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"Nicht fatzen lassen"

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Sant'Anna di Stazzema hat mehrheitlich rechts gewählt. Ausgerechnet. Ausgerechnet dieses Dorf in den Bergen der Toskana mit dieser Historie hat dem rechten Bündnis der Postfaschistin Georgia Meloni mit zum Sieg verholfen. 1944, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden dort mehr als 500 Menschen von SS-Männern ermordet – zusammengetrieben, erschossen, in einer Kirche verbrannt. "Von Anna Pardini blieben nur ein paar Knochen und ein Häufchen Asche", schrieb Sandro Mattioli 2012 in Kontext. Die kleine Anna war das jüngste Opfer, keine drei Monate alt.

Wir haben seitdem regelmäßig und ausführlich über die Entwicklungen in und um Sant'Anna berichtet. Über die verschleppte juristische Aufarbeitung dieser Morde, der Einstellung der Verfahren durch Stuttgarts damaligen Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler, über den Tag, als bekannt wurde, dass auch der letzte Täter "dauerhaft verhandlungsunfähig" war. Über den Überlebenden des Massakers, Enrico Pieri, der Zeit seines Lebens dafür gekämpft hatte, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Über das deutsch-italienische Jugendcamp in Sant'Anna, organisiert von den Stuttgarter Anstiftern um Peter Grohmann. Demnächst werden Jugendliche aus Italien den Gedenkort Hotel Silber in Stuttgart besuchen.

Und jetzt? Jetzt hat Sant'Anna gewählt: viele nicht, aber die Mehrheit der wenigen noch dort Lebenden ausgerechnet die Postfaschisten der Fratelli d'Italia um die künftige Regierungschefin. Anruf bei Peter Grohmann, was denn nun passiert mit dem Austausch, der Unterstützung für und der Freundschaft mit dem kleinen Ort in den Bergen? Nichts, sagt der. Läuft alles weiter wie gehabt. "Man kann das Engagement doch nicht einfach fatzen lassen", sagt er. Erst recht nicht jetzt. Wohl wahr. Wir bleiben dran.

Getrost mal fatzen lassen könnten die Abtreibungsgegner:innen ihre "Gehsteigbelästigungen". Derzeit knien sie an neuralgischen Punkten in Stuttgart, um gegen Schwangerschaftsabbrüche anzubeten, inspiriert von US-amerikanischen selbsternannten Lebensschützern. Vorschlag zur Lösung: Jetzt, wo jeder einfach mal eben per Verlautbarung Teile anderer Länder annektieren kann, wie Russland die vier Gebiete in der Ukraine, denken wir bei Kontext darüber nach, einfach auch mal loszuannektieren, um das Kontext-Land zu vergrößern. Weiträumig Abtreibungskliniken beispielsweise. Rein kommt nur, wer ein Visum hat, die penetrant nötigenden Abtreibungsgegner:innen bekämen jedenfalls keins. Gegen die soll im wahren Leben jetzt immerhin eine Bannmeile Abhilfe schaffen.

Die Schweiz wäre auch ein hübsches zu annektierendes Land. Allerdings ohne AKW und Atommüll. "Wenn der ägyptische Pharao Cheops vor 4.550 Jahren ... vier Jahre lang ein AKW betrieben hätte, dann wären ... circa 1.000 Kilogramm Plutonium zusammengekommen. Bei einer Halbwertszeit von 24.110 Jahren (Plutonium 239) wären heute noch circa 877 Kilo vorhanden", rechnet unser Autor vor. Uff.

Und während wir hier uns grämen, dass die Schweizer ihr Endlager ausgerechnet an der Grenze zu Baden-Württemberg bauen wollen, demonstrieren Frauen und Männer weltweit gegen das Mullah-Regime im Iran. Auch in Stuttgart wurde am Wochenende demonstriert. Dort flossen nicht nur Tränen. In den Liedern und Reden schwang auch Hoffnung mit auf einen anderen Iran, der Menschenrechte achtet und seine Bürger:innen nicht länger unterdrückt.


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2 Kommentare verfügbar

  • Martin
    am 04.11.2022
    Antworten
    Die Gehsteig Belästigung wurde von den Klima Chaoten längst als zu harmlos hinter sich gelassen: Dort ist man längst zur Fahrbahn Belästigung übergegangen. Gibt mehr Geiseln!

    Übrigens illegalerweise. Das ist aber egal, wenn es die „Lifestyle Linke“ (O-Ton Wagenknecht) für legitim hält.

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