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CDU und Polizeiaffäre

"Irreparabel beschädigt"

CDU und Polizeiaffäre: "Irreparabel beschädigt"
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Im Zweifel für den Angeklagten Andreas Renner, nicht aber für den Vorgesetzten. Niemandem ist zuzumuten, unter dem vor Gericht freigesprochenen Inspekteur der Polizei arbeiten zu müssen. Deshalb schafft sein oberster Chef, Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), diese Führungsposition jetzt ab.

So also sieht ein Befreiungsschlag nach gut eineinhalb Jahren aus. Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat nicht nur entschieden, dass es künftig gar keinen Inspekteur der Polizei (IdP) mehr geben wird im Baden-Württemberg, sondern ein ganzes Maßnahmenpaket vorgelegt. Unter anderem ist die grüne Forderung nach Einsetzung einer Vertrauensanwältin erfüllt und damit eine externe unabhängige Anlaufstelle für Betroffene geschaffen. Außerdem leitet Jörg Krauss, ein Grüner, die neue Stabsstelle "Moderne Führung und Wertekultur", angesiedelt beim Innenminister höchstpersönlich. Wirklich große Ziele verbindet ausgerechnet der selbst damit aber nicht. Sondern Strobl formuliert bei der Präsentation eigentlich die Selbstverständlichkeit, dass "die Polizei nach der Krise besser aufgestellt ist als vor der Krise".

Immerhin ist auf diese Weise eingeräumt, dass es überhaupt eine Krise gibt. Noch vor gut einer Woche auf der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung hatte der angeschlagene Innenminister versucht, den Eindruck zu erwecken, in seinem Haus gebe es überhaupt keinen Handlungsbedarf. Stattdessen verwiesen sowohl Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als auch sein Stellvertreter Strobl, gefragt nach den bisherigen Arbeitsergebnissen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Polizeiaffären, bisher wie tibetanische Gebetsmühlen auf den Abschlussbericht als Grundlage zu treffender Entscheidungen. Jetzt liegt aber doch dieses Fünf-Punkte-Papier auf dem Tisch.

Der Widerspruch zwischen voriger und dieser Woche hat am gestrigen Dienstag bei der allwöchentlichen Sitzung der CDU-Fraktion im Südwest-Landtag für Stirnrunzeln gesorgt. Nur ein einziger Abgeordneter wagte sich aus der Deckung: Winfried Mack, früherer stellvertretender Vorsitzender in Fraktion und Landespartei, äußerte hinter den verschlossenen Türen seine Unzufriedenheit damit, dass der Innenminister nicht auch für sich Konsequenzen zieht. Er habe den Bogen sogar zu Kardinal Woelki geschlagen und dessen Versuch, sich aus den Skandalen rauszustehlen, heißt es. "Strobl hätte das Amt ja nicht gleich abschaffen müssen", witzelte ein anderer Schwarzer im Foyer. Jetzt habe er sich Zeit gekauft, aber nur bis nach der Sommerpause. Manche, die ihren Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen wollen, trauern dem vergangenen Oktober hinterher. Damals hatten die Abgeordneten den Minister trotz des gegen ihn ergangenen Strafbefehls einmütig gestützt. Niemand, sagt ein dritter Parlamentarier, habe seinerzeit den Befreiungsschlag gewagt, auch weil bekannt gewesen sei, wie sehr Kretschmann zu seinem Vize halte.

Trotzdem sehen die Grünen weiteren Informationsbedarf. Kursorisch, heißt es, habe der Innenminister das Kabinett über die Neuerungen informiert. Details seien offen. Zum Beispiel dazu, wie die angekündigte "Neuaufstellung des Landespolizeipräsidiums" aussehen wird ohne den Posten des IdP. Dieses Amt sieht auch Oliver Hildenbrand, der grüne Fraktionsvize und Obmann im Untersuchungsausschuss, "irreparabel beschädigt". Und fügt hinzu: dass das Innenministerium mit diesem Maßnahmenpaket noch lange nicht am Ziel sei, sondern lediglich "auf dem richtigen Weg". Noch nie in ihrer Geschichte habe sich die Polizei im Land so selbstkritisch und intensiv mit sich selbst befasst, und schon allein das "ist ein Wert an sich".

