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Neuer Dokumentarfilm

Reizfigur Riefenstahl

Neuer Dokumentarfilm: Reizfigur Riefenstahl
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Warum fallen Menschen immer wieder auf Lügen herein? Und wo beginnt Propaganda? Solchen Fragen wollen der Stuttgarter Regisseur Andres Veiel und die Produzentin Sandra Maischberger in ihrem Film über den Nachlass der NS-Propagandistin Leni Riefenstahl nachgehen.

Bevor Regisseur Ray Müller sich in den 90er-Jahren an sein Filmprojekt über die damals 90-jährige Filmemacherin Leni Riefenstahl machte, war er gewarnt. 18 Regisseure hätten es davor abgelehnt, den Film über sie zu drehen, sagte er in einem Interview. Doch Müller ließ sich nicht abschrecken und sein zweiteiliger Film bekam einen Emmy. Filme über Hitlers Propaganda-Filmemacherin provozieren bis heute heftige Reaktionen: Im vergangenen April gab es in München laute Proteste gegen eine Ausstellung ihrer Bilder und gegen einen Film mit ihren Aufnahmen der sudanesischen Nuba, wie die "Münchner Abendzeitung" berichtete. Eine Vorführung wurde abgesagt.

Riefenstahl ist umstritten, aber auch bewundert. Nach ihrem Tod 2003 ging ihr Nachlass 2018 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Film- und Fotografiebestände, Manuskripte, Briefe, Akten, Dokumente, Ethnografika, textile und filmtechnische Materialien. 700 Kisten wurden aus Riefenstahls Haus in Pöcking am Starnberger See nach Berlin verfrachtet.

Als die TV-Journalistin und Moderatorin Sandra Maischberger vom Nachlass erfuhr, bewarb sie sich um die Rechte für die kommerzielle Auswertung. Denn sie beschäftigt sich schon mehr als 20 Jahre mit Riefenstahl. Zu ihrem 100. Geburtstag besuchte Maischberger die Regisseurin 2002 am Starnberger See und befragte sie. Das Interview war eine Gratwanderung. Maischberger versuchte, höflich zu bleiben, formulierte auch Vorwürfe: Riefenstahl sei die Politik der Nazis egal gewesen. Es sei ihr immer nur um sich gegangen. Für Anerkennung habe sie sich gerne benutzen lassen. Riefenstahl stimmte der Analyse zwar teilweise zu, dennoch war Maischberger nicht zufrieden mit dem Interview. Sie habe es sich nie wieder angesehen. Riefenstahl habe so sehr an ihre Lügen geglaubt und sie immer wieder ezählt, dass sie zu ihrer eigenen Wahrheit wurden.

Doch Maischberger interessiert sich weiterhin für die "Lieblingsregisseurin des Führers", wie Riefenstahl gerne bezeichnet wird. Nun produziert sie einen Dokumentarfilm über Riefenstahl, Andres Veiel führt die Regie. Der in Stuttgart geborene Veiel und Maischberger sprachen im Rahmen des Dokville-Branchentreffs in Stuttgart über ihr Projekt: ein Dokumentarfilm über den Nachlass von Riefenstahl.

Andres Veiel arbeitet seit mehr als drei Jahren daran. Wozu noch ein Film über Riefenstahl? Wie kritisch wird er sie präsentieren? Wird es eine weitere Abrechnung? Riefenstahl wurde viele Jahre in Film- und Kunstkreisen hofiert und bewundert. Bis die Dokumentarfilmerin Nina Gladitz 2020 in ihrem Buch "Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin" mit ihr abrechnete. Es ging darin vor allem um den Spielfilm "Tiefland" und jahrelange Rechtsstreitigkeiten. Leni Riefenstahl hatte den Film im Zweiten Weltkrieg mit Hilfe von Sinti, die in einem KZ einsaßen, als Komparsen realisiert. Die Sinti wurden später teilweise in Auschwitz ermordet, die Überlebenden warfen Riefenstahl vor, sie hätte ihnen versprochen, sie vor der Deportation zu bewahren. Angehörige der Ermordeten sprachen Anfang der 80er-Jahre in dem Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" von Nina Gladitz im WDR darüber.

Der WDR duckte sich vor Riefenstahl

Riefenstahl klagte in Freiburg dagegen. Sie hatte nach 1945 behauptet, sie habe alle ihre Komparsen nach 1945 wohlbehalten wiedergesehen. Ihre Lügen, den Sinti sei nichts passiert, und ihre Klage gegen den Film von Nina Gladitz wurden 2024 wieder aktuell, weil öffentlich wurde, welch fragwürdige Rolle der WDR dabei spielte. Der Sender hatte den Film zwar produziert, stand Gladitz aber in den 80er-Jahren vor Gericht nicht bei und sperrte den Film fast 40 Jahre weg, obwohl Gladitz in drei von vier Punkten gesiegt hatte. Inzwischen kann der Film zwar vor einem Fachpublikum gezeigt werden, ausstrahlen will ihn der WDR nicht. Es gibt also den naheliegenden Verdacht, der WDR sei damals vor der prozesswütigen NS-Propaganda-Filmemacherin eingeknickt.

Vor drei Monaten führte die ehemalige WDR-Redakteurin Sabine Rollberg im ausverkauften kommunalen Kino Freiburg den Film der mittlerweile verstorbenen Gladitz auf, sprach über dessen zeitgeschichtliche Bedeutung und das Versäumnis des WDR. Für Rollberg ist der WDR seiner Verantwortung für Diskriminierte und Verfolgte des Nazi-Regimes nicht gerecht geworden. Mit einer erneuten Ausstrahlung hätte er zeigen können, warum er es wert sei, Gebühren zu erhalten. Das sei leider nicht passiert. Für Rollberg hat das Verhalten des Senders zudem der Karriere der begabten Filmemacherin Nina Gladitz geschadet und sie langfristig in Krankheit und Ruin gebracht.

Dadurch geriet die ungute Rolle des WDR ins Blickfeld. Naheliegend, dass in Stuttgart die Moderatorin ihre Gäste auf dem Podium fragte: Ist dieser neue Film von Veiel und Maischberger nun eine späte Wiedergutmachung des WDR? Immerhin ist der WDR neben anderen ARD-Anstalten an der Finanzierung von Veiels Projekt (Vincent Productions) beteiligt. Geplant war, dass auch Christiane Hinz vom WDR auf dem Podium sitzt, was einen besonderen Reiz gehabt hätte. Sie wurde aber vertreten von Rolf Bergmann vom RBB, der sagte, der Film von Gladitz sei nicht der erste über Riefenstahl und nicht der letzte. Mit Gladitz habe dieser Film nichts zu tun.

Viele Fragen, wenig Antworten

Wie hat Andres Veiel sich der Figur genähert? "Die Reise begann mit einzelnen Fundstücken, die sehr deutlich gemacht haben: Es wird ein Tanz auf dem Drahtseil von Anfang an. Was erzählt dieser Nachlass? Gibt es Leerstellen? Ist er arrangiert, vielleicht sogar manipuliert? Innen drin gab es immer wieder Momente, wo ich gesagt habe: weitermachen!" Riefenstahl habe Entwürfe zu ihren Memoiren geschrieben, die sich von der Veröffentlichung unterscheiden. Diese Bruchstellen und Widersprüche haben ihn, Veiel, fasziniert.

Es habe "sehr viele Momente" gegeben, wo er – ohne Riefenstahl neu zu erfinden oder zu entdecken – erstmals Räume betreten habe, "die ich so zuvor noch nicht kannte". Was genau das Neue ist, sagte er nicht. Die Menge des Materials sei eine Herausforderung gewesen, weil er und sein Team sich stets gefragt hätten: Wie verdichten wir das auf 110 oder 120 Minuten? "Ausgangspunkt war die Frage: Wer ist diese Figur? Und was bedeutet sie heute?" Es sei immer klar gewesen, dass es darüber hinausgehen müsse, eine despotische Figur zu betrachten. Es sei jedenfalls ein sehr aktueller Film, auch weil sich Riefenstahls Ästhetik bis heute in vielen Bildern und Filmen wiederfinde.

Warum Riefenstahl? Veiel sagte, er habe sich viel mit deutscher Geschichte beschäftigt, Fragen von Verdrängen hätten ihn immer wieder beschäftigt, weil sie auch in seiner Familiengeschichte eine Rolle spielten. Sein Großvater sei General im Russlandfeldzug gewesen, sein Vater Offizier. Das führe zu Grundfragen: "Welche Geschichten werden weitergegeben? Welche Legenden?" Die Fragen setzten sich in die Gegenwart fort: "Welchen Bildern können wir noch vertrauen? Wofür steht Propaganda? Wo fängt sie an? Wie dechiffrieren wir das? Leni Riefenstahl ist für mich ein Prototyp." Aufgrund der Fülle des Materials könne man durch eine Nahaufnahme Dinge sehen, die bei einer Totalen verborgen blieben. Veiel sagte, er wolle kein Verständnis entwickeln im Sinne einer Entschuldigung. "Aber ich will die Figur verstehen." Der Film sei keine Verurteilung, kein Tribunal, keine Anklage. Riefenstahls Lügen seien bekannt.

Maischberger interessiert an der Propaganda-Filmemacherin von damals auch das Aktuelle: "Wenn man glaubt, dass man aus Geschichte lernt, dann macht die Beschäftigung mit Leni Riefenstahl gerade heute unglaublich viel Sinn." Der Blick auf die NS-Ideologie allein bringe keine Erkenntnis, aber die Frage sei, welche Mechanismen dazu führten, dass Menschen immer wieder auf gut gemachte Lügen hereinfielen, so sehr, dass sie von Wahrheit und Fakten nicht mehr zu überzeugen seien. "Das ist das Gegenwärtige von einer Figur, die vor 100 Jahren angefangen hat zu wirken."

Für den Regisseur war die Arbeit mit dem Riefenstahl-Nachlass eine drei Jahre lange Suche, die ihn zeitweise an seine Grenzen brachte. "Irgendwann konnte ich sie nicht mehr ertragen", erzählt Veiel. Er sei zeitweise ausgebrochen in die Fiktion, wollte sie als Avatar realisieren, um ihr viele Fragen zu stellen. Das Projekt sei "sehr sehr fordernd. Das Brett war sehr dick. Ein paar Bohrer sind abgebrochen." Fanden sich Spuren der Manipulation? Ja, die seien sichtbar geworden, sagte Veiel. Man könne dann nachspüren, welche Version sie erzählte und weshalb.

In Stuttgart waren Ausschnitte seines Filmes zu sehen, etwa vom Dreh von Ray Müller zu seinem dreistündigen Dokumentarfilm "Die Macht der Bilder". Die damals 90-jährige Riefenstahl erzählte, wie Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels sie bedrängt habe und unbedingt "haben wollte". In anderen Momenten reagierte sie dann wütend auf Fragen zu ihrer Nähe zu Goebbels, drohte mit Abbruch. Riefenstahl wollte stets die Kontrolle, auch als Befragte.

Ende Oktober soll Andres Veiels Film "Riefenstahl" ins Kino kommen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Edelbert Hackenberg
    am 01.07.2024
    Antworten
    So, so - die Leni war also eine Stümperin was ihre Arbeits als Regisseurin betrifft und dann hat sie auch noch ihre Leute ausgebeutet. So reden idR nur Leute die im Filmgeschäft noch nichts "auf die Reihe gebracht haben" bzw. irgend wann keinen Erfolg mehr hatten!
    Es ist unter Fachleuten…
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