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AMS-Camp im Schwarzwald

Techno gegen das Kapital

AMS-Camp im Schwarzwald: Techno gegen das Kapital
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Das AMS-Camp im Südschwarzwald will mehr sein als Festival und als politisches Zeltlager zur Veränderung der Gesellschaft beitragen. Als Projekt unter Freund:innen gestartet, finden immer mehr Menschen zwischen Workshops, Sekt und Tanz zusammen – mittlerweile zum 14. Mal.

Vor 175 Jahren zettelte Friedrich Hecker hier einen Aufstand und die badische Revolution an, seitdem ist der Schwarzwald nicht mehr vergleichbar als Ausgangspunkt politischer Aktion und Debatte in Erscheinung getreten. Doch zumindest einmal im Jahr im August kommen in den Höhen des Schwarzwalds Kunst, Politik und Aktivismus beim AMS-Camp zusammen. Zwischen dem 17. und 20. August findet das Camp in diesem Jahr bereits zum 14. Mal statt.

Rege Debatten, entspanntes Feiern und kritischer Austausch sollen laut den Organisator:innen im Mittelpunkt stehen. Pia Göser kennt das AMS schon seit seiner ersten Auflage 2009. Damals kam sie noch mit Freund:innen als Teilnehmerin auf das Camp, vor fünf Jahren ist sie zur Mitorganisatorin geworden. "Ich bin über die Jahre regelmäßig da gewesen, wollte dann mal reinschnuppern und bin dabei geblieben", sagt Göser. Trotz der Festival-Atmosphäre auf dem Platz, das AMS sieht sich vor allem als politisches Camp.

"Der politische Anspruch ist zentral, von Anfang an", sagt Göser. "Dazu haben wir zum Beispiel klare Workshopzeiten, in denen es parallel keine Theatervorstellung oder Konzerte gibt. Wir verbinden Bildung und Unterhaltung." Schwerpunkt der Workshops sind die Themen Kapitalismus, Klimapolitik, kritische Männlichkeit oder auch Antifaschismus. "Es geht uns um eine differenzierte Betrachtung der Gesellschaft. Wir wollen die bestehenden Verhältnisse verstehen und verändern", sagt Göser. 18 teils parallele politische Workshops stehen dazu in diesem Jahr auf dem Programm. "Es gibt auch Praxisworkshops, die zu Kreativität und Skillsharing beitragen sollen, aber wir haben vor allem viele Vorträge, die sich mit einer materialistischen Kritik an Kapitalismus und Gesellschaft auseinandersetzen", sagt Göser. In dieser Hinsicht sei sich das AMS-Camp über die vergangenen 14 Jahre treu geblieben.

Die ersten sechs Jahre fand das Camp noch unter dem Namen "Action, Mond und Sterne" in Simmersfeld im Nordschwarzwald statt. Auf der Wiese an einem Skilift war das Camp noch "klein und süß", so die Organisator:innen. Doch als mit jedem Sommer mehr Menschen kamen, sei das Camp dem einstigen Namen entwachsen und werde heute nur noch mit der Abkürzung bezeichnet. Bis heute ist das AMS eng mit der Kulturwerkstatt Simmersfeld verknüpft, einem Verein, der in dem 2.000 Einwohner:innen-Dorf seit 1983 ein soziokulturelles Zentrum betreibt. Viele derjenigen, die das AMS ausgebaut haben, sind aus dem Umfeld oder direkte Nachfahren der Gründungsgeneration der Kulturwerkstatt und bis heute beim AMS aktiv. "Es gibt ein sehr großes Commitment zu dem Projekt. Es sind noch viele aus dem Ursprungskreis dabei", sagt Göser.

Campen auf Spendenbasis

"Früher war es vielleicht noch ein bisschen mehr learning by doing", sagt Gösner. Heute staune sie selbst über die Professionalität, die sich mit den Jahren entwickelt habe. "Wir haben jetzt auch ein Projektmanagement-Tool, um nicht jedes Jahr von Neuem anzufangen." Etwa 30 Personen umfasse der harte Kern der Vorbereitungsgruppe, die sich drei bis viermal pro Jahr persönlich treffe. Dazwischen gebe es zahlreiche Online-Treffen der zwischen Freiburg und Berlin verteilten Gruppe.

"Ohne Dich geht es nicht", sind beim AMS alle Teilnehmer:innen aufgerufen, beim Kochen, an der Bar oder beim Aufräumen danach zu helfen. Trotz des Wachstums solle so auch der Ursprung des Camps bewahrt werden. "Früher gab es ein Plenum mit allen Menschen auf dem Camp. Das geht mit 800 Leuten nicht mehr", sagt Göser. Auch wenn nicht mehr alle über jedes Detail informiert seien, solle es weiterhin viele Möglichkeiten geben, wie sich das Camp selbst organisiert. Im Infozelt hängen die Schichtpläne aus. Wenn alle eine Schicht in der Küche, bei den Klos oder in der Awareness machen würden, kommen wir gut durchs Wochenende, heißt es im Programmheft. "Je größer wir werden, umso mehr machen wir uns Gedanken, ob wir Dienstleister werden", beschreibt Gösner eine der Sorgen der Orga-Crew, der auch durch die vielen Partizipationsmöglichkeiten vor Ort begegnet werden soll.

