Auf dem hell leuchtenden Marktplatz, auf einer kleinen Bühne vor dem Rathaus, steht Thomas Sprißler schelmisch grinsend am Mikrofon und feiert eine ganz persönliche Premiere: Seine Pronomen sind "er" und "ihm", verkündet Herrenbergs Oberbürgermeister stolz. Sein Lokalpolitikerhemd durfte er gegen ein Leibchen des Organisator:innen-Teams tauschen: Regenbogenshirt statt Samtsakko. In der prallen Sonne die logischste Entscheidung.
Der Herrenberger Schultes ist der erste Redner auf dem ersten Christopher Street Day. Dem ersten, der in den verwinkelten Gassen der Altstadt gefeiert wird. Für 80 Menschen ist die Veranstaltung angemeldet, aber auf dem Marktplatz feiern zwischenzeitlich fast 200 Besucher:innen ein Fest für den Frieden, die Akzeptanz, das Anders-Und-Das-Ist-Auch-Gut-So-Sein. Nach seiner Rede hisst der OB eilig die Diversity-Pride-Flagge, dann verabschiedet er sich händeschüttelnd zum nächsten Termin.
Der Christopher Street Day in Herrenberg ist neu. Queer sein jedoch nicht, auch nicht in der Gäuprovinz und auch nicht erst seit gestern. Bereits im vergangenen Jahr bezog eine kleine Projektgruppe Stellung, organisierte einige kleine Aktionen. Arbeitsgruppen und Arbeitskreise stellten zum Beipsiel an Schulen Infomaterialien verschiedenster Organisationen bereit, die Stadt bequemte sich, die Regenbogenflagge im Pridemonth Juni vor einigen Schulgebäuden zu hissen. Mancherorts überlebten sie nicht einmal die dreißigtägige Alibi-Frist. An einer Schule wurde sie gestohlen – vom knapp drei Meter hohen Fahnenmast. Anzeige, erzählen die Organisator:innen, erstatteten sie nicht. In Zukunft wollten sie jedoch anders handeln und behalten sich rechtliche Schritte vor.
Neun Christopher Street Days führt der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) für die diesjährige CSD-Saison in Baden-Württemberg. Zehn sind es, wenn man die Kundgebung im Gäu mitzählt. Universitätsstädte wie Freiburg und Tübingen feierten selbstverständlich. In Konstanz steigt dieses Wochenende der "CSD am See". In Köln, weit außerhalb von Baden-Württemberg, zogen am vergangenen Wochenende mehr als eine Million Menschen durch die Straßen der Rheinstadt. Auch in Stuttgart steigt Ende Juli ein mehrtägiges Programm, das die Pride-Saison in "The Länd" traditionell beendet. Diesjähriges Motto der Landeshauptstadt: "Community. Kraft. Europa".
Bunte Pädagogik
Helene Schächtele, Jugendreferentin für Jugendbeteiligung im Stadtjugendring, und Mona Mayhoub, Auszubildende im Herrenberger Jugendhaus, betreuen das Projekt im Gäu. Und sie schufen gemeinsam mit den Jugendlichen den dortigen CSD, um zu zeigen, dass Wandel aktiv in Gang kommen kann, wenn sich denn genügend Leute finden, die bereit sind, die trägen Steine ins Rollen zu bringen.
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Kerstin Rudat
am 06.07.2022