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FDP

Im Reservebetrieb

FDP: Im Reservebetrieb
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Nach dem Machtwort des Kanzlers zur Kernkraft präsentiert sich die FDP als Siegerin. Dabei hat sie ihre zentrale Forderung nicht durchgesetzt. Die jüngsten Wahlniederlagen zeigen: Lindners Liberale sitzen strategisch in der Klemme.

So also sieht es aus, wenn der große Bundesvorsitzende die Positionslichter anschaltet, "damit man sieht, aha, das ist genau die Partei, die ich eigentlich will". Konkret blockiert genau diese Partei eine Änderung des Atomausstiegsgesetzes, der sie noch Ende September mit den beiden Ampelpartnern zugestimmt hatte. Dieser Einigung ungeachtet schaffte es Christian Lindner, das Thema wochenlang hochzujazzen – unter anderem mit dem Lamento, er sei finanzpolitisch "schon milliardenfach über meinen Schatten gesprungen", weswegen jetzt die Grünen an der Reihe seien mit der Kompromissbereitschaft.

Wenige Stunden bevor Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schriftlich ankündigte, die rechtliche Grundlage zu schaffen, um den Betrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke in den Bundesrepublik "bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen", hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai noch eine Verlängerung aller drei Meiler bis "mindestens, mindestens 2024" verlangt. Dennoch und sogleich unterstützt von Grünen-Kritiker:innen in den Hauptstadtmedien, feiern die Liberalen ihren angeblichen Erfolg. 

Hilfreicher bei der Wahrnehmung des Tatsächlichen und der Lage, in der sich die FDP befindet, ist die Kurzanalyse des Wahlterminkalenders 2023. Beispiel Bremen: Hier schaffte sie 2019 gerade mal 0,9 Punkte über der Fünf-Prozent-Hürde, in Bayern sogar nur ein einziges Zehntel, in Hessen waren es immerhin 2,5. Und die jüngsten Umfragen für Berlin, sollte dort der Urnengang für das Abgeordnetenhaus tatsächlich wegen der Unregelmäßigkeiten am Wahltag im Dezember zur Gänze wiederholt werden müssen, weisen auch nur sechs Prozent aus.

In vielen Bundesländern winkt das unerfreuliche Dasein in der außerparlamentarischen Opposition, wie gegenwärtig ohnehin bereits in Sachsen und im Saarland, in Brandenburg, Hamburg oder jetzt in Niedersachsen. Und mitregiert wird überhaupt nur noch im Bund, in Rheinland-Pfalz sowie in Sachsen-Anhalt, was den Zugriff auf mickrige acht von 69 Stimmen im Bundesrat bedeutet.

Selbst im Stammland kriselt es

Im Stammland Baden-Württemberg sitzt die Partei seit 1952 ununterbrochen im Parlament. Gerade weil die Verankerung vor Ort und damit die Kampagnenfähigkeit deutlich größer ist als anderswo. Bemerkenswert ist auch die Kontinuität über Generationen hinweg: Mit Friedrich Haag sitzt für den Wahlkreis Stuttgart II der Enkel des gleichnamigen und legendären Degerlocher Gärtnermeisters im Landtag, der seiner FDP einst bundesweite Rekordergebnisse bescherte, bis an die 20 Prozent. Tempi passati, und vermutlich auf Dauer. Denn selbst hierzulande ist das Mitregieren gegenwärtig nur in Dreier-Konstellationen denkbar, und das immer nur an der Seite der ungeliebten Grünen.

Hans-Ulrich Rülke, Chef der Stuttgarter Landtagsfraktion, ist engstens eingebunden in strategische Überlegungen als gewählter Vorsitzender der liberalen Fraktionsvorsitzenden-Konferenz und Mitglied im Präsidium der Bundespartei. Dortselbst gibt es, wie er erzählt, niemanden, der für ein Ende der Ampel plädiert, "aber jeder berichtet natürlich, welche Anrufe er von seiner Basis und den Wählern kriegt". Da heiße es, diese Ampelkoalition sei nichts für die FDP, "da müssen wir raus". Sollten sich die Wahlpleiten im nächsten Jahr fortsetzen, könne irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem die Parteibasis sagt: "Wir tragen diese Regierungsbeteiligung nicht mehr mit." Dann werde es ernst, denn man könne im luftleeren Raum nicht agieren, ohne Akzeptanz von Wählerschaft und Basis.

