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Sunny High Club in Stuttgart-Bad Cannstatt

Feiern mit Konzept

Sunny High Club in Stuttgart-Bad Cannstatt: Feiern mit Konzept
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 Fotos: Léa Baur 

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Ein unkommerzieller Club, der übergriffigem Verhalten und Diskriminierung die Stirn bietet. Und gleichzeitig Künstler:innen eine Bühne, die sie sonst nur selten bekommen. Das Sunny High in der Cannstatter Schwabenbräu-Passage ist ein Unikum in der Stuttgarter Clubszene.

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Kooperation mit der Merz Akademie

In den vergangenen Monaten hat Kontext mit der Merz Akademie, Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien in Stuttgart, zusammengearbeitet. Unter der Leitung von Anja Weber, Professorin im Bereich Visuelle Kommunikation, Videokünstlerin und Fotografin, haben Studierende im "Gestaltungskurs Fotografie und Kontext" fotografische Essays, Reportagen und Porträts fotografiert und als Plakate im Kontext-Print-Layout präsentiert. Léa Baur war von Anfang an angetan von der Idee des Sunny High, einen sicheren Ort für die queere Nacht- und Technoszene in Stuttgart zu schaffen. "Diesen besonderen Ort, an dem Menschen einfach sein dürfen ohne jegliche Verurteilung, wollte ich fotografisch festhalten", sagt die Studentin.  (fra)

Hinter silber funkelndem Lametta, inmitten neongrüner Wände steht ein bordeauxrotes Sofa – und wartet darauf, dass die ein oder anderen tanzmüden Beine eine Verschnaufpause brauchen. "Eine Oase im Stuttgarter Nachtleben", beschreibt ein Besucher das Cannstatter Sunny High in seiner Rezension und gibt gleich fünf von fünf möglichen Sternen. Der Club in der ehemaligen Schwabenbräu-Passage hat mit seinem Konzept tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal in der Landeshauptstadt und darüber hinaus: Er ist unkommerziell, inklusiv in seinem Programm und legt viel Wert darauf, dass sich alle Gäste möglichst wohlfühlen.

Durch den Club über die Tanzfläche führt der Weg auf die in die Jahre gekommene Terrasse mit Blick auf den Cannstatter Bahnhof. Heide Fischer, Lisa Vest und Daniel Herberg, von allen Herb genannt, sitzen dort auf Klappstühlen und was sonst noch an Sitzgelegenheiten zu finden war. Sie sind drei der fünf Vorstandsmitglieder des gemeinnützigen Vereins Sunny High e.V. Den Verein gibt es seit Ende 2022, der Club wurde im September 2023 eröffnet. Und seitdem in höchsten Tönen gelobt: nicht nur die Getränkeauswahl und die fairen Preise, sondern vor allem "die guten Regeln des Miteinanders und Füreinanders. Jeder scheint dort willkommen und hat einfach zusammen eine gute Zeit", schreibt der Kommentator weiter.

Damit dieses Miteinander und Füreinander funktioniert, gibt es einen Verhaltenskodex mit sieben Regeln, um Diskriminierung, übergriffigem Verhalten, Sexismus, Rassismus, Homo- und Transphobie vorzubeugen. Wer faschistische Symbole oder Tattoos trägt, kommt nicht rein. Ein T-Shirt zu tragen, ist hingegen Pflicht, denn es mache gesellschaftlich und rechtlich immer noch einen erheblichen Unterschied, ob ein Mann oder eine von Sexismus betroffene Person ihren Oberkörper frei zeigt, steht im Kodex. "Solange nicht alle Menschen gleichberechtigt das T-Shirt ausziehen können, fordern wir von allen Menschen, ihren nackten Oberkörper zu bedecken."

Ein sicherer Ort zum Tanzen

Mindestens zwei Oberkörper sind bei jeder Veranstaltung mit lila Shirts bedeckt. Auf ihnen steht das im Sunny High großgeschriebene Stichwort "Awareness". Die Menschen, die sie tragen, sind Ansprechpersonen bei jeglichen Problemen: sexuelle Belästigung, Übelkeit, Einsamkeit, psychisches oder physisches Unwohlsein. "Es ist schon krass, dass das in so einer Form noch etwas Einzigartiges ist", sagt Heide Fischer vom Vorstand. Dabei gibt es Awareness-Konzepte bereits seit fast 20 Jahren. Das erste entstand 2007 im Zuge der politischen Proteste zum G8-Gipfel in Heiligendamm: Eine geschulte Gruppe umsorgte in Rückzugs- und Beratungszelten Betroffene sexualisierter Gewalt. Bald begann die Clubszene sich an der Idee zu orientieren – und weitete den Blick von Sexismus auf Homophobie, Rassismus und andere Arten der Diskriminierung.

Kommt im Sunny High das Awareness-Team zum Einsatz, handle es sich selten um übergriffiges Verhalten, erzählt Fischer, eher um Kreislaufprobleme oder exzessiven Drogenkonsum. "Der Schlüssel liegt darin, das Konzept schon an der Tür genau zu kommunizieren." Letztens hätte einer ablehnend mit "so ein Quatsch" auf das Konzept reagiert. "Der potenzielle Gast konnte gleich wieder umdrehen." "Die Hemmschwelle wächst, wenn man direkt darauf hingewiesen wird", erwidert Herb. Zudem gebe es in der Regel, außer an speziellen Themenabenden, keinen harten Alkohol. "Es wird nicht geschnäpselt. Dadurch erspart man sich sturzbetrunkene Leute, die normalerweise am ehesten unbequem werden." Das Feedback sei überwiegend positiv. "Viele sagen: Wow, endlich kann ich wieder feiern gehen." Dementsprechend gut besucht ist der Club: Meist kämen um die 80 Menschen. Offiziell ist Platz für 199.

Nicht nur Menschen, die sich in konventionellen Clubs nicht wohlfühlen, finden hier einen Ort, die Nacht durchzutanzen. Auch all jene, die sich das teure Stuttgarter Nachtleben nicht leisten können. Im Cannstatter Sunny High basiert der Eintritt – bis auf wenige Ausnahmen – auf Spenden. Gibt es mal einen Festpreis, ist der nie höher als 15 Euro, und wer ihn sich nicht leisten kann, kann sich im Vorfeld ans Club-Team wenden.

Diverse Menschen, diverses Können

Dieser niederschwellige und offene Zugang sorgt für ein besonders buntes Publikum. Genauso bunt ist das gebotene Programm. "In anderen Stuttgarter Clubs hört man immer nur dasselbe. Dann gibt's da Techno, aber bloß nicht zu auffällig, weil man will ja sicheres Geld verdienen", sagt Fischer, die als Schneiderin am Theater arbeitet. "Wir machen's anders und bieten Leuten eine Bühne, die sie sonst nicht bekommen", ergänzt ihre Kollegin Lisa Vest. Das sind experimentelle DJs, Genres wie Drum 'n' Bass, harter Techno. Für viele Clubs sei das nicht wirtschaftlich, weil es weniger Publikum anziehe. "Und weil die, die kommen, weniger trinken, weil sie zu sehr mit Tanzen beschäftigt sind."

Neben der Diversität der Menschen gehe es im Sunny High um die Diversität des Könnens. "Wir rennen nicht den krassesten Acts und großen Namen hinterher", sagt Vest. Oft stehen unbekannte, junge Artists am Mischpult. Und mindestens die Hälfte von ihnen sind Flinta* (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-Binäre, Trans, Agender oder queere Menschen). Beim Booking achtet das Team auf eine 50/50-Quote. "Die DJ-Szene ist sehr männlich geprägt", sagt Vest, die selbst Reggaeton, Hip-Hop und Rap auflegt. "Etabliert sind vorwiegend Männer. Wenn man nicht aktiv darauf achtet beim Booking, melden sich deshalb automatisch mehr Männer." Bei Bands sei es schwierig diese Quote einzuhalten, insbesondere in den Genres Noise, Rock und Synthiepop.

Für das Booking, die Organisation von Veranstaltungen und Workshops, die im Sunny High zusätzlich regelmäßig angeboten werden, und alles Weitere braucht es eine Vielzahl an engagierten Menschen. Neben dem fünfköpfigen Vorstand zählt der Verein um die 70 Mitglieder, von denen eine Handvoll tatkräftig mithilft. Die gesamte Orga geschieht ehrenamtlich, die Arbeit an der Bar und im Awareness-Team auch zu einem Teil. Die Miete übernimmt die Stadt Stuttgart, Besitzerin des Gebäudes. Der Umsatz generiert sich aus dem Getränkeverkauf und den Spenden. Die seien gar nicht schlecht, manchmal im Schnitt neun Euro, sagt Herb, der Kassenwart des Vereins. "Doch der Haushalt ist nicht super stabil."

Neben dem Finanziellen ist auch die Standortfrage des Sunny Highs ungewiss. Das Gebäude in der ehemaligen Schwabenbräu-Passage wurde 2020 von der Stadt erworben. Zunächst waren die Mietverträge bis Ende 2025 befristet. Doch "aufgrund der Komplexität im Zusammenhang mit der Ausschreibung einer städtebaulichen Studie und der damit einhergehenden zeitlichen Verzögerung" konnten die Mieter:innen um weitere zwei Jahre verlängern, schreibt die Stadt auf Anfrage. Danach soll die Passage abgerissen werden. Was dann entstehen wird, weiß die Stadt selbst noch nicht. "Wir bleiben jedenfalls so lange hier, wie wir können, und so lange der Laden läuft", sagt Vest. Verbringt sie ein Wochenende mal nicht inmitten des silber funkelnden Lamettas und der neongrünen Wände, denke sie sich am Ende des Abends doch immer: "Ach, das Sunny High hab' ich einfach am liebsten."

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