Deutsch spricht Kandler schon lange nicht mehr. Zum Teil, weil er als Kind so schnell Englisch lernen wollte, zum Teil wohl auch, weil er wegen der Nazi-Zeit sehr gemischte Gefühle gegenüber Deutschland hat. Dennoch war er immer wieder in Deutschland. Einmal 2007, als vor der Hohenzollernstraße 12, dem letzten Wohnsitz seiner Großmutter Lolo, Stolpersteine für sie und ihren Mann verlegt wurden. Und nun kommt der 87-Jährige noch einmal in seine Geburtsstadt, zur Premiere der letzten vier Filme der Serie "Frage-Zeichen" am 12. Juli im Stuttgarter Metropol-Kino. Für einen der Filme haben im vergangenen Jahr zwei Stuttgarter Gymnasiasten Kandler in New York besucht.
30 Schüler und 23 Zeitzeugen
Seit 2012 haben rund 30 SchülerInnen aus Stuttgarter Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen insgesamt 23 Stuttgarter ZeitzeugInnen des Nationalsozialismus für das Projekt interviewt – Jüdinnen und Juden, ein Sinto, Kinder von Angehörigen des Widerstands, aber auch Menschen, deren Eltern oder sie selbst keiner von den Nazis verfolgten Gruppe angehörten. Die meisten lebten noch in Stuttgart, einige aber auch in Israel oder, wie Kandler, in den USA. Das Projekt, dessen Ergebnisse in drei Etappen in den letzten Jahren vorgestellt wurden, dokumentiert eindrucksvoll Erinnerungen einer Generation, aus der es nur noch wenige Überlebende gibt. Auch viele derer, die interviewt wurden, sind mittlerweile gestorben.
Entstanden ist "Frage-Zeichen" <link http: hotel-silber.de external-link-new-window>unter dem Dach der Hotel-Silber-Initiative, in der sich viele verschiedene Organisationen und Initiativen zusammenfanden und "alle möglichen Vernetzungen entstanden", wie Harald Stingele betont, der als Koordinator der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen aktiv ist. Am Anfang standen die zahlreichen Kontakte zu Angehörigen von NS-Opfern, zu Überlebenden oder deren Kindern, die im Zuge des Stolperstein-Projekts entstanden waren. Dieses Wissen über ehemalige Stuttgarter, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachzuhalten, das sei der Hauptimpuls gewesen, so Stingele. Nur wie? In Zusammenarbeit mit dem Stadtjugendring sei dann die Idee entstanden, dies als Projekt mit Jugendlichen zu machen. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche an diesen individuellen Geschichten ein sehr großes Interesse haben", sagt Stingele, "und umgekehrt sind auch die ZeitzeugInnen zum Teil offener, wenn sie von jüngeren Menschen befragt werden."
Gerade dies war sehr umstritten, als das Projekt im Herbst 2011 dem Stuttgarter Gemeinderat vorgestellt und von der Fraktion SÖS/Linke ein Antrag zu dessen Förderung eingereicht wurde. Zu unwissenschaftlich sei es, die Interviews von Jugendlichen machen zu lassen, eine Dokumentation solle eher Fachleuten, solle Historikern überlassen werden. "Es war gar nicht unser Ziel, wissenschaftlich zu sein", sagt Stingele. Das Ziel sei vielmehr gewesen, die anderen Perspektiven von Jugendlichen zu zeigen, sie fragen zu lassen, was sie selbst besonders interessiere, und dadurch Filme zu machen, die auch Jugendliche ansprechen.
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Jona Gold
am 07.07.2017