Natürlich könnte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann gut darauf verzichten, das Klischee vom knickrigen Schwaben zu erfüllen. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von 536 Milliarden Euro stärker als zahlreiche Nationalstaaten in Europa. Die grün-schwarze Landesregierung hätte die Möglichkeit – wie schon während der Pandemie – auch selber mit Entlastungspaketen aktiv zu werden. Insgesamt liegen fast 2,8 Milliarden Euro auf der hohen Kante, um Haushaltsrisiken abzufedern, wenn die Steuereinnahmen sinken und die Inflation weiter steigt, wenn Flüchtlings- oder Corona-Kosten weiter zunehmen. Die nächste Steuerschätzung wird ein Übriges tun, zu erwarten sind angesichts der Inflation erhebliche Mehreinnahmen. Aber Tilgung scheint im Land höchste Politiker:innen-Pflicht, der Kampf gegen die Erderwärmung ebenso nachrangig wie in die Mittelschicht hineinwachsende Ängsten vor übermäßigen Lebenshaltungskosten.
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat dagegen mit seinem Fünf-Punkte-Plan die Blaupause für künftige Handlungsoptionen geliefert. 250 Millionen Euro sollen in Kitas und Schulen fließen, um Heizkostensteigerungen auszugleichen oder Mensen zu unterstützen. 220 Millionen sind für soziale Maßnahmen vorgesehen, etwa um den hochfrequentierten Tafelläden unter die Arme zu greifen oder regionalen Härtefonds. Mit weiteren 200 Millionen Euro will der Sozialdemokrat in Hannover existenzgefährdeten kleinen und mittleren Unternehmen helfen, mit 200 Millionen Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern, mit 100 Millionen Euro Sport- und Kulturvereinen. "Nach meiner Überzeugung steuert Deutschland auf die größte Herausforderung der vergangenen Jahrzehnte zu", sagt Wahlkämpfer Weil. Deshalb sei es so wichtig, auf Landesebene einzugreifen. Kreditaufnahmen will er übrigens vermeiden und sein Programm durch höhere Steuereinnahmen finanzieren.
Notfall-Fonds gegen Zwangsräumungen gefordert
Auch Bayern, Hessen, Brandenburg und Schleswig-Holstein wollen Landesgeld in die Hand nehmen für in Not geratende Bürger:innen, kleinere Betriebe, Vereine und Verbände. Berlin geht ebenfalls voran mit einem 29-Euro-Überbrückungs-Ticket für den ÖPNV bis eine neue Bund-Länder-Regelung ausgehandelt ist. "Wir wollen die Energiewende, und wir nehmen Geld dafür in die Hand", sagt Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Ihre Genoss:innen in Baden-Württemberg verlangen einen Notfallfond "endlich auch fürs Land", um Zwangsräumungen zu vermeiden, Lebensmittelpreise für Schulen und Kitas auszugleichen, Privathaushalte beim Ankauf von steckerfertigen Photovoltaik-Anlagen zu stimulieren oder mit 100 Euro pro Familie und Energieberatung.
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Lorenzo Bianco
am 06.10.2022