Für seinen Bundesvorsitzenden steht unverrückbar fest, was allein jetzt weiterhilft. Wie ein störrischer Jugendlicher beharrt Lindner auf der bisherigen Ausrichtung seiner Partei, die alles richtig mache, die richtig verortet sei, deren "Grundüberzeugung innerhalb der Bundesregierung und in der Krisenpolitik aber besser erkennbar gemacht werden muss." Immerhin 23 Prozent der Jungwähler:innen hatten bei der Bundestagswahl vor einem Jahr FDP gewählt. Lindner kämpfte erfolgreich ums Finanzministerium und wollte als Hüter der Schuldenbremse dieser Legislaturperiode seinen Stempel aufdrücken. Der 24. Februar 2022, an dem Russland den Angriffskriegs gegen die Ukraine startete, änderte vieles – Lindners Selbstwahrnehmung allerdings nicht: "Wir sind mit uns im Reinen."

Selbstwahrnehmung als Vernunftpartei

Der Kurs ist für die Liberalen brandgefährlich. Einerseits beschert er einer Bundesregierung, die schon jetzt beträchtliche demoskopische Not leidet, interne Dauerkonflikte. Andererseits wird immer diffuser, ob das ungleiche Parteientrio zu gesichtswahrenden Lösungen überhaupt noch fähig ist. Dass die Koalition für die verbleibenden drei Jahre so etwas wie ein souveränes gemeinsames Regieren in schwierigen Zeiten zustande bringen könnte, mag kaum noch jemand glauben in Berlin. Und Lindner – machtbewusst, ehrgeizig, kommunikativ eine Spitzenkraft – befeuert unfreiwillig solche Skepsis. Allein schon seine Zuschreibung der Kompetenzen erschwert alle Kompromisse, wenn er versucht, die SPD auf sozialen Ausgleich und die Grünen auf ökologische Verantwortung zu reduzieren, während die FDP in seiner Welt angeblich für Vernunft und Bürgersinn auf allen Politikfeldern steht.

Die Liberalen haben viel Erfahrung im Überlebenskampf und können auf zahlreiche einschlägige Erfolge zurückblicken, darunter diverse Comeback-Erlebnisse nach Durststrecken. Bisher hat sie 44 Jahre seit Gründung der Bundesrepublik im Bund mitregiert. Uralt ist das Bild vom Dackel, dem jeweils größeren Regierungspartner, der durch den Schwanz bewegt wird. Das funktionierte für die FDP in den vielen Jahren der Zweier-Bündnisse, angeführt von Union oder SPD. Das funktioniert aber kaum in Dreier-Konstellationen, wie auch das Wahlergebnis aus Schleswig-Holstein signalisiert: Nachdem die Partei hier 2017 das zweitbeste Ergebnis ihrer Landesgeschichte einfahren konnte, wurde die Regierungsarbeit mit Schwarzen und Grünen fünf Jahre später mit herben Stimmenverlusten quittiert. Selbst ein rauflustiger Promi wie Wolfgang Kubicki konnte nicht verhindern, dass sich seine Partei dort überflüssig machte: Aus 11,5 Prozent 2017 wurden nur noch 6,5 Prozent im vergangenen Mai, und Schwarz-Grün kann in Kiel alleine regieren.

Wie heikel Dreier-Konstellationen insgesamt sind, belegt nicht nur das Machtwort vom Kanzler zur Kernkraft. Geradezu zwangsläufig muss es in vielen Fragen zwei zu eins stehen. Lindner selber wollte absahnen als Verhinderer linker, rot-grüner Experimente, was aber – siehe die Wahlschlappe in Niedersachsen – nicht so recht gelingen will.

Was erst recht Spekulationen befeuert, dass die Laufzeit-Debatte – Kanzler-Entscheidung hin oder her – vielleicht doch noch nicht beendet ist. "Weil man sie gar nicht beenden kann", sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der Scholz grundsätzlich stützt. Er werde "die Leute aber nicht daran hindern können, Argumente für die Beschaffung von Brennstäben weiter vorzutragen." Zugleich halte er "die Frage für erledigt". Ganz anders sieht das Hans-Ulrich Rülke, der keine Querele scheut und schon einmal die Positionslichter für den Frühling ausrichtet: Ob eine Laufzeitverlängerung bis April 2023 ausreiche, sei im nächsten Jahr "angesichts der Lage dann neu zu bewerten". Vielleicht schon beim traditionellen Treffen zu Dreikönig, bei dem die Liberalen erfahrungsgemäß keine Gelegenheit auslassen, um maximal auf sich aufmerksam zu machen.


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9 Kommentare verfügbar

  • Frübis Johannes
    am 21.10.2022
    Antworten
    Die Grünen in der Ampelregierung haben die Energiepolitik und das Ergebnis davon als Last von der Vorgängerregierung geerbt und nun auszubaden. iDer "Fristverlängerung" der AKW haben die Grünen nun zugestimmt.
    Denke, das wird Ihnen eher nützen als schaden. Trotz angeblicher Ideologieverbortheit.
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