Und was passiert hier? Sonntagsreden, schimpft er. Als Ober-Lobbyist der Verleger kann er das beurteilen, hat viele gehört und selbst gehalten, immer wieder erzählt bekommen "wie wichtig wir sind", und es immer wieder geglaubt. Bis vor 15 Jahren, nach der Lehmann-Pleite, als der Absturz begann, da war es "fünf vor zwölf", sagt er, heute ist es "fünf nach zwölf", weil die Gegner Google & Co. sind. Die Zeiten haben sich verschoben und mit ihnen die Machtverhältnisse, in denen er zur Billardkugel in einem Spiel wird, das seine Regeln der old economy außer Kraft gesetzt hat. Er hat noch gelernt: "Ohne Einzelhandel keine Lokalzeitung". Die Oligarchen der "sozialen Medien" brauchen keine Metzgermeister als Anzeigenkunden.
Andererseits schwärmt Lehari von Rekord-Reichweiten, die sie in Corona-Zeiten gehabt hätten. Das zeige doch das überragende Vertrauen der User in ihre digitalen Angebote. Aber so viel Hass! Verloren wäre er im Gestrüpp von Fakten und Fakes – wenn es das Zauberwort nicht gäbe: Qualitätsjournalismus. Der ist einfach überall. Selbst wenn die letzte Journalistin, der letzte Journalist den Hungertod gestorben ist, es gibt ihn immer noch.
Davon sind alle im Plenarsaal überzeugt. Auch die Chefredakteure regionaler Presseerzeugnisse, welche dieses Genre ebenso preisen wie Lehari, die Klickzahl als Parameter fest im Blick. Das erscheint problematisch, weil im Netz viele Verlockungen trivialer Natur herumgeistern, bewusst gesetzt von den Rot- und Blaulicht-Spezialisten in den Redaktionen, die gehalten sind, hohe Reichweiten zu erzielen – und damit auch die Rutschbahn in die Printausgabe bauen. Andererseits, was sollen sie auch sagen, die geplagten Redaktionsmanager? Dass sie überall ausdünnen, zusammenlegen oder gleich rausschmeißen (müssen)? Sie versuchen es mit einer schmerzhaften Turnübung zwischen zwei Welten, mit einem Spagat, Restbestände journalistischer Ethik im Hinterkopf.
Der Wurm muss dem Fisch schmecken
Karsten Kammholz vom "Mannheimer Morgen": "Wir halten die Demokratie am Leben", aber "Wir haben nicht die personellen Ressourcen". "Wir wollen unserer Wächterrolle gerecht werden", aber "Unser Haus ist nicht mehr in der Lage, Tarif zu bezahlen".
Der Chefredakteur der Ulmer "Südwestpresse", Ulrich Becker, ist da entschiedener. Er sagt, der Wurm müsse dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. In den Online-Ausgaben der Stuttgarter Blätter wird der Frage nachgegangen, welche "Risiken beim Analverkehr" bedacht werden müssten. Insofern sei der SPD angeraten, beim nächsten Mal auf die Redaktionsmanager als Kronzeugen des Qualitätsjournalismus zu verzichten.
Aber halt, der Chefredakteur der "Rhein-Neckar-Zeitung", Klaus Welzel, kann von einem Wächterpreis für die Enthüllung eines Bluttestskandals am Heidelberger Uniklinikum berichten, die Redaktionsleiterin der "Geislinger Zeitung", Kathrin Bulling, stellt fest, bei ihr würden frei werdende Stellen sogar nachbesetzt. Das geht also auch.
Nur der Betriebsratschef redet Tacheles
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Ruby Tuesday
am 22.10.2022