Die zweite Frage, woher denn im 42. Jahr nun plötzlich Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläulinge kommen, ist schon werthaltiger. Denn wir reden zwar von einem schönen Wiesental, das sich nahezu ideal für ein Festival eignet – das aber eigentlich nur eine sehr kurze Geschichte hat. Es wurde beim Bau der Uni Vaihingen aufgeschüttet und der romantisch anmutende See dient in erster Linie der Vorklärung der Oberflächen-Abwässer des Uni-Geländes. Es wird schwer nachzuweisen sein, dass sich Ameisenbläulinge besonders gut in der Umgebung von Musikfestivals vermehren – zumindest ausschließen, lässt sich diese Annahme angesichts der Geschichte aber nicht ganz. Wer schon einmal nach irgendeinem Festival über dessen Gelände gelaufen ist, der kennt den typischen Geruch aus Bierpfützen, Tabakresten und Verwesung. Ich könnte mir zumindest vorstellen, dass es viele Pflanzen und Tierarten gibt, denen es in dieser Umgebung besonders gut gefällt.
Doch auch der Kultur geht es nicht bombe
Kommen wir zur dritten Frage, die man den Fachleuten eigentlich stellen müsste. Ob es denn nicht möglich wäre, dem Ameisenbläuling auf einer anderen Wiese in der Nähe genug Große Wiesenknöpfe zu pflanzen und damit seine Art zu schützen? Sie wurde bisher nicht gestellt oder beantwortet und hier wird auch deutlich, dass Umweltschutz, wenn er in Verordnungen gegossen wird – was sicher unvermeidlich ist –, zu einer Form von Sprachlosigkeit führt, die der Sache der Umwelt schadet. Die Sorge aller politisch Beteiligten, dass der Verstoß gegen eine sachlich wichtige und richtige EU-Verordnung unzumutbar viele Klagegründe und juristische Auseinandersetzungen verursachen würde, verhindert das Gespräch.
Mag sein, dass die vierte Frage unfair ist. Ich denke und unterstelle einfach, dass ein Amt für Umweltschutz in Stuttgart in so vielen Fällen der Sachlogik von Politik, Verkehr und Wirtschaft unterliegt, dass die Verbitterung nun in ihr Gegenteil umschlägt und genau an der Stelle, an der am wenigsten Widerstand zu erwarten ist, besonders hart durchgegriffen wird. Warum, so möchte ich aber fragen, kümmert Ihr Euch nicht um die wirklich schlimmen Fälle, die großen Sünder und Verschmutzer? Warum muss ein Festival verschwinden, das doch eine eigene kleine Rolle in der Geschichte der Umweltbewegungen spielt?
Machen wir uns die Antworten etwas leichter und identifizieren diesmal die Natur mit dem Ameisenbläuling und die Kultur mit dem Umsonst & Draußen. Dann könnte man argumentieren, dass die prekäre Situation, in der sich unbestritten die Natur befindet, als logische Folge das Zurückstecken der Kultur erzwingen muss. Aber auch die umgekehrte Argumentation ließe sich schlüssig führen. Denn auch der Kultur geht es nicht bombe, und wenn nun eines der letzten freien Festivals in Stuttgart verschwindet, ist das keine Bagatelle.
Wenn ich mir die vielen schönen Abende im Vaihinger Wiesental Revue passieren lasse, die tollen Auftritte unbekannter Bands, die Schlammschlachten nach Regentagen und die vielen hitzigen Diskussionen über die Verfassung eines offenen Plenums, über das Programm und jede Facette der Organisation, dann frage ich mich, warum es nicht möglich ist, dass Natur und Kultur miteinander reden. Wie vernünftige Menschen halt. Mathias Deutschmann hat vor vielen Jahren in einem legendären Auftritt im Zirkuszelt beim Umsonst & Draußen gesagt: "Kommt, lasst uns ein Lokal eröffnen und es Zur Guillotine nennen. Kommt, lasst uns miteinander reden."
Ich weiß nicht, ob es gelingen wird, das Stuttgarter Umsonst & Draußen zu retten. Aber ich habe große Sorge, dass eine Umweltbewegung, die Kultur verbietet ohne zu reden, keine Zukunft haben wird. Denn Zukunft gibt es nur mit Kultur.
8 Kommentare verfügbar
Jeannette Beck
am 31.07.2023Schon beim ersten mal als U&D war kommen wir am Montag in den Garten und es war sehr viel kaputt gemacht worden…