Über jedes Bild könnte sie lange reden, sagt Irene Lupi, aber dieses eine aus ihrer Graphic Novel sei ihr besonders wichtig: Es zeigt, wie Enrico Pieri eine Gruppe Menschen trifft. Jede und jeder einzelne wird von ihm persönlich begrüßt, auf eine offene, sehr herzliche Weise. "Das war etwas, was mich sehr beeindruckt hat", sagt die italienische Künstlerin. Pieri habe über eine seltene Gabe verfügt, die "Fähigkeit, anderen das Gefühl zu geben, bedeutend zu sein und Dinge verändern zu können." Und: "Er glaubte an die Macht der Erinnerung, um Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln." Ähnliches berichten viele, die Pieri kennengelernt hatten. Die Konstanzerin Petra Quintini, die bei Begegnungen zwischen Pieri und deutschen Besuchergruppen in Sant'Anna di Stazzema oft übersetzte, spricht von Momenten, die ihr Leben veränderten.
Lupi hat versucht, diese Fähigkeit Pieris, diese Momente einzufangen – in ihrer Graphic Novel lässt sie Pieri, der am 10. Dezember 2021 starb, einfach erzählen. Und auch wenn die Lektüre nicht mit einer persönlichen Begegnung vergleichbar sein kann, wird zumindest ansatzweise nachvollziehbar, wie und warum dieser Mensch so auf andere wirkte. Auch weil ihn seine Erfahrungen nicht bitter werden ließen, sondern ihm eine Verpflichtung waren, für ein besseres Leben, eine bessere Welt zu kämpfen. Es gibt Menschen, die alleine durch die Art, wie sie über das von ihnen Erlebte erzählen, es in Zusammenhänge setzen können, die Relevanz der Erinnerung deutlich machen. Enrico Pieri war einer von ihnen.
Er war zehn Jahre alt, als am 12. August 1944 Einheiten der Waffen-SS im toskanischen Bergdorf Sant'Anna di Stazzema ein Massaker anrichteten. Sie ermordeten etwa 560 Menschen – die genaue Zahl konnte nie ermittelt werden –, alles Zivilisten, Frauen, Kinder, alte Männer. Auch Enrico Pieris Familie wurde fast völlig ausgelöscht, seine Mutter, sein Vater, seine beiden Schwestern und sein Großvater starben im Kugelhagel der Deutschen. Lange sei er voller Groll gegenüber Deutschland gewesen, hatte das Land erst spät zum ersten Mal besucht. Anfang 2013 reiste er nach Stuttgart, um gegen die Einstellung des Verfahrens gegen Verantwortliche des Massakers durch Staatsanwalt Bernhard Häußler zu protestieren, im November 2013 bekam er den Stuttgarter Friedenspreis des Bürgerprojekts Die AnStifter. Und bei den Sant'Anna-Friedenscamps "Campo della Pace", die ab 2017 auch als Reaktion auf die mangelhafte juristische Aufarbeitung des Massakers entstanden waren und seitdem jährlich stattfinden, erzählte er Jugendlichen von den Ereignissen 1944 – und von deren Wirkung auf sein Leben.
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