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Hotz über Trump

Im Westen nichts Neues

Hotz über Trump: Im Westen nichts Neues
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In den USA wird mal wieder auf Politiker geschossen – und in Deutschland darüber diskutiert, ob lebende Faschisten besser sind als tote.

Man kann die Uhr danach stellen: Jedes Mal, wenn in den USA mal wieder irgendeine Scheiße passiert, schwappt sie über den großen Teich, um von rationalen, wertegeleiteten Deutschen analysiert zu werden, die zu wissen glauben, wie Demokratie am besten zu bestellen ist. Vor allem jetzt, seit nicht nur die CDU/CSU, sondern alle Regierungsparteien sich von der AfD vor sich hertreiben lassen, um besorgte Bürger:innen wieder für ein friedliches und solidarisches Miteinander zu gewinnen. Ein Miteinander, bei dem es schon seit Jahren völlig normal ist, dass ebendiese Besorgten bei friedlichen Demonstrationen "Absaufen! Absaufen! Absaufen!" skandieren, wenn sich rechte Hetzer wie Pegida-Gründer Siegfried Däbritz über Schiffe von Hilfsorganisation lustig machen, die mit Flüchtlingen an Bord in keinen europäischen Hafen einlaufen dürfen. Ein Miteinander, bei dem jetzt auch der Bundeskanzler vorne mit dabei ist, wenn's ums schnellere, härtere, bessere Abschieben geht. Ein Miteinander, bei dem Deutschland kurz davor steht, ukrainische Männer, die vor Krieg aus ihrem Land geflüchtet sind, in die Ukraine abzuschieben, um die deutsche Solidarität mit der Ukraine unter Beweis zu stellen. Ein Miteinander, bei dem die Schwächsten der Gesellschaft in guter alter, sozialdemokratischer Manier mit neuen Bürgergeld-Regelungen wieder richtig gegängelt werden dürfen.

Aber weil Deutschland nicht genug eigene Probleme hat, verkauft es nicht nur seinen eigenen Landsleuten das Anbiedern an Faschist:innen als große freiheitlich-demokratische Errungenschaft, sondern sieht sich als Entnazifizierungsweltmeister auch zertifiziert, andere Länder an seinen Erfahrungswerten teilhaben zu lassen. Erst vergangene Woche war es wieder so weit: Donald Trump wird bei einer Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania von einem Attentäter angeschossen und am Ohr verletzt; Trump als alter Showhase und erfolgreicher Verkäufer nutzt die Situation instinktiv, um sich auf einem ikonischen – zugegeben unfassbar starken – Foto des Anschlags als biblischen Erlöser der Vereinigten Staat von Amerika mit gereckter Faust zu inszenieren; die USA und das Internet gehen daraufhin selbstverständlich batshit. So weit, so normal für ein Land, für das Schusswaffengewalt Teil der nationalen Identität und Hassrede Meinungsfreiheit ist. Täglich werden im "land of the free" mehr als 300 Menschen angeschossen, 100 davon sterben. Alltag in den USA. Vier erschossene Präsidenten, zahlreiche an- oder fast erschossene Politiker:innen und Mordversuche ziehen eine traditionelle Blutspur durchs Land. Trotzdem gibt es keinen US-Präsidenten, der es jemals gewagt hätte, sich ernsthaft mit der Waffenlobby anzulegen.

Social-Media-Manie am Limit

Während der republikanisch-evangelikale Teil Amerikas im vereitelten Mord an ihrem spirituellen und politischen Führer also ein Zeichen Gottes erkannt haben wollte und das Internet mit Motiven flutete, auf denen Jesus seine schützende Hand von hinten auf Trumps Schulter legt, machten sich Trump-Gegner natürlich lustig. Und, oh boy, wie könnten sie auch nicht! Kreierte Trump im Angesicht des Todes doch geistesgegenwärtig nicht weniger als eine schwülstig-patriotische Superheldeninszenierung in seinem ganz persönlichen Fort Alamo: Er, Donald Trump, der tapferste Patriot und last man standing, den nicht einmal der Tod aufhalten kann, für sein Land und die Freiheit bis aufs Blut gegen die Mexikaner zu kämpfen. Wahnsinn.

