen 10.000 Euro von zig Milliarden Haushaltsgeld durch Arbeitsverweigerung bei der "öko-linken Mehrheit" im Gemeinderat rächen.

An Noppers neustem populistischen Streich kann man wunderbar aufzeigen, wie sich das deutsche Bürgertum im Zuge der gesellschaftlichen Refaschisierung durch die AfD und andere Rechtsextreme (mal wieder) so selbstverständlich nach rechts orientiert hat, dass ihm nicht einmal mehr auffällt, wie menschenfeindlich es geworden ist. Oder eben immer schon war. Die Themen Flucht und Migration sind hierfür eine der stärksten Indikatoren. Egal ob CDU, SPD oder grüne Ministerpräsidenten: Durch die Bank weg haben sich Regierungspolitikerinnen und -politiker von der AfD eine "härtere Gangart" gegenüber Asylsuchenden diktieren lassen; wurden selbst rechter, um so eine fantasierte "Brandmauer gegen rechts" zu stärken, die sich spätestens mit Olaf Scholz' "Spiegel"-Interview ("Wir müssen endlich im großen Stil abschieben") endgültig als Witz herausstellte. Mittlerweile ist es einfach vollkommen "normal" geworden, dass sich die selbstbezeichnete "Mitte" wieder völlig schambefreit gegen Migrantinnen und Migranten und Geflüchtete aufhetzen lässt und Täter-Opfer-Umkehr betreibt. Selbst Winfried Kretschmann (Grüne) spricht sich mittlerweile für Asylverfahren nach dem "Ruanda-Modell" aus und normalisiert damit eine rechte Idee mit grüner Unterstützung.

Bürgerliches Krisenmanagement aus der Konserve eben. Denn die Bürgerlichen haben Schiss, seit sich Krise an Krise reiht. Schiss vor Bedeutungsverlust. Schiss vor Deutungshoheitsverlust. Schiss, dass ihnen irgendwelche "linksgrünen" "Ökofaschisten" (also die, die ebenfalls gegen Flüchtlinge hetzen) die Häuser wegnehmen und Flüchtlinge reinpacken. Also machen sie, was sie immer gemacht haben: sich von Rechten dankbar einreden lassen, dass mal wieder "die Anderen", die Asylanten schuld sind. Weil sie immer noch nicht kapieren wollen, dass nichts nirgendwo mehr auf der Welt auf Dauer durch nationalistische Grenzabschottung besser wird. Dass das Elend hausgemacht ist und sich nicht länger verdrängen lässt.

Was würde Jesus tun?

Doch der ideologische Gehirnwurm sitzt zu tief. Die Krise muss ums buchstäbliche Verrecken draußen gehalten werden. Auf dem Mittelmeer. Da, wo sie in ihrer dramatischsten Form sichtbar wird. Je weniger Flüchtlinge ins Land kommen, desto weniger werden deutsche Bürgis daran erinnert, dass sie sich was vormachen. Dass sie die ideologisch Verblendeten sind, die die Opfer eines mörderischen Wirtschaftssystems zu Tätern machen, weil sie sonst einsehen müssten, dass sie Teil des Problems sind.

Richtige Menschenfreunde eben, diese bürgerlichen Christdemokraten. Wer kennt sie nicht, die Bibelstelle Np 5,1-7,29 (Seenotpredigt), in der Apostel Nopperus das Gleichnis vom Ertrinkenden erzählt: "Es begab sich aber zu der Zeit, da Jesus zum Fischen auf den See Genezareth hinausfuhr, als er einen Ertrinkenden gleich neben seinem Schiff erblickte, der verzweifelt um sein Leben kämpfte. Als der Ertrinkende seine ganze Kraft zusammennahm, seinen müden Körper so weit es ging aus dem Wasser reckte und mit den Armen wedelte, auf dass ihn Jesus an Deck ziehen würde, trat der Sohn Gottes an den Rand seines Fischerboots, beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte sanfte Worte der Menschenliebe in sein Ohr, bevor Blubberblasen das Letzte waren, was der Ertrinkende auf dieser Erde lebend hinterlassen würde: 'Fürwahr! Deine Rettung ist rechtlich unzulässig und sachlich der falsche Anreiz für andere Ertrinkende'. Nun gehe hin in Frieden!"

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2 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 07.03.2024
    Antworten
    Politik gemacht … "Aus rechtlichen und aus sachlichen Gründen" … "nur Vorhaben finanzieren, die einen örtlichen Bezug zur Stadt haben" … lediglich um einen rechtlichen Grenzbereich.

    Bürgerliches Krisenmanagement aus der Konserve eben. Denn die Bürgerlichen haben Schiss, seit sich Krise an…
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