Wenigstens die Auflagen sind einigermaßen streng. Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hat bekannt gemacht, dass die sogenannten Mahnwachen höchstens zwei Stunden dauern dürfen - ohne Plakate, Bilder oder Megaphone. Außerdem müssen sich die Aktivist:innen auf der jenem Eingang gegenüberliegenden Straßenseite aufhalten, den betroffene Frauen betreten. Mehr Abstand oder sogar ein Grundsatzverbot ist nicht drin nach einschlägigen Richtersprüchen. Deshalb ist nach Luchas Ansicht die Bundesregierung gefragt, um rechtliche Klarheit zu schaffen.
Unstrittig war die Welt schon weiter, wie gerade aus der Geschichte der selbsternannten Lebensrechtsbewegung hervorgeht. Seit vielen Jahrzehnten kämpfen immer neue Generationen gegen Abtreibungen, zunächst gegen, dann durchaus mit der Unterstützung von gesellschaftlichen Mehrheiten. Ausgerechnet eine höchstrichterliche Liberalisierung in den USA sorgte Anfang der Siebziger für neuen Zulauf, weil dort auf einen Schlag in 31 Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche erlaubt wurden. Der Kampf um Frauenrechte entbrannte in immer neuen Wellen. Unvergessen der Stern-Cover vom Sommer 1971, auf dem 28 prominente Frauen bekannten, selbst abgetrieben zu haben. Wildfremde hätten sie auf der Straßen umarmt und sich bedankt, wird sich die Schauspielerin Senta Berger später erinnern.
Politische Mehrheiten für eine Fristenlösung, wie etwa in Österreich, kamen dennoch nie zustande. Und längst ist Erreichtes auch in Europa massiv unter Druck. Es gibt Schnittmengen zwischen militanten Abtreibungsgegner:innen von "40 Days for Life" und der AfD, die Märsche "für das Leben" ausdrücklich begrüßt. Mit kruden Behauptungen ("Der Mutterleib ist der gefährlichste Ort der Welt") agitieren fundamentalistische Gläubige von Berlin bis München, von Paris bis Wien gegen die Selbstbestimmung ungewollt Schwangerer und bejubeln jüngste Urteile wie das des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Az.: 2 B 375/22). In die Persönlichkeitsrecht betroffener Frauen werde nur eingegriffen, heißt es darin zu Belästigungen in Frankfurt, "wenn eine Versammlung so nahe an dem Eingang einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle stattfände, dass die Versammlungsteilnehmer den Schwangeren direkt ins Gesicht sehen könnten und die dem Anblick der als vorwurfsvoll empfundenen Plakate mit Baby- und Fötusbildern sowie Parolen und dem Anhören der Gebete und Gesänge aus nächster Nähe ausgesetzt wären".
Eine Bannmeile vor Beratungszentren und Kliniken
Die Gebetswache "40 Tage für das Leben" vom Aschermittwoch bis zum Palmsonntag 2022, täglich von zwölf bis 16 Uhr in unmittelbarer Nähe zu der Pro-Familia-Beratungsstelle im Frankfurter Westend, sollte in die Zeit außerhalb der Öffnungszeiten verdrängt werden. Mit diesem Plan scheiterte die Stadt. Zwar sei auch "das Interesse der ratsuchenden Frauen an einer Geheimhaltung der bestehenden Frühschwangerschaft und des in Erwägung gezogenen Schwangerschaftsabbruchs schutzwürdig", schreibt der Zweite Senat des VGH. Aber: "Die Bekundung von Unbehagen, Unverständnis oder Empörung gegenüber der Versammlung sowie einer rein subjektiv empfundenen Bedrohlichkeit durch die schwangeren Frauen, andere Ratsuchende und das Personal der Geschäftsstelle von Pro Familia dürfe aber nicht dazu führen, dass die unerwünschte und abgelehnte Meinung durch räumliche Verdrängung der Versammlung bekämpft und die Versammlungsteilnehmer in ihrem grundrechtlich gewährleisteten Recht auf freie Entscheidung über den Versammlungsort beschränkt würden". Die Rosenkranzgebete und liturgischen Gesänge seien "eingebettet in eine Geräuschkulisse", zu der eine meterhohe Wasserfontäne und Verkehrsgeräusche zählten. Daher seien sie vor dem Gebäude kaum zu hören.
4 Kommentare verfügbar
Maclausch
am 11.10.2022Würden Männer schwanger werden, dann gäbe es diese Diskussionen um Abtreibung nicht. Und diese scheinheiligen Demos schon gar nicht.