Es gab nur genau dreieinhalb Emotionen, die die Bilder von Trump evoziert haben: Belustigung, Bewunderung, Wut und die Mischung aus allen drei zusammen. Entweder mussten die Leute lachen, staunen, weinen oder haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, weil sie nicht wussten, wohin mit ihren Gefühlen ob dieses surrealen Spektakels. Denn eines war selbst dem größten Trump-Hater klar: Diese Wahlwerbung wird nichts und niemand toppen können. Nicht einmal Wrestling-Legende Hulk Hogan, der sich kurz nach dem Attentat auf dem Parteitag der Republikaner für seinen "hero", diesen "gladiator" in alter "Wrestlemania"-Manier das Shirt zerriss und zur totalen "Trumpmania" einpeitschte, als stünde die mexikanische Armee direkt vor Mar-a-Lago.

Social-Media-Mania war am Limit. Große und kleine Accounts überschlugen sich mit spontanen Reaktionen und Memes auf das filmgleiche Event, um die meisten Likes abzugreifen. Von Memes über Melania Trump, die etwa mit zusammengekniffenen Augen "Fuck" sagt, als sie sieht, dass ihr Ehemann nur am Ohr getroffen wurde, über Bildmontagen mit diversen Prominenten, die auf Trump geschossen haben, bis hin zu einem bekannten körperlich schwer behinderten Komiker, der den Anschlag mit einer Spielzeugwaffe und sich selbst als "crippled" Attentäter reinszenierte, machte das Internet an diesem Tag, was das Internet eben so macht: mehr oder weniger lustigen Bullshit produzieren.

Was ist da los, Mr. Scholz?

Auch in Deutschland überschlugen sich die Posts im Sekundentakt, in denen User sich auf unterschiedliche Weise mit dem historischen Ereignis auseinandersetzten und um den besten Trump-Tweet wetteiferten. Gewonnen hat das Rennen ganz klar der Satiriker und Böhmermann-Gagschreiber Sebastian "El Hotzo" Hotz – obwohl die beiden Tweets, mit denen er deutsche Internetgeschichte schrieb, verhältnismäßig lahm waren. Dass sie zur halben Staatsaffäre mutierten, die dem Internet-Clown die größte Aufmerksamkeit in seiner bisherigen Karriere verschaffte, ist vielmehr der Bubble geschuldet, die ihn eigentlich am Boden sehen wollte. In den besagten beiden Posts hatte sich "El Hotzo" darüber lustig gemacht, dass Donald Trump und der letzte Bus eine Sache gemeinsam hätten: "leider knapp verpasst"; nach einem empörten Kommentar auf seinen Post setze er nach und schrieb, dass er es "absolut fantastisch" finde, "wenn Faschisten sterben". Yo. Keine bemerkenswerten Banger, wie gesagt. Aber keine paar Stunden später hatte sich die komplette liberale bis rechte Internetblase auf ihn eingeschossen, weil sie mal wieder ganz genau wussten, wie Demokratie gegen ihre Feinde verteidigt werden muss.