Mit dem Umzug in den Südschwarzwald 2014 schaffte das AMS Platz für das Wachstum. Bis zu 800 Personen kamen in den vergangenen Jahren. In diesem Jahr erwartet Gösner fast 1.000 Menschen. "Der Platz ist sehr groß und hat das ermöglicht", sagt sie über den Zeltplatz der Sozialistischen Jugend – Die Falken am Stöcklewald auf knapp 1.000 Meter Höhe. Der knapp zweiwöchige Aufbau des Camps beginnt aber weiter in Simmersfeld. In der Kulturwerkstatt sind Tontechnik, Zelte und Baumaterial gelagert. "Vom Kompostklo bis zum Drucker der Referent:innen bauen wir alles jedes Jahr neu auf. Es wird immer mal wieder was Neues gebaut. Meist wird bis zum Beginn des Camps am Donnerstagmittag gezimmert und gewerkelt." Einzig die Bar hat auch an dem neuen Ort einen festen Platz gefunden.

Unverändert ist hingegen die Finanzierung des Camps. Für das viertägige Camp wird ein Richtwert von 30 bis 60 Euro angegeben. Hinzu kommt das Essen. Dreimal täglich gibt es vegane Kost aus regionalem Anbau. Dafür werden sieben Euro pro Tag als Spende empfohlen. "Der Spendenrichtwert soll abbilden, wer mehr hat, gibt mehr und wer weniger hat, gibt weniger", sagt Göser. "Wir schließen keine Person aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten aus", stellen die Organisator:innen auch auf ihrer Homepage klar.

Schon in der Aufbauwoche kommen viele Freiwillige, die unterstützen. Einige davon sind in den letzten Jahren auch in der Vorbereitungsgruppe gelandet, die aber weiter stark vom einstigen Simmersfelder Freundeskreis geprägt ist. "Es sind in den letzten Jahren sehr viele Leute dazugekommen, oft über Bekanntschaften zu Leuten in Simmersfeld, aber auch manche, die mal Aufbau mitgemacht haben und dann dabeigeblieben sind", sagt Gösner. Die Motivation für die Mitarbeit sei unterschiedlich. "Ich begreife das AMS als politisches Projekt. Es gibt aber sicher auch einige, die das eher als Hobby sehen und Lust darauf haben, etwas selbstorganisiert zu machen", sagt Gösner.

Mehr als nur die Hüpfburg

Die Teilnehmer:innen des AMS kommen aus ganz Baden-Württemberg und teilweise dem Bundesgebiet. Aus der direkten Umgebung des Schwarzwalds sei das Interesse aber überschaubar. "Ab und zu kommen junge Leute, die mitfeiern, aber das ist sehr selten. In der linken Szene der Gegend wird das AMS genutzt, aber darüber hinaus geht wenig", sagt Gösner, die sich wünschen würde, stärker in die direkte Umgebung zu wirken. Doch was gut für das Feiern ist, ist schlecht für den direkten Kontakt zur Nachbarschaft. "Die Lichtung ist ab vom Schuss, nur manchmal kommen zufällig Wandernde vorbei." Aber eines wertet Gösner als gutes Zeichen der Integration am neuen Ort: "Es gab noch keine Beschwerden über Lärm. Das spricht für ein gewisses Wohlwollen."

Denn neben den politischen Debatten am Tag will das AMS am Abend eben auch für entspanntes Feiern stehen. Auf drei Bühnen gibt es Open-Air-Konzerte, werden Theaterstücke oder Performances aufgeführt und aufgelegt. Musikalisch reicht die Palette von Hip-Hop, Techno bis Punk. "Wir haben alles von Theater bis Techno", sagt Göser. Dazu gibt es mit dem Kids Space einen neuen Floor, der auch den Generationenwandel innerhalb der Vorbereitungsgruppe widerspiegele. "Wir wollen nicht nur mit einer Hüpfburg ein kinderfreundlicheres Ambiente schaffen, damit auch Eltern an den Workshops teilnehmen können. Mit dem Kids Space haben wir es geschafft, neue Lebensrealitäten mitzudenken."

Trotz des großen Kulturprogramms möchte Göser das AMS nicht als "kleines Fusion" sehen. Das Fusion Festival in Mecklenburg-Vorpommern wird von einem Verein und einem breiten Netzwerk politischer und kultureller Gruppen getragen. Bis zu 80.000 Menschen kommen jedes Jahr. "Wir sind viel kleiner und es ist auch nicht unser Anliegen, so groß zu werden", sagt Göser. Das AMS wolle nicht zum Unterhaltungsdienstleister werden und Festangestellte seien aktuell auch nicht vorstellbar. Göser geht es viel mehr um etwas anderes. "Ich fände es toll, wenn es das AMS irgendwann nicht mehr bräuchte, weil es die Form des Austauschs überall gibt und sich die Verhältnisse so verändert haben, dass es das AMS nicht mehr braucht." Das werde aber noch dauern. Die eigene Kraft für ein jährliches AMS reiche zumindest noch die kommenden zehn Jahre.
 

Zur Homepage des AMS-Camps geht's hier.


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