Kurioserweise kann die Stuttgarter Polizei das auf Kontext-Anfrage nicht ausschließen und verweist auf laufende Ermittlungen. Gab es neben diesen zwei Dachlatten noch andere Waffen? Insgesamt seien über 100 Gegenstände beschlagnahmt worden, teilte ein Sprecher mit. Da diese aber erst noch klassifiziert werden müssten, sei gegenwärtig keine Aussage möglich, ob etwas Verbotenes darunter war, hieß es am 6. Mai auf Anfrage von Kontext.
Diese Aussagen sind auch viele Wochen später noch nicht möglich. Zwar scheinen die beschlagnahmten Gegenstände mittlerweile klassifiziert worden zu sein. Zu verraten, um was es sich handelt, könnte ihre Ermittlungen gefährden, heißt es jetzt von der Polizei.
Vielleicht ist ja die Staatsanwaltschaft auskunftsfreudiger. Doch auch sie teilt zunächst mit, dass weitere Ermittlungshandlungen ausstünden, "insbesondere Vernehmungen, die durch die Erteilung von Auskünften zu etwaigen sichergestellten Gegenständen beeinträchtigt werden könnten". Dies verwundert insofern, als dass sich die Polizei ja selbst dazu entschieden hat, gleich am 1. Mai eine Auswahl an "sichergestellten Gegenständen" zu veröffentlichen. Warum hat dies Vernehmungen nicht beeinträchtigt und warum wurde dadurch der Ermittlungserfolg nicht gefährdet? Und ist das nicht ein bisschen einseitig: Erst vermeintliche Belege für eine Gefährdung durch Demonstrant:innen präsentieren und dann, wenn Zweifel an der Authentizität aufkommen, einfach überhaupt keine Angaben mehr machen? Der Staatsanwalt kann diese Fragen aus dem Stegreif nicht am Telefon beantworten und stellt eine schriftliche Auskunft in Aussicht. Einen Tag später folgt die Mail: "Vielen Dank für Ihre Nachfrage. Wenden Sie sich insoweit bitte zuständigkeitshalber an die Pressestelle des Polizeipräsidiums Stuttgart."
Ein Glück: Verfassungsschutz hat Erkenntnisse
Damit scheint die Recherche einen toten Punkt erreicht zu haben. Doch eine Hoffnung gibt es noch: So hat der baden-württembergische Verfassungsschutz eine Einschätzung zum 1. Mai in Stuttgart veröffentlicht – und der Geheimdienst übernimmt dabei interessanterweise nicht die Darstellung der Polizei, wonach es Lautsprecherdurchsagen vor dem Schlagstockeinsatz und einen Demonstrantenangriff mit Pfefferspray gegeben habe. Auch ist hier keine Rede von mit Schrauben präparierten Dachlatten, sondern lediglich von "Schlagwerkzeugen", was zum Beispiel auch eine Fahne sein könnte. Dennoch kommt die Behörde schlussendlich zum Fazit, die "offenkundig vorbereitete Auseinandersetzung mit der Polizei" zeige "einmal mehr die mangelnde Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols durch Linksextremisten".
Wie aber gelangt der Verfassungsschutz zur Einschätzung, dass diese Auseinandersetzung von den Linksextremisten "offenkundig vorbereitet" gewesen sei? Gibt es dafür Indizien oder Beweise? "Die transportierte Einschätzung basiert auf den hier vorliegenden relevanten Erkenntnissen", erklärt ein Sprecher auf Anfrage. So kommt zumindest niemand auf die Idee, das Amt arbeite auf Grundlage nicht vorhandener irrelevanter Erkenntnisse. Welche relevanten Erkenntnisse nun genau vorliegen, muss jedoch geheim bleiben. Ob dem Verfassungsschutz bekannt ist, welche Gegenstände und insbesondere Waffen im Zuge der Ausschreitungen beschlagnahmt worden sind? "Zum Demonstrationsgeschehen sind laufende polizeiliche Ermittlungen anhängig. Aus Gründen der Zuständigkeit verweise ich Sie diesbezüglich an die Staatsanwaltschaft Stuttgart", schließt der Sprecher den Kreis.
Vielleicht werden die Vorgänge aber irgendwann doch noch aufgeklärt. Im Stuttgarter Gemeinderat hat die FrAktion am 16. Mai 2024 einen Antrag gestellt, den Polizeieinsatz zu überprüfen und dabei auch zu klären, wie und warum eine fehlerhafte Pressemitteilung verbreitet wurde. Doch bis wann die Stadtverwaltung in der Lage sein wird, das zu beantworten, ist eine heikle Frage. Denn schon ein Jahr zuvor, am 5. Mai 2023, stellte die FrAktion einen ganz ähnlichen Antrag: Damals hatte die Polizei eine Demonstration am 1. Mai gestoppt, weil verbotenerweise ein Rauchtopf brannte, und ebenfalls Pfefferspray und Schlagstock eingesetzt. Vor Ort erklärte ein Polizeisprecher damals gegenüber Kontext, es habe nach dem Anhalten des Demozuges ein Gerangel gegeben, bevor die Staatsmacht zur Gewaltanwendung überging. Später behauptete die Polizei erneut, dass es einen gezielten Angriff gegeben habe – ohne Belege zu präsentieren.
Für die Stuttgarter Stadtverwaltung waren die seitdem vergangenen 13 Monate zu wenig Zeit, um die Fragen zum damaligen Einsatz zu beantworten. Und eine Auskunft der Polizei würde wohl die Ermittlungstaktik gefährden, denn die Ermittlungen dauern noch an. Ein Gerichtsurteil gegen einen gewalttätigen Demonstranten, zum Beispiel wegen Körperverletzung, hat es bislang noch nicht gegeben. Und so bleibt wohl nicht viel mehr, als geduldig zu sein.
2 Kommentare verfügbar
Andrea K.
am 26.06.2024Mir ist eine Freundschaft an meinen Berichten zu S21 und den dortigen Begegnungen mit Polizei und Gerichten zerbrochen - die Freundin war am Ende ernsthaft überzeugt, wir litten an Verfolgungswahn.