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CSD in Stuttgart

"Wir wollen den Zwischenfall nicht überbewerten"

CSD in Stuttgart: "Wir wollen den Zwischenfall nicht überbewerten"
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 Fotos: Jens Volle 

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Wo gibt's denn sowas? Auf dem Christopher Street Day in Stuttgart lief ein Antifa-Block eingebettet zwischen Eurowings und Vodafone. Später kam es zur Konfrontation von Autonomen und Polizei und zu einer Verletzung des Veranstalters. Der fand den Tag trotzdem "überwältigend schön".

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Nicht erst seit gestern ist aus der linken Ecke der Vorwurf zu hören, die meisten Christopher Street Days und Pride-Paraden seien zu entpolitisierten Kommerzpartys verkommen, bei denen sich Staat und Kapital gegenseitig auf die Schulter klopfen. Von der guten, alten Tradition – wenig übrig. Was im New York von 1969 als militanter Aufstand gegen Polizeiwillkür und die heteronormative Spießbürgerherrschaft begann, ist beim werbekompatiblen Massenspektakel angekommen, das auch Konservative, Großkonzerne und sogar die Staatsmacht immer häufiger willkommen heißt. In Frankfurt am Main ging das in diesem Jahr so weit, dass die Organisator:innen eine Maßgabe erteilten: "Plakate und Aktionen gegen die Arbeit der Polizei" könnten "nicht toleriert werden".

Da war Stuttgart am vergangenen Wochenende breiter aufgestellt. Zwischen knallbunt eingefärbten Mercedes-Sternen und Reklameparolen à la "Proud like a Bosch" gab es eine beachtliche Anzahl an Bannern und Transparenten, die dagegen hielten. "LGBTQ+ ist keine Marke" etwa. Oder ganz ungepudert: "CDU, Konzerne, Polizei! Verpisst euch, das ist unser Pride!"

Der Hinweis auf sexistisch-autoritäre Strukturprobleme auch unter den Gegenwarts-Cops ist niemals deplatziert, ebenso wie gar nicht oft genug daran erinnert werden kann, dass das Großkapital bislang noch jedem Menschenrecht in den Rücken gefallen ist, wo es nicht mehr für Marketingzwecke taugt. Und trotz alledem: In Zeiten, in denen sich der Faschismus wieder größerer Beliebtheit erfreut und in der europäischen Nachbarschaft LGBTQ-freie Zonen ausgerufen werden, ist der Demonstrationszug in seiner Diversität ein starkes Zeichen. Einmal weil er sichtbar macht, dass es sexuelle Vielfalt wirklich überall gibt. Und weil die Errungenschaften einer sozialen Bewegung, die Akzeptanz und bessere Rechte für unzählige Ausgegrenzte erstritten hat, auch mal unabhängig von Meinungsverschiedenheiten gefeiert werden darf. Neben den 40.000 Teilnehmenden der Parade gab es nach Angaben der Polizei rund 400.000 Schaulustige, die solidarisch am Straßenrand standen.

Ellbogen trifft Unterkiefer

Direkt vor einem Wagen der Fluggesellschaft Eurowings, die ihr Logo in den Farben des Regenbogens präsentiert, läuft die antikapitalistische Gruppierung, hier unter dem Namen "Jugendblock". Im Gegensatz zur 1.-Mai-Demo dieses Jahr können die beteiligten Aktivist:innen sogar Rauchtöpfe anzünden, ohne dass die Staatsmacht das zum Anlass nimmt, einen Verstoß gegen die Versammlungsauflagen mit Pfefferspray und Schlagstöcken zu beantworten. Doch so schön stressfrei sollte es nicht bleiben. Zur Konfrontation kommt es, als der Demozug am Stuttgarter Schlossplatz angelangt ist und 17 Autonome den Wagen des Veranstalters blockieren (zu diesem Zeitpunkt hatte sich der antikapitalistische Block mit seinen etwa 700 Beteiligten bereits aufgelöst).

Ausgabe 639, 28.06.2023

Antifa als Publikumsmagnet?

Von Minh Schredle

Das vermummte Schwarzwaldmädel war zu viel: Nachdem sich der Freiburger CSD zur Antifa bekannte, boykottierten ihn drei Schwulen- und Lesbenverbände. Dennoch wurde der CSD am vergangenen Samstag der größte, den Freiburg je erlebt hat.

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Hintergrund der Aktion waren offenbar Aussagen von Versammlungsleiter Detlef Raasch. In einer gemeinsamen Erklärung vom 21. Juni hatten der CSD Stuttgart, in dem Raasch Vorstandsmitglied ist, und der Lesben- und Schwulenverband Baden-Württemberg (LSVD BW) erklärt, dass sie den Freiburger CSD in diesem Jahr boykottieren würden. Dieser hatte mit einem abgewandelten Antifa-Logo geworben. "Wir können als familienorientierter Verband an keiner Veranstaltung teilnehmen, die offen für Linksradikalismus wirbt oder im direkten Zusammenhang mit gewaltbereiten Gruppierungen steht", erklärte Kerstin Rudat aus dem Vorstand des LSVD BW. Und Raasch ergänzte: "Wir lehnen jede Art von Radikalismus strikt ab." Nun hat Raasch am vergangenen Wochenende nach eigenen Angaben einen Ellenbogen-Hieb gegen den Unterkiefer abbekommen und dabei leichte Verletzungen erlitten, wie die Polizei bestätigt. War das der Antifa-Konter gegen den Vorwurf der Gewaltbereitschaft?

Auf dem Portal Indymedia kommentierte die Gruppe "Queer & Revolutionär" den Vorfall. "Über 50 bewaffnete BFE Polizisten und Hundertschaften kesselten einige wenige Antifaschistische Aktivist:innen gewalttätig ein, nachdem diese eine kleine, vom Jugendblock unabhängig, Protestaktion gegen die Anti-Antifa Hetze einiger Akteure auf dem CSD und die erneute Beteiligung der queerfeindlichen CDU durchgeführt haben." Angeprangert wird darin unverhältnismäßige Polizeigewalt – so seien, wie ein Aktivist gegenüber der Redaktion erklärt, mitunter sehr junge Menschen in Schmerzgriffen abgeführt worden. Der Angriff auf Raasch bleibt in dem Statement allerdings unerwähnt und dementsprechend findet sich hier auch kein Wort des Bedauerns.

Der Betroffene sagt, Antifa ist nicht gleich Antifa

"Mit besonderer Verwunderung" wurde laut dem ZDF "aufgenommen, dass die Täter offenbar aus dem Linksaußen-Spektrum kommen". Eigentlich ist das ein Alleinstellungsmerkmal der extremen Rechten. Wie aus Szenekreisen zu vernehmen ist, ist das benannte Linksaußen-Spektrum auch nicht besonders glücklich über den Vorfall. Bestritten wird, dass es sich um einen gezielten Angriff gehandelt habe. Vielmehr sei wohl eine Rangelei entstanden, bei der Raasch "höchstwahrscheinlich zufällig" etwas abbekommen habe. Eine Sprecherin der Polizei erklärt gegenüber Kontext, dass nach bisherigem Kenntnisstand keine Hinweise auf einen Hinterhalt oder eine generalstabsmäßig geplante Aktion vorlägen. Nun würden Videoaufnahmen des Vorfalls ausgewertet, auch der Staatsschutz ist in die weiteren Ermittlungen einbezogen.

Das antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart hat inzwischen eine Erklärung veröffentlicht, die voranstellt, die "Blockade des IG CSD Wagens war nicht unsere Aktionsform", aber "allen Verletzten eine rasche Genesung" wünscht. Zugleich wird vor einem gefährlichen Framing gewarnt, das sagen soll: "Die Antifa (wer auch immer das ist) hat den CSD angegriffen, weil sie sauer sind, dass der CSD Stuttgart sich gegen Antifa-Logos in Freiburg ausgesprochen hat oder weil sie die CDU blöd finden, gingen sie mit brutaler Gewalt gegen den CSD und gezielt gegen seinen Sprecher vor."

Der Betroffene zeigt indessen Größe und tut genau das Gegenteil davon, das Narativ vom Schlägertrupp zu pflegen. Antifa sei nicht gleich Antifa, betont Raasch gegenüber der "Stuttgarter Zeitung", da müsse man "ganz genau differenzieren". Der leicht Verletzte hebt hervor, dass es "aus dieser Bewegung Teilnehmende in Fußgruppen" gab, "die sich korrekt ohne Randale verhalten haben". Er spricht sich nicht nur gegen Ausgrenzung aus, sondern auch gegen die Forderung, Plakate künftig einer Inhaltskontrolle zu unterziehen: "Dies können wir nicht machen, weil Meinungsfreiheit gilt." Auf Facebook schreibt Raasch: "Mir geht es soweit gut. Wir wollen den Zwischenfall nicht überbewerten. Unser CSD war überwältigend schön."

Neben den großen Unternehmen, der CDU und der Antifa gab es dabei auch eine besondere Kooperation, die bislang weniger öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat: So haben sich die Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg, der Liberal-Islamische Bund und die Jüdische Studierendenunion Württemberg zu einer interkulturellen Allianz zusammengeschlossen, um so ein Statement gegen "jegliche Art der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" zu setzen – "Yad be Yad", was auf Arabisch und Hebräisch "Hand in Hand" heißt.


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11 Kommentare verfügbar

  • Jupp
    am 06.08.2023
    Antworten
    Vom Niveau könnten die Kommentare hier genauso aus der übelsten Faschoecke kommen.
    Man liest die Freude, dass Herr Raasch auf's Maul bekommen hat. Und interpretiert seine besonnene Reaktion in der er sich nicht auf das üble Hate-Niveau der extremen Linken hat runterziehen lassen hat, als Erfolg.
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