DJ Elly ist die älteste noch aktive DJ Deutschlands. Doch bis sie Anfang der 1990er-Jahre mit dem Auflegen begann, sollte einiges passieren: Ihre Arbeit als Lehrerin schmiss sie bald nach dem Studium und jobbte eine Zeit lang als Schlussredakteurin bei verschiedenen Verlagen. Ende der Achtzigerjahre habe sie nach langem Zögern "Mut gesammelt, Mut gesammelt, Mut gesammelt" und sich endlich getraut zu fragen, ob sie im "Go West" – damals eine Stuttgarter Frauendisco – auflegen dürfe. Schnell kam der Ball ins Rollen. Elly wurde Stamm-DJ im Club der LGBT-Aktivistin und Linken-Kommunalpolitikerin Laura Halding-Hoppenheit. Sie legte im Stuttgarter Gaytunnel, im Wildthing, bei der Frauendisco in der Stuttgarter Boa auf, später im Babylon, im Ulmer Roxy und Neu-Ulmer Big Ball. "Ich hab die Decks gerockt so oft und heiß wie möglich", sagt Elly. Auch im Mannheimer T6: unten eine Disco, oben ein Sexclub. Das Publikum von oben sei immer wieder nach unten gekommen, erzählt sie begeistert, Menschen hätten sich auf der Tanzfläche die Klamotten vom Leib gerissen! "Das war der totale Hammer!"
Die Musik ist ihre neue Droge
Steht sie am Mischpult, verfällt sie in eine natürliche Ekstase. Das ist ihr "natural high" – die Musik und die Menschen lösen es bei ihr aus. Dabei grenzt es an ein kleines Wunder, dass sie heute noch hinter den Turntables steht. Als Jugendliche begann sie exzessiv zu trinken, nahm Drogen. "Alkohol, Schmerztabletten, Psychopharmaka, alles", sagt sie und das einzige Mal im Gespräch wirkt ihre Stimme fragil, zerbrechlich. So ging das etwa 20 Jahre lang bis zum entscheidenden Moment – ihrem "Lichterlebnis": Eines Nachts stand sie in ihrem Zimmer, trotz der Dunkelheit war es taghell, erzählt sie. Das Ganze dauerte keine zehn Sekunden und auf einem Schlag wurde ihr klar: "Elly, du musst alles ändern, sonst gehst du daran kaputt. Du gehst drauf." Für sie war das "wie eine göttliche Eingebung".
Um dem Teufelskreis zu entkommen, bedurfte es sieben Jahre Therapie. Heute sagt sie mit Stolz: "Ich bin eine der wenigen, die immer ohne Drogen aufgelegt hat." Die Musik ist ihre Droge geworden.
In den 1990er-Jahren und zu einer Zeit, als Ellys gesamtes Geld für Schallplatten draufging, fing ihre Therapie an zu greifen, und Elly spürte: "Ich will frei sein." Sie machte den Taxiführerschein, kaufte sich ein Taxi und startete ihr eigenes Unternehmen. Ausgestattet mit einem Elektroschocker im Ablagefach der Fahrertür fuhr sie als eine der wenigen Frauen damals "ganz beschissene Mitfahrer" durch das nächtliche Stuttgart. Drei Tage in der Woche war sie Taxifahrerin, am Wochenende DJ.
Ihre Begeisterung für die Musik habe ihr auch während der Therapie Heilung gebracht, berichtet sie. "Wenn du keinen Glauben hast, wirst du wieder rückfällig." Elly fand diesen haltgebenden Glauben im Buddhismus – denn "die Buddhisten haben die Seele im Kopf", sagt sie. Sie legt ihre Stirn an die ihrer Frau Meike, mit geschlossenen Augen lächeln die beiden Frauen sich an. Der dänische Lama Ole Nydahl hat ihr einen buddhistischen Namen gegeben: "Juwel strahlendes Licht." Das passe gut, sagt Meike, "du strahlst ja schließlich."
Ein künstlerisches Rundumpaket
Schon als Jugendliche ging Elly gerne in die Disco. Und dabei ganz nah an die DJs ran, "um zu schauen, wie die das machen". Bald habe sie "geübt wie verrückt", sagt die 75-Jährige, jeden Tag, denn "Übergänge und Beat-Matching sind das A und O, dass es nahtlos läuft". Als "Vinyl-Junkie" geoutet fand Elly besonders Gefallen an UK-Music: "Die ist so ein bisschen raw. Wie die Briten halt sind", meint sie und schmunzelt. Auch heute legt sie mitunter am liebsten die aus Großbritannien stammende Musikrichtung Progressive House auf. Ansonsten dröhnen meist Funky House, Melodic House oder Chicago House, die Ur-Form der heutigen House Music, aus den Boxen, wenn DJ Elly am Mischpult steht.
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