Was Krauss machen soll, ist unklar

Ebenfalls grüne Zustimmung erfährt die Einrichtung der Stabsstelle mit Jörg Krauss an der Spitze. Der hat seit 1976 Erfahrung im Polizeidienst, ab 2013 war er als Spitzenbeamter im Staatsministerium tätig und ging vor wenigen Monaten als Amtschef des Finanzministeriums in Pension. Mit einem neuen Job hat er offenbar nicht gerechnet. Er habe sich, sagt der Grüne am gestrigen Dienstag bei der überraschenden Präsentation, "in meiner Euphorie über den Eintritt in den Ruhestand offensichtlich zu viele Streuobstwiesen zugelegt". Strobl überschüttete ihn mit lauter warmen Worten, rühmt angesichts der Karrierestationen den Blick über den Tellerrand hinaus. Man spüre nach wenigen Minuten, wie "bescheiden, demütig und stets zugewandt" Krauss sei, "mit einem klarem Koordinaten- und Wertekreuz". Und konfrontiert mit riesigen Erwartungen vor allem in der Polizei selber.

Gerade weil das Verfahren gegen den suspendierten Inspekteur in die nächste Runde geht, ist völlig ungeklärt, wie wieder Ruhe einkehren kann. Strobl rettet sich mit einem passenden Zitat von Max Frisch: "Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen." Und er verweist auf immerhin hundert Einzelmaßnahmen, die ohnehin in den vergangenen fast eineinhalb Jahren bereits umgesetzt worden seien, von der veränderten Ausbildung für den mittleren Polizeidienst über anonymisierte Abfragen bis zur Dienstvereinbarung "Schutz vor sexueller Belästigung".

Einen besonders großen Brocken dagegen hat die Landespolizeipräsidentin mit den Veränderungen im Besetzungs- und Beförderungswesen vor sich. "Wir wollen weg von Abhängigkeiten, die sich zu stark auf Einzelne konzentrieren, hin zu einem echten Führungsteam", sagt Stefanie Hinz, der anzumerken ist, dass sie unter ebenfalls erheblichem Druck steht. Die Aufgaben des IdP würden künftig verteilt auf den Landespolizeidirektor für die Schutzpolizei, den Landeskriminaldirektor für die Kriminalpolizei und auf sie selbst und ihr "ganzes Referat, das sich mit Personal befasst".

SPD und FDP trauen der Strobl-Clique nicht

Die Frage, warum solche Erkenntnisse nicht schon früher reiften, treibt nicht nur die Opposition um. Und von einem Befreiungsschlag wollen SPD und FDP ohnehin gar nichts wissen. Es bringe wenig, Besetzungen und Beurteilungen zu überprüfen, denn auch bislang habe es "die Strobl-Clique immer geschafft, unter Pervertierung gesetzlicher Vorgaben ihre Wunschkandidaten in Amt und Würden zu hieven", so Julia Goll, FDP-Obfrau im laufenden Untersuchungsausschuss. Und für den Obmann der SPD-Fraktion, Sascha Binder, ist Strobls Maßnahmenpaket ein "PR-Gag, mit dem er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen will, ohne zu begreifen, dass es nicht um sein Image geht, sondern um den Ruf unserer gesamten Polizei".

Abzusehen ist, dass Sozialdemokrat:innen und Liberale wenig unversucht lassen werden, um Strobl auf die Sprünge zu helfen: Eine aktuelle Landtagsdebatte noch vor der Sommerpause ist terminiert. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss trifft sich intern abermals, um das weitere Vorgehen festzulegen und zu klären, wer die Nächsten im Zeugenstand sind, um mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Fortsetzung folgt.


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4 Kommentare verfügbar

  • Frieder Kohler
    am 25.07.2023
    Antworten
    "Da wird man doch auf seine alten Tage zum Autonomen", und erinnert sich an DER APPARAT
    (Ermittlungen in Sachen Polizei von Rolf Gössner/Uwe Herzog KiWi 1982/84), an Theorie und Praxis in Einsatz- und Führungslehre und an Oswald von Nell-Breuning in Baugesetze der Gesellschaft (Herder Verlag,…
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