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Pinkwashing

Bunt sind alle meine Kleider

Pinkwashing: Bunt sind alle meine Kleider
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Gesellschaft, Unternehmen und Parteien sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich aus dem heteronormativen Dornröschenschlaf erwacht. Nun finden sie zunehmend Gefallen an der Regenbogenbewegung. Doch manche schmücken sich mit fremden Federn.

 "Es gibt Firmen, die wollen viel Geld verdienen", erklärt Nina Degele: "Und die stimmen ihr Verhalten dann auf gesellschaftliche Tendenzen ab." Degele ist Professorin im Masterstudiengang Gender Studies an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität. Das Problem, das sie zeichnet: Pinkwashing. Ein weltoffenes, tolerantes Image als Mittel der Kundenakquise.

Von Pinkwashing wird dann gesprochen, wenn Firmen sich vordergründig eine queerfreundliche Fassade zulegen, die Symbolik aber vor allem für Marketing-Zwecke missbrauchen. Und Chancen zur Vermarktung schlummerten in den vergangenen Wochen und Monaten an jeder Ecke. Beispielsweise auf dem zweitgrößten Christopher Street Day Deutschlands in Stuttgart. Auch hier bedienten sich Firmen fleißig des Regenbogens. Und nicht immer sind sie ausschließlich um die Solidarität mit der queeren Community bemüht.

Was sich bei der Stuttgart Pride am 30. Juli besonders gut traf: Viele der größten, erfolgreichsten und bekanntesten inländischen Konzerne kommen aus Süddeutschland. Ein Heimspiel für Mercedes Benz, Porsche und Bosch, die sich bei der Gelegenheit alle im regenbogenfarbenen Hochglanz gerieren konnten. Auch ortsfremde Firmen, wie Vodafone, putzen sich fein heraus. Aber wie handeln die Konzerne in queerfeindlichen Ländern, die sich hierzulande mit dem Regenbogen schmücken?

Die globale Lage

In 69 Ländern wird Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in elf Ländern droht LGBTQI+-Menschen bei gleichgeschlechtlichen Handlungen sogar die Todesstrafe, nur in zwölf Staaten gibt es ein verfassungsrechtlich verankertes Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Deutschland hat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und es gibt immerhin die "Ehe für alle". Währenddessen ist in manchen EU-Staaten (Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Rumänien und Bulgarien) nicht einmal eine eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare möglich. Details gibt es hier. (dak)

Dass Unternehmen sich vor ihren potentiellen Kund:innen herausputzen, ist Marketingkonsens. Dabei schrecken einige Firmen auch vor Schönfärberei nicht zurück: Lange Jahre war Engagement im Sinne der Umwelt ein "Unique Selling Point" vieler Unternehmen auf Kundenfang. Der amerikanische Mineralölkonzern Exxonmobil beispielsweise schloss sich gemeinsam mit Firmen wie dem deutschen Chemieriesen BASF und dem Süßgetränkegiganten Pepsi mit vielen weiteren namhaften Mitstreitern Anfang 2019 der "Alliance to end plastic waste" an. In einer Mitteilung von Greenpeace, der Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters zugrunde lagen, schmähte die Umweltorganisation den Zusammenschluss als grünwaschende Nebelkerze. Ungleiche Investitionen machten die Allianz zu einer "Betrugsmasche, die darauf ausgelegt ist, endlos Plastik zu produzieren," so John Hocevar, Direktor der Greepeace USA Oceans Campaign. 1,5 Milliarden US-Dollar gegen den Plastikmüll, 180 Milliarden fütterten die eigenen Produktionen. Den Firmen, so Hocevar, ginge es nicht um den Schutz der Meere, sondern um ihr eigenes Image. Ein paar "grüngewaschene Schlagzeilen" inklusive.

Mercedes-Benz gradwandert

Die Meinungen zum Pinkwashing klaffen indes weit auseinander. In linken Blogs, auf Twitter und Co. wird viel geschmäht, viel kritisiert, alles sehr laut und sehr vorwurfsvoll. Doch es gibt auch die andere Seite: Margerete Voll konnte, beteuert sie, in ihrer langen Berufslaufbahn noch kein Pinkashing erkennen. Und auch bei den großen baden-württembergischen Firmen sieht sie kaum Probleme: "Die großen können sich das gar nicht leisten". Voll gründete vor 20 Jahren die Wirtschaftsweiber, ein Verband lesbischer Unternehmerinnen, der seit seiner Gründung für mehr Frauen in Führungspositionen und mehr lesbische Sichtbarkeit im Berufsleben kämpft. Sie kennt die Unternehmerseite: "Als Großkonzern ist man immer unterm Lupenglas." Viele Firmen, so Voll, nähmen jetzt eine Vorreiterrolle ein, auch, weil es der Zeitgeist mittlerweile gar nicht anders zuließe. Diversity müsse sein, auch dieser Konsens fand irgendwann seine Daseinsberechtigung in der Wirtschaft. Was sie nach all den Jahren problematisch sieht: Die Angst vor dem Outing besteht noch immer. "Viele queere Menschen outen sich am Arbeitsplatz nicht, weil sie nicht sichergehen können, dass ihr Coming Out keine negativen Folgen mit sich bringt", sagt Voll. Der "Unconcious Bias", die unterbewusste Voreingenommenheit, sei etwas, mit dem viele queere Menschen im Berufsalltag zu kämpfen haben. Und: "Natürlich gibt es auch immer Leute, die der Meinung sind, dass die interne Gleichstellung bereits abgeschlossen wäre." Eine Fehlannahme. Daran gelte es vielerorts noch zu arbeiten.

Mercedes-Benz zeigte sich zum ersten Mal im Jahr 2011 auf einem deutschen Christopher Street Day – damals in Berlin. Die "Ehe für Alle" gab es noch nicht, das Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG), das gleichgeschlechtlichen Partner:innen eine "Ehe light" ermöglichte, war erst ein Jahrzehnt jung und Klaus Wowereit ("Ich bin schwul – und das ist auch gut so!") noch regierender Bürgermeister der Bundeshauptstadt.

Inmitten der Coronawellen fielen viele CSDs im letzten Jahr dem Infektionsgeschehen zum Opfer, die Firmen mussten selbst aktiv werden, am besten online. Prompt erstrahlten die Firmenlogos von BMW und Daimler-Benz auf einmal im regenbogenfarbenen Hochglanz, der Stuttgarter Autobauer rief sogar einen eigenen Pride-Month aus. Die PR der beiden Mobilitätsriesen zog online viele Reaktionen nach sich: Große Empörung traf auf ebenso großes Unverständnis. Die Krux: Aufpoliert wurde nur auf den Social-Media-Accounts der Firmen und auch nur bei Zweigstellen in bestimmten Ländern. So blieb es bei Mercedes-Benz ME (Middle East) oder BMWs nahöstlichem Ableger bei den herkömmlichen Firmenlogos mit schlichtem Silberstern oder dem bayrischem blau-weiß, während man sich in Deutschland über die modernen und weltoffenen Werbekampagnen freute. Besonders gegen Mercedes-Benz wurden starke Vorwürfe erhoben, denn der Stuttgarter Automobilhersteller ist Mitglied im BDSV – dem Bundesverband deutscher Sicherheits- und Verteidigungsindustrie – eine gemeinsame Interessensgemeinschaft von Rüstungskonzernen wie Heckler & Koch, Rheinmetall oder Airbus.

Daimler liefert mit seinen "Special Mercedes-Benz Trucks" LKWs, Unimogs, Geländefahrzeuge oder Kleintransporter auch in Länder, die es mit Menschenrechten nicht immer so eng sehen, so beispielsweise nach Saudi-Arabien, wo bei gleichgeschlechtlichen Handlungen die Todesstrafe droht. Laut Dokumenten, die dem US-amerikanischen Nachrichtensender CNN vorlagen, wurden erst 2019 fünf homosexuelle Männer hingerichtet, auch im Frühjahr diesen Jahres gab es Massenhinrichtungen. Bereits 2017 stand Daimler schon einmal in der Kritik. Damals hat das Unternehmen das saudische Militär beliefert – manche Fahrzeuge seien bei der Belagerung al-Awamias zum Einsatz gekommen und von einem Mercedes-Benz Truck soll ein dreijähriger Junge erschossen worden sein, berichtete damals die "International Business Times".

Auf Kontext-Anfrage äußert sich Mercedes-Benz zu den firmeninternen Bedingungen ihrer queeren Belegschaft. So stehe, neben der internationalen Beteiligung an Paraden und Events, auch die "inhaltliche Auseinandersetzung" mit der Thematik "im Vordergrund" – diese fördere man mit "verschiedenen Dialogformaten", so die Antwort der Pressestelle, genauere Auskunft blieb diesbezüglich aus. Ein interner Transgender-Leitfaden unterstützt trans*-Beschäftigte, sowie ihr Arbeitsumfeld mit Tipps und Informationen. Wie viel Geld an die verschiedenen CSDs floss, bei denen das Unternehmen als Sponsor in Erscheinung tritt – wie in Berlin, Bremen oder Stuttgart – wollte man nicht aufschlüsseln. Als Verwendungszweck gab Mercedes unter anderem die Finanzierung von Gebärdendolmetscher:innen für die verschiedenen Abschlusskundgebungen an.

Nopper lässt Chance zum Pinkwashing verstreichen

In der Politik wird die Union Opfer vieler Vorwürfe – auch beim Thema Pinkwashing. War die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag 2017 noch beinahe geschlossen gegen die Ehe für Alle gewesen, zeigte sich der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei der letztjährigen Fußball Europameisterschaft der Männer mit Regenbogen-Maske in der Münchner Allianz Arena. Söder war als einer der wenigen Befürworter allein auf weiter Flur, innerhalb seiner Partei wehte der Wind stets stramm gegen das Öffnen der Ehe. Das Stadion selber dufte zum Spiel der Nationalmannschaft nicht bunt erleuchtet werden, man wollte die ungarischen Gäste nicht verärgern.

Bei der Stuttgart Pride in diesem Jahr zogen die Konservativen erstmals mit einem eigenen Wagen mit durch die Straßen. Und der Ärger zog gleich mit. Sexismusvorwürfe trafen die Christdemokraten im Zuge des zweitgrößten deutschen CSD. Das abgebildete Gesäß mit der provokanten Aufschrift "Europa geht uns nicht am Arsch vorbei", dass die Partei durch die Straßen fuhr, erregte viele Gemüter, die schon im Vorfeld mit der Anwesenheit der CDU bei einer Demonstration für Vielfalt, Toleranz und Queersein haderten. Die Partei hingegen wolle aus der Entgleisung lernen, erklärte sie, und die Kritik am indiskreten Motiv als "Inspiration" für die folgenden Jahre mitnehmen.

Ein Stargast fehlte den Konservativen jedoch auf ihrem Premierenwagen: Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper (CDU). Denn der, ließ das Organisator:innen-Team um Detlef Raasch verlauten, weilte lieber bei Schlagerstar Andrea Berg, als sich auf dem Wagen seiner Partei zu zeigen. Der erste Truck der CDU, der bei der Stuttgart Pride jemals mitfuhr – ohne den Schultes. Gähnende Leere auch in den sozialen Medien. Dort klafft ein Beitragsloch zwischen dem 29. und 30. Juli. Kein Post von der Parade – aber dafür immerhin auch kein Fan-Selfie mit Andrea Berg.


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