Obwohl "El Hotzo" die Beiträge – wie viele Beiträge, die er für nicht lustig genug hält – wieder löschte, hüpften die Retter der Demokratie wie auf Sprungfedern aus allen Ecken. Ganz vorne mit dabei: Wolfgang Kubicki (FDP). Er postete einen Screenshot von Hotz' bereits gelöschtem Tweet und schrieb, dass er davon ausgehe, dass sich "die Staatsanwaltschaft (…) mit diesem Tweet beschäftigen wird", da die "öffentliche Billigung von schweren Straftaten (…) selbst strafbar" sei. Wenige Stunden später war Hotz tatsächlich seinen Job als Radiomoderator beim öffentlich-rechtlichen ARD-Sender Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) los und die ARD sagte eine geplante Literaturveranstaltung mit ihm ab. Während die größten rassistischen, homophoben, frauenfeindlichen oder antisemitischen Gags und Tweets in Deutschland Alltag und für Liberale, Konservative und Rechte vollends mit der freien Meinungsäußerung vereinbar sind, kamen sie bei einem schlechten Witz über tote Faschisten an ihre moralischen Grenzen. Der Skandal im Skandal ging bei X durch die Decke – was nicht zuletzt daran lag, dass sich irgendwann sogar X-Betreiber, Multimilliardär und Trump-Supporter Elon Musk höchstpersönlich eingeschaltet hatte, um Bundeskanzler Scholz aufzufordern, sich um den Fall "El Hotzo" zu kümmern, und internationale Medien über den „german comedian“ berichteten, der seinen Job wegen eines „trump shooting joke“ verlor. Hotz zog die unfassbare Shitshow derweil in Liveticker-artigen Posts immer weiter ins Lächerliche und verschaffte seinen Follower:innen den bislang besten Tag des Jahres auf dieser gottlosen Plattform.

Ein Glück: keine zweite Dolchstoßlegende

Doch als wäre der vorauseilende Gehorsam des RBB nicht schon peinlich genug gewesen für eine öffentlich-rechtliche Medienanstalt, in der Danger Dans Lied "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" im Jahr 2021 zum "besten Song des Jahres" gekürte wurde – ein Song, der kein Geheimnis daraus macht, wie mit Faschisten umzugehen ist ("Und wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst, ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz"), rief der Fall Hotz auch besonders wertegeleitete Journalistinnen und Journalisten großer Medienhäuser auf den Plan, um Wolfgang Kubicki und seinen Faschismusexperten zur Seite zu springen: Staatspunk Sascha Lobo stieg mal wieder für unsere westlichen Werte in den Schützengraben und erklärte im "Spiegel", "warum Attentatsfreude antidemokratisch ist". In einer anderen staatstragenden und unfassbar peinlichen Kolumne mit dem Titel "Einfach mal Sorry sagen, El Hotzo" forderte die "Spiegel"-Kolumnistin Martina Kix "El Hotzo" auf, sich aufrichtig für seine gelöschten (!!!) Tweets zu entschuldigen, in denen er "Faschisten den Tod gewünscht" hatte. Jesus Christus.

Da der ganze Zirkus um Trump und "El Hotzo" zu allem Überfluss sich auch noch bis in den Jahrestag des missglückten Stauffenberg-Attentats auf Adolf Hitler hineinzog, konnte die "Welt" in Sachen deutsche Faschismusexpertise den Vogel mit der Gatling-Gun abschießen: "Gut, dass das Attentat auf Hitler misslang", erklärte Jacques Schuster von der Chefredaktion der "Welt am Sonntag", denn – und jetzt müssen Sie wirklich stark sein, liebe Leserinnen und Leser: Wäre das Attentat auf Hitler geglückt, "hätte die nächste Dolchstoßlegende die Entwicklung der Bundesrepublik aufs Schwerste gestört und würde bis heute ganz anderen Mythen Kraft verleihen". HAHAHA WAS? WAS BITTE hätte die Entwicklung der Bundesrepublik denn noch schwerer "gestört" als eine faschistische Diktatur von Tausenden Massenmördern, die Millionen von Menschen industriell quälen, vergasen, ermorden und verbrennen ließen, um Deutschland in einem Tausendjährigen Reich voller blonder Übernazis great again zu machen?

Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, wohin es führt, wenn Konservative und Liberalos glauben, Faschisten mit wohlfeilem Demokratiegeschwafel "gegen jegliche Gewalt" moralisch "entzaubern" zu